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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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sächlich gegossen und ciselirt zu sein scheint. Der Stiel, woran sie aufge¬
hängt wurde, besteht aus einem sich nach unten trichterförmig ausdehnenden
Cylinder, der durch Kranzleisten gegliedert und in der Mitte mit Palmetten
und Anthemien in Relief geschmückt ist. Daraus läuft er in eine, gleichfalls hohle
Scheibe aus, die einen geschweiften Durchschnitt besitzt, indem die Peripherie
mit den 16 vorstehenden Schnauzen über die curvenförmige Vertiefung des
mittleren Theiles der oberen Fläche emporragt, und ebenso die Unterseite
eurvenförmig gegen die Mitte zu sich einhaucht. Die Zwischenräume zwischen
den Schnauzen sind mit gehörnten und bärtigen Bacchusköpfen in Hochrelief
geschmückt, während die Schnauzen selbst, abwechselnd von bärtigen Faunen,
welche die Syrinx oder Doppelflöte blasen, und von Sirenen gestützt werden.
Diese letztern Figuren befinden sich zum Theil schon an der untern Fläche
der Lampe. Unter den Füßen der Faunen sieht man Delphine, welche auf
einem Wellenfries dahinschwimmen. Dem Wcllenfries folgt ein Ring von
Thierkämpfen (Löwen, Greifen, Ebern, Hirschen, Pferden, Antilopen) und den
vertieften Mittelpunkt der untern Fläche nimmt endlich ein grinsendes Me¬
dusenhaupt ein. Alle diese Figuren gehören ihrem Charakter und ihrer An¬
ordnung nach zu den ältesten gräko-italischen Darstellungen, wie wir sie z. B.
auf Vasenbildern sehen, und stehen in nächster Verwandtschaft mit ähnlichen
kleinasiatischen und assyrischen Producten. Neu war für mich hier insbeson¬
dere die offenbare Erklärung des Mäanders als stilisirte Meereswellen. Die
Lampe soll nach Abeken in einer Grabkammer gehangen haben, und sinnbildlich
auf das Licht des Mondes und seiner gleichsam musikalischen Harmonie hin¬
deuten (daher die musicirenden Faune, die Sirenen und die Delphine). Doch
möchte ich diese Auslegung nicht in allen Details unterschreiben, wenn
auch wahrscheinlich ist, daß neben der rein künstlerischen eine religiös symbo¬
lische Bedeutung in diesen Figuren zu suchen sei.

Das Beste aber, was dieses Museum birgt, hatte uns der freundliche
Führer bis zuletzt aufgespart, nämlich das Bild der sogenannten Muse
Polyhymnia, Der Eindruck, als sich der Schrein öffnete, der ihre Reize
verhüllte, war überwältigend. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß die
Hyacinthenzwiebel aus dem Grabe einer egyptischen Königstochter, nach
Tausenden von Jahren in die Erde gesteckt, plötzlich zur farbigen Frühlings¬
blume aufgesprossen sei und denselben Duft verbreitet habe, mit dem ihre
Schwestern einst die Königstochter entzückt. Aehnlich wehten mich vergangene
Jahrtausende in vollster Lebensfrische aus diesem blühenden Antlitz an, das
in so ruhiger, leutseliger Selbstgenügsamkeit mit ihren braunen,
klugen und vollen Augen vor sich hinblickt. Wehe dem, der sich
von ihrem Zauber fangen läßt. Ist es Schadenfreude, oder schalk¬
haft-kühles Mitleid, das geheimnißvoll, fast dämonisch, in den Augen-


sächlich gegossen und ciselirt zu sein scheint. Der Stiel, woran sie aufge¬
hängt wurde, besteht aus einem sich nach unten trichterförmig ausdehnenden
Cylinder, der durch Kranzleisten gegliedert und in der Mitte mit Palmetten
und Anthemien in Relief geschmückt ist. Daraus läuft er in eine, gleichfalls hohle
Scheibe aus, die einen geschweiften Durchschnitt besitzt, indem die Peripherie
mit den 16 vorstehenden Schnauzen über die curvenförmige Vertiefung des
mittleren Theiles der oberen Fläche emporragt, und ebenso die Unterseite
eurvenförmig gegen die Mitte zu sich einhaucht. Die Zwischenräume zwischen
den Schnauzen sind mit gehörnten und bärtigen Bacchusköpfen in Hochrelief
geschmückt, während die Schnauzen selbst, abwechselnd von bärtigen Faunen,
welche die Syrinx oder Doppelflöte blasen, und von Sirenen gestützt werden.
Diese letztern Figuren befinden sich zum Theil schon an der untern Fläche
der Lampe. Unter den Füßen der Faunen sieht man Delphine, welche auf
einem Wellenfries dahinschwimmen. Dem Wcllenfries folgt ein Ring von
Thierkämpfen (Löwen, Greifen, Ebern, Hirschen, Pferden, Antilopen) und den
vertieften Mittelpunkt der untern Fläche nimmt endlich ein grinsendes Me¬
dusenhaupt ein. Alle diese Figuren gehören ihrem Charakter und ihrer An¬
ordnung nach zu den ältesten gräko-italischen Darstellungen, wie wir sie z. B.
auf Vasenbildern sehen, und stehen in nächster Verwandtschaft mit ähnlichen
kleinasiatischen und assyrischen Producten. Neu war für mich hier insbeson¬
dere die offenbare Erklärung des Mäanders als stilisirte Meereswellen. Die
Lampe soll nach Abeken in einer Grabkammer gehangen haben, und sinnbildlich
auf das Licht des Mondes und seiner gleichsam musikalischen Harmonie hin¬
deuten (daher die musicirenden Faune, die Sirenen und die Delphine). Doch
möchte ich diese Auslegung nicht in allen Details unterschreiben, wenn
auch wahrscheinlich ist, daß neben der rein künstlerischen eine religiös symbo¬
lische Bedeutung in diesen Figuren zu suchen sei.

Das Beste aber, was dieses Museum birgt, hatte uns der freundliche
Führer bis zuletzt aufgespart, nämlich das Bild der sogenannten Muse
Polyhymnia, Der Eindruck, als sich der Schrein öffnete, der ihre Reize
verhüllte, war überwältigend. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß die
Hyacinthenzwiebel aus dem Grabe einer egyptischen Königstochter, nach
Tausenden von Jahren in die Erde gesteckt, plötzlich zur farbigen Frühlings¬
blume aufgesprossen sei und denselben Duft verbreitet habe, mit dem ihre
Schwestern einst die Königstochter entzückt. Aehnlich wehten mich vergangene
Jahrtausende in vollster Lebensfrische aus diesem blühenden Antlitz an, das
in so ruhiger, leutseliger Selbstgenügsamkeit mit ihren braunen,
klugen und vollen Augen vor sich hinblickt. Wehe dem, der sich
von ihrem Zauber fangen läßt. Ist es Schadenfreude, oder schalk¬
haft-kühles Mitleid, das geheimnißvoll, fast dämonisch, in den Augen-


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[0512] sächlich gegossen und ciselirt zu sein scheint. Der Stiel, woran sie aufge¬ hängt wurde, besteht aus einem sich nach unten trichterförmig ausdehnenden Cylinder, der durch Kranzleisten gegliedert und in der Mitte mit Palmetten und Anthemien in Relief geschmückt ist. Daraus läuft er in eine, gleichfalls hohle Scheibe aus, die einen geschweiften Durchschnitt besitzt, indem die Peripherie mit den 16 vorstehenden Schnauzen über die curvenförmige Vertiefung des mittleren Theiles der oberen Fläche emporragt, und ebenso die Unterseite eurvenförmig gegen die Mitte zu sich einhaucht. Die Zwischenräume zwischen den Schnauzen sind mit gehörnten und bärtigen Bacchusköpfen in Hochrelief geschmückt, während die Schnauzen selbst, abwechselnd von bärtigen Faunen, welche die Syrinx oder Doppelflöte blasen, und von Sirenen gestützt werden. Diese letztern Figuren befinden sich zum Theil schon an der untern Fläche der Lampe. Unter den Füßen der Faunen sieht man Delphine, welche auf einem Wellenfries dahinschwimmen. Dem Wcllenfries folgt ein Ring von Thierkämpfen (Löwen, Greifen, Ebern, Hirschen, Pferden, Antilopen) und den vertieften Mittelpunkt der untern Fläche nimmt endlich ein grinsendes Me¬ dusenhaupt ein. Alle diese Figuren gehören ihrem Charakter und ihrer An¬ ordnung nach zu den ältesten gräko-italischen Darstellungen, wie wir sie z. B. auf Vasenbildern sehen, und stehen in nächster Verwandtschaft mit ähnlichen kleinasiatischen und assyrischen Producten. Neu war für mich hier insbeson¬ dere die offenbare Erklärung des Mäanders als stilisirte Meereswellen. Die Lampe soll nach Abeken in einer Grabkammer gehangen haben, und sinnbildlich auf das Licht des Mondes und seiner gleichsam musikalischen Harmonie hin¬ deuten (daher die musicirenden Faune, die Sirenen und die Delphine). Doch möchte ich diese Auslegung nicht in allen Details unterschreiben, wenn auch wahrscheinlich ist, daß neben der rein künstlerischen eine religiös symbo¬ lische Bedeutung in diesen Figuren zu suchen sei. Das Beste aber, was dieses Museum birgt, hatte uns der freundliche Führer bis zuletzt aufgespart, nämlich das Bild der sogenannten Muse Polyhymnia, Der Eindruck, als sich der Schrein öffnete, der ihre Reize verhüllte, war überwältigend. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß die Hyacinthenzwiebel aus dem Grabe einer egyptischen Königstochter, nach Tausenden von Jahren in die Erde gesteckt, plötzlich zur farbigen Frühlings¬ blume aufgesprossen sei und denselben Duft verbreitet habe, mit dem ihre Schwestern einst die Königstochter entzückt. Aehnlich wehten mich vergangene Jahrtausende in vollster Lebensfrische aus diesem blühenden Antlitz an, das in so ruhiger, leutseliger Selbstgenügsamkeit mit ihren braunen, klugen und vollen Augen vor sich hinblickt. Wehe dem, der sich von ihrem Zauber fangen läßt. Ist es Schadenfreude, oder schalk¬ haft-kühles Mitleid, das geheimnißvoll, fast dämonisch, in den Augen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/512>, abgerufen am 28.12.2024.