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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Suchen wir nun zunächst nach den Mitteln zur Lösung der ersten Auf¬
gabe, also der Aufgabe, die Kräfte der neuen Reichs-Lande möglichst zu
entwickeln, so finden wir, daß in der Beziehung mehr auf die Bewahrung
des schon unter französischer Herrschaft Erreichten, als auf eine bedeutende
Weiterförderung zu sehen ist.

Ziehen wir vor allem das Menschenmaterial in Betracht, welches
Elsaß für den Krieg bietet, so wohnt dort überall ein kräftiger, großer
und muthiger Schlag, von völlig deutscher Art, auch wo in Lothringen die
Sprache französisch ist; er lieferte Frankreich den besten Theil seiner schweren
Reiterei, seiner Artillerie, seiner Pioniere und seiner Grenadiere. Unverhält¬
nismäßig groß war die Zahl der elscißischen Einsteher, darum wurde man
überall in Deutschland durch die Menge von deutschsprechenden Gefangenen
überrascht. Es kommt das eben von der altgermanischen kriegerischen Ge¬
sinnung, welche sich bei diesen unseren Stammgenossen ebenso fortgeerbt hat,
wie fast alle Stammeseigenthümlichkeiten. Am meisten werden die französischen
Generale die Elsasser bei der Reiterei vermissen; gut zu Pferde sitzen werden
jetzt bei ihnen nur noch die wenigen Vlaminger, welche sie noch in ihrer Mitte
zählen, und etwa die Normannen. Im deutschen Heere werden die Elsasser
allerdings keinen hervorragenden Platz einnehmen; sie werden keine besseren
Kürassiere als die Hannoveraner, Rheinländer und Würtenberger, keine
schlankeren Grenadiere als die Thüringer, Pommern oder Schleswiger, keine
kräftigeren und geschickteren Pioniere als die Märker oder Nassauer abgeben;
indeß werden sie auch weder an Gestalt, noch an Ausdauer, Tapferkeit und
militärischer Tüchtigkeit jeder Art irgend einem deutschen Stamme nachstehen,
und das will doch nicht wenig bedeuten, ist jedenfalls genug. Die deutsche
Regierung wird die Aufgabe haben, diese wackeren Mannschaften nicht blos
als widerwillige Maschinen, sondern zu treuen und ergebenen Soldaten unter
den deutschen Fahnen heranzubilden. Doch ist keine Aufgabe so leicht zu er¬
füllen und wird keine so zuverlässig erfüllt werden als diese. Ist es schon
überhaupt ein Leichtes, junge Männer eines kriegerischen Stammes für das
Waffenhandwerk irgend eines.und besonders eines verwandten kriegstüchtigen
und siegreichen Volkes zu gewinnen -- dieser Umstand hat ja die Elsasser zu
so treuen Soldaten Frankreichs gemacht -- so hat sich diese Fähigkeit Preußens
bei neuen, selbst im Uebrigen widerstrebenden und undeutschen Unterthanen
von je her und bis auf den heutigen Tag vortrefflich bewährt. Manchmal
bleibt nur zu wünschen, daß es eine gleiche Geschicklichkeit auch in den bürger¬
lichen Verhältnissen zeigte. Jedenfalls können wir ein Gleiches auch bei den
Elsassern in erster Beziehung hoffen, und dürfen uns nach dem bisherigen
Verhalten der einstweiligen Verwaltung auch in der zweiten keinen sonderlichen
Befürchtungen hingeben. Im übrigen übergehen wir die Verwerthung der


Suchen wir nun zunächst nach den Mitteln zur Lösung der ersten Auf¬
gabe, also der Aufgabe, die Kräfte der neuen Reichs-Lande möglichst zu
entwickeln, so finden wir, daß in der Beziehung mehr auf die Bewahrung
des schon unter französischer Herrschaft Erreichten, als auf eine bedeutende
Weiterförderung zu sehen ist.

Ziehen wir vor allem das Menschenmaterial in Betracht, welches
Elsaß für den Krieg bietet, so wohnt dort überall ein kräftiger, großer
und muthiger Schlag, von völlig deutscher Art, auch wo in Lothringen die
Sprache französisch ist; er lieferte Frankreich den besten Theil seiner schweren
Reiterei, seiner Artillerie, seiner Pioniere und seiner Grenadiere. Unverhält¬
nismäßig groß war die Zahl der elscißischen Einsteher, darum wurde man
überall in Deutschland durch die Menge von deutschsprechenden Gefangenen
überrascht. Es kommt das eben von der altgermanischen kriegerischen Ge¬
sinnung, welche sich bei diesen unseren Stammgenossen ebenso fortgeerbt hat,
wie fast alle Stammeseigenthümlichkeiten. Am meisten werden die französischen
Generale die Elsasser bei der Reiterei vermissen; gut zu Pferde sitzen werden
jetzt bei ihnen nur noch die wenigen Vlaminger, welche sie noch in ihrer Mitte
zählen, und etwa die Normannen. Im deutschen Heere werden die Elsasser
allerdings keinen hervorragenden Platz einnehmen; sie werden keine besseren
Kürassiere als die Hannoveraner, Rheinländer und Würtenberger, keine
schlankeren Grenadiere als die Thüringer, Pommern oder Schleswiger, keine
kräftigeren und geschickteren Pioniere als die Märker oder Nassauer abgeben;
indeß werden sie auch weder an Gestalt, noch an Ausdauer, Tapferkeit und
militärischer Tüchtigkeit jeder Art irgend einem deutschen Stamme nachstehen,
und das will doch nicht wenig bedeuten, ist jedenfalls genug. Die deutsche
Regierung wird die Aufgabe haben, diese wackeren Mannschaften nicht blos
als widerwillige Maschinen, sondern zu treuen und ergebenen Soldaten unter
den deutschen Fahnen heranzubilden. Doch ist keine Aufgabe so leicht zu er¬
füllen und wird keine so zuverlässig erfüllt werden als diese. Ist es schon
überhaupt ein Leichtes, junge Männer eines kriegerischen Stammes für das
Waffenhandwerk irgend eines.und besonders eines verwandten kriegstüchtigen
und siegreichen Volkes zu gewinnen — dieser Umstand hat ja die Elsasser zu
so treuen Soldaten Frankreichs gemacht — so hat sich diese Fähigkeit Preußens
bei neuen, selbst im Uebrigen widerstrebenden und undeutschen Unterthanen
von je her und bis auf den heutigen Tag vortrefflich bewährt. Manchmal
bleibt nur zu wünschen, daß es eine gleiche Geschicklichkeit auch in den bürger¬
lichen Verhältnissen zeigte. Jedenfalls können wir ein Gleiches auch bei den
Elsassern in erster Beziehung hoffen, und dürfen uns nach dem bisherigen
Verhalten der einstweiligen Verwaltung auch in der zweiten keinen sonderlichen
Befürchtungen hingeben. Im übrigen übergehen wir die Verwerthung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/50>, abgerufen am 21.10.2024.