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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Leider ist dieses, sein Hauptwerk, in weiteren Kreisen zu wenig gewürdigt,
freilich ist es auch nur geschrieben für volle und ganze Menschen und nicht
für den Haldschlag der Leute. Diesem Buche folgte zunächst sein "west¬
preußisches Idyll," genannt "Ein Jugendleben," der Form nach eine
einfache Erzählung, aber so erfüllt von lieblichen Bildern und tiefen Gefüh¬
len, daß es neben der Erzählung noch Stoff enthält für hundert und mehr
lyrische Gedichte.

Das Land mit einer viertausendjährigen Geschichte, Aegypten. ist seit
Jahrhunderten wohl von Gelehrten und Kaufleuten aller Nationen durchreist
und geschildert worden, aber die einen stellten nur geschichtliche und natur¬
wissenschaftliche Forschungen an, andere hatten Zwecke des Handels und der
Gewerbe im Auge; beides lag unserm Goltz bei seiner Reise fern. Zwar hat
er auch die Pyramiden bestiegen und in der Wüste die Rose von Jericho
gepflückt, aber sein Blick war mehr und eingehender auf das.Volk des Lan¬
des, seine Sitten, Lebensart und Besonderheiten gerichtet, als bei Gelehrten
und Kaufleuten, und wie viel feine scharfe Beobachtungsgabe ihn in dieser
Richtung auffassen ließ, zeigt deutlich sein "Kleinstädter in Aegypten,"
ein Buch, welches durch seinen Inhalt den Forderungen des Ethnographen
durch seine Darstellung den Wünschen des vorzugsweise Unterhaltung suchen¬
den Lesers entgegen kommt.

Theils die Bewegungen seines früheren Lebens, theils verschiedene Reisen,
die er von hier unternahm, hatten ihm Menschen der verschiedensten Stämme
und Racen vor Augen geführt; mit dem Scharfblick, der ihm vor vielen
anderen von Gott gegeben war, hatte er überall rasch und sicher die Eigen¬
thümlichkeiten aufgefaßt, die unterscheidenden Momente erkannt, und was er
so empfangen und in feinem Geiste zu lebendigen Bildern gestaltet hatte, das
zeichnete er naturgetreu und wahr in zweien seiner Werke, in dem Buche-.
"Der Mensch und die Leute, zur Charakteristik der barbari¬
schen und der civilisirten Nationen" und in der "Eracten Men¬
schenkenntniß in Studien und Stereoskopen," welche zugleich auch
Beweise seines emsigen Fleißes, seiner gründlichen Studien sind; denn sie
enthalten nicht nur seine eigenen, unmittelbaren Wahrnehmungen, sondern
auch die von ihm bei sorgfältiger und wohlgewählter Lectüre gesammelten
Ansichten anderer Schriftsteller, deren Erfahrungen und zerstreute Ur¬
theile er mit sicherer Hand und nach geregeltem Plane mit den eigenen
Beobachtungen zu harmonisch klaren Charaktergemälden verband. Goltz war
nicht ein Verächter der gesellschaftlichen Cultur und der sogenannten feinen
Sitten, aber er überschätzte auch nicht ihren moralischen Werth; in der Klar¬
heit seines Herzens erkannte er sehr genau, wie oft und bei wie vielen auf


Leider ist dieses, sein Hauptwerk, in weiteren Kreisen zu wenig gewürdigt,
freilich ist es auch nur geschrieben für volle und ganze Menschen und nicht
für den Haldschlag der Leute. Diesem Buche folgte zunächst sein „west¬
preußisches Idyll," genannt „Ein Jugendleben," der Form nach eine
einfache Erzählung, aber so erfüllt von lieblichen Bildern und tiefen Gefüh¬
len, daß es neben der Erzählung noch Stoff enthält für hundert und mehr
lyrische Gedichte.

Das Land mit einer viertausendjährigen Geschichte, Aegypten. ist seit
Jahrhunderten wohl von Gelehrten und Kaufleuten aller Nationen durchreist
und geschildert worden, aber die einen stellten nur geschichtliche und natur¬
wissenschaftliche Forschungen an, andere hatten Zwecke des Handels und der
Gewerbe im Auge; beides lag unserm Goltz bei seiner Reise fern. Zwar hat
er auch die Pyramiden bestiegen und in der Wüste die Rose von Jericho
gepflückt, aber sein Blick war mehr und eingehender auf das.Volk des Lan¬
des, seine Sitten, Lebensart und Besonderheiten gerichtet, als bei Gelehrten
und Kaufleuten, und wie viel feine scharfe Beobachtungsgabe ihn in dieser
Richtung auffassen ließ, zeigt deutlich sein „Kleinstädter in Aegypten,"
ein Buch, welches durch seinen Inhalt den Forderungen des Ethnographen
durch seine Darstellung den Wünschen des vorzugsweise Unterhaltung suchen¬
den Lesers entgegen kommt.

Theils die Bewegungen seines früheren Lebens, theils verschiedene Reisen,
die er von hier unternahm, hatten ihm Menschen der verschiedensten Stämme
und Racen vor Augen geführt; mit dem Scharfblick, der ihm vor vielen
anderen von Gott gegeben war, hatte er überall rasch und sicher die Eigen¬
thümlichkeiten aufgefaßt, die unterscheidenden Momente erkannt, und was er
so empfangen und in feinem Geiste zu lebendigen Bildern gestaltet hatte, das
zeichnete er naturgetreu und wahr in zweien seiner Werke, in dem Buche-.
„Der Mensch und die Leute, zur Charakteristik der barbari¬
schen und der civilisirten Nationen" und in der „Eracten Men¬
schenkenntniß in Studien und Stereoskopen," welche zugleich auch
Beweise seines emsigen Fleißes, seiner gründlichen Studien sind; denn sie
enthalten nicht nur seine eigenen, unmittelbaren Wahrnehmungen, sondern
auch die von ihm bei sorgfältiger und wohlgewählter Lectüre gesammelten
Ansichten anderer Schriftsteller, deren Erfahrungen und zerstreute Ur¬
theile er mit sicherer Hand und nach geregeltem Plane mit den eigenen
Beobachtungen zu harmonisch klaren Charaktergemälden verband. Goltz war
nicht ein Verächter der gesellschaftlichen Cultur und der sogenannten feinen
Sitten, aber er überschätzte auch nicht ihren moralischen Werth; in der Klar¬
heit seines Herzens erkannte er sehr genau, wie oft und bei wie vielen auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/501>, abgerufen am 29.09.2024.