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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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sowie ein knieender Heiliger sich rechts davon, vier bärtige Heilige sich links
befinden, und in mannigfachen Geberden ihren Schmerz ausdrucken.

Endlich erstiegen wir die höchste Höhe von Cortona, wo die ursprünglich
im Jahre 1297 von Niccolü und Giovanni Pisano erbaute, doch jetzt fast
ganz neu errichtete Kirche Sta. Margarita liegt. Ehe ich mich der herrlichen
Aussicht hingab, die sich von hier aus bot, suchte ich noch im Innern der
Kirche das von Crowe und Cavalcaselle so gerühmte Grab der heiligen Mar¬
garethe zu sehen, doch vergeblich. Der Sacristan behauptete, es sei weg¬
genommen worden. -- Mittlerweile war der Abend herangekommen und der
Sonnenball schwebte eben nur noch über dem Bergsaume des Horizontes.
Unser Auge richtete sich besonders gen Süden, nach dem trasimenischen See
hin. Eine Zunge desselben ragte hinter der hügeligen Bergkette vor, auf
welcher die Karthager einst ihren Hinterhalt gelegt und ruhig die Römer aus
der weiten Ebene des mehr rechts liegenden Chianathales in die Falle hatten
hineinziehen lassen. Eine zweite prächtige Bergkette zog sich jenseit des See's,
sowie des Chianathals in langen, ruhigen Linien hin. Alles schwamm in
Farben und Duft; während die Ebene golden schien, wechselten die Berge in
tiefem Violett, Blau und Carmoisin, indeß das Abendroth immer pracht¬
vollere Regenbogenfarben über das reine Himmelszelt ergoß und zwei lange
lange wie mit dem Lineal gezogene purpurgoldene Wolkenstreifen das Bild
begrenzten.

Ehe wir andern Tags Cortona verließen, eilten wir noch einmal das
holprige Pflaster hinauf, da wir versäumt hatten, S. Domenico zu besich¬
tigen. Mich zog das Bild meines Lieblings Signorelli an, welches Maria
mit dem Kind darstellt, vor deren Füßen zwei Heilige knieen, während hinter
ihr zwei Engel stehen. Den Grund füllt reiche Renaissance-Architektur aus.
Wie ist hier die Schönheit der Linien und der Composition wirklich nur ein
Ausdruck des Gefühles, des Affectes! Wie lieblich ist die Handhaltuug der
Madonna, welche mit der Rechten das Kind umfaßt und sich zu ihm neigt,
während dieses sich zu dem sehr ausdrucksvollen S. Domenico wendet! Wie
schön sind alle Köpfe, sei es der Engel, sei es der Madonna, sei es der
Heiligen, wie warm und satt ist das Colorit, in dem goldbraune Töne vor¬
herrschen! Hier ist in Allem volle Freiheit, Nichts von der Befangenheit, die
etwa den Madonnenbildern des Signorelli in Florenz eigen ist. -- Es mag
mein Privatgeschmack sein, aber in manchen Dingen hat nach meiner Ansicht
weder Raphael, noch Michelangelo den Signorelli erreicht.

Der bedeutendste Mann, den Cortona hervorbrachte, ist ohne Zweifel
eben Luca Signorelli, der ungefähr von 1440 bis 1524 lebte. Noch
ein anderer Maler erblickte in Cortona das Licht der Welt, der
Decorationsmaler Pietro da Cortona, der im S. Peter zu Rom eine Capelle


sowie ein knieender Heiliger sich rechts davon, vier bärtige Heilige sich links
befinden, und in mannigfachen Geberden ihren Schmerz ausdrucken.

Endlich erstiegen wir die höchste Höhe von Cortona, wo die ursprünglich
im Jahre 1297 von Niccolü und Giovanni Pisano erbaute, doch jetzt fast
ganz neu errichtete Kirche Sta. Margarita liegt. Ehe ich mich der herrlichen
Aussicht hingab, die sich von hier aus bot, suchte ich noch im Innern der
Kirche das von Crowe und Cavalcaselle so gerühmte Grab der heiligen Mar¬
garethe zu sehen, doch vergeblich. Der Sacristan behauptete, es sei weg¬
genommen worden. — Mittlerweile war der Abend herangekommen und der
Sonnenball schwebte eben nur noch über dem Bergsaume des Horizontes.
Unser Auge richtete sich besonders gen Süden, nach dem trasimenischen See
hin. Eine Zunge desselben ragte hinter der hügeligen Bergkette vor, auf
welcher die Karthager einst ihren Hinterhalt gelegt und ruhig die Römer aus
der weiten Ebene des mehr rechts liegenden Chianathales in die Falle hatten
hineinziehen lassen. Eine zweite prächtige Bergkette zog sich jenseit des See's,
sowie des Chianathals in langen, ruhigen Linien hin. Alles schwamm in
Farben und Duft; während die Ebene golden schien, wechselten die Berge in
tiefem Violett, Blau und Carmoisin, indeß das Abendroth immer pracht¬
vollere Regenbogenfarben über das reine Himmelszelt ergoß und zwei lange
lange wie mit dem Lineal gezogene purpurgoldene Wolkenstreifen das Bild
begrenzten.

Ehe wir andern Tags Cortona verließen, eilten wir noch einmal das
holprige Pflaster hinauf, da wir versäumt hatten, S. Domenico zu besich¬
tigen. Mich zog das Bild meines Lieblings Signorelli an, welches Maria
mit dem Kind darstellt, vor deren Füßen zwei Heilige knieen, während hinter
ihr zwei Engel stehen. Den Grund füllt reiche Renaissance-Architektur aus.
Wie ist hier die Schönheit der Linien und der Composition wirklich nur ein
Ausdruck des Gefühles, des Affectes! Wie lieblich ist die Handhaltuug der
Madonna, welche mit der Rechten das Kind umfaßt und sich zu ihm neigt,
während dieses sich zu dem sehr ausdrucksvollen S. Domenico wendet! Wie
schön sind alle Köpfe, sei es der Engel, sei es der Madonna, sei es der
Heiligen, wie warm und satt ist das Colorit, in dem goldbraune Töne vor¬
herrschen! Hier ist in Allem volle Freiheit, Nichts von der Befangenheit, die
etwa den Madonnenbildern des Signorelli in Florenz eigen ist. — Es mag
mein Privatgeschmack sein, aber in manchen Dingen hat nach meiner Ansicht
weder Raphael, noch Michelangelo den Signorelli erreicht.

Der bedeutendste Mann, den Cortona hervorbrachte, ist ohne Zweifel
eben Luca Signorelli, der ungefähr von 1440 bis 1524 lebte. Noch
ein anderer Maler erblickte in Cortona das Licht der Welt, der
Decorationsmaler Pietro da Cortona, der im S. Peter zu Rom eine Capelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/518>, abgerufen am 28.09.2024.