Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.wiederum einen Arzt fragen, bezw. zu einem Gutachten auffordern, ob und Der Kriegsminister von Roon fand als Bundesrathsbevollmächtigter das Da entsteht nun wieder die Frage: an wem ist die Reihe nachzugeben? L -- r. wiederum einen Arzt fragen, bezw. zu einem Gutachten auffordern, ob und Der Kriegsminister von Roon fand als Bundesrathsbevollmächtigter das Da entsteht nun wieder die Frage: an wem ist die Reihe nachzugeben? L — r. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126264"/> <p xml:id="ID_1510" prev="#ID_1509"> wiederum einen Arzt fragen, bezw. zu einem Gutachten auffordern, ob und<lb/> bis zu welchem Grade der Kläger erwerbsunfähig ist. Denn nach der Grund¬<lb/> bestimmung der Erwerbsunfähigkeit richtet sich unter Anderm die Höhe der<lb/> Pension. Der Gerichtsarzt ist natürlich bloß sei Koe consultirt und entschei¬<lb/> det den Fall nach seinem subjectiven Gefühl, da es keinen wissenschaftlichen<lb/> Begriff der Erwerbsunfähigkeit weder im medicinischen, noch im andern Sinne<lb/> giebt. Die Militärärzte, von deren Entscheidung an den Gerichtsarzt appellirt<lb/> wird, haben wenigstens durch die Begutachtung vieler ähnlicher Fälle ein für<lb/> die verschiedenen Fälle übereinstimmendes Maßgefühl erlangt, sie kommen<lb/> also der objectiven Entscheidung jedenfalls näher, als derjenige Arzt, der bloß<lb/> einen einzigen Fall dieser Art entscheidet. Die Eröffnung des Rechtsweges<lb/> bewirkt also, daß die Invaliden versucht werden, die Lotterie der vereinzelten<lb/> gerichtsärztlichen Gutachten anzurufen, um günstigen Falls eine erhöhte Pen¬<lb/> sion davonzutragen. Die Militärbehörden aber werden mit einer Menge<lb/> ärgerlicher Processe belastet, welche entweder zu gar nichts führen oder dazu,<lb/> den mühsam gefundenen und durchgeführten Maßstab der Militärärzte zwei¬<lb/> felhaft zu machen und dem ganzen Verfahren die Willkür aufzudrücken, die<lb/> man gerade daraus verbannen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511"> Der Kriegsminister von Roon fand als Bundesrathsbevollmächtigter das<lb/> Amendement in dem Grade unannehmbar für die Regierung, daß er im Fall<lb/> der Annahme durch den Reichstag feinen Einfluß im Bundesrat!) für die<lb/> Zurückweisung des ganzen Gesetzes geltend machen zu müssen erklärte. Diese<lb/> Eröffnung nun erregte bei einem Theil des Reichstags Unwillen und die<lb/> Mehrheit beschloß, den Invaliden den Rechtsweg zu eröffnen. So stehen wir<lb/> wieder vor der Frage: wird bei der dritten Lesung die Mehrheit des Reichs¬<lb/> tages nachgeben, oder die Reichsregierung, oder keiner von beiden Theilen,<lb/> und wird in Folge dessen das Milna'rpensionsgesetz für diese Session scheitern?<lb/> Das letztere wäre ein trauriger Abschluß der ersten Reichstagssession.</p><lb/> <p xml:id="ID_1512"> Da entsteht nun wieder die Frage: an wem ist die Reihe nachzugeben?<lb/> In Wahrheit jedoch sollte diese Frage niemals aufgeworfen werden. Nicht<lb/> darum kann es sich handeln, an wem die Reihe des Nachgebens ist, sondern<lb/> darum, wer in der Sache das bessere Recht für sich hat. Alle Welt weiß<lb/> zudem, daß ein Eingreifen der Civilgerichte in innere Fragen des Heeres an<lb/> allerhöchster Stelle von jeher den stärksten Bedenken begegnet ist. Das Zer-<lb/> würfniß, wenn es zu einem solchen käme, würde also nicht zwischen Reichstag<lb/> und den höchsten Reichsbeamten, sondern zwischen den höchsten Reichsgewalten<lb/> hervorgerufen werden. Gewiß ein sehr unerwünschtes und durch den Werth<lb/> der erhobenen Forderung aus Seiten des Reichstags in keiner Weise zu be¬<lb/> gründendes Ergebniß. Soll aber einmal gezählt werden, wer am meisten<lb/> nachgegeben, so muß daran erinnert werden, daß in der elsaß-lothringischen<lb/> Frage der Reichstag feinen Willen behauptet hat. Communal- und Depar-<lb/> tementalschulden hatte man nach der Aussage maßgebender Redner überhaupt<lb/> niemals von der Zustimmung des Reichstages abhängig machen wollen. Für<lb/> umfassendere Schulden aber hat der Reichstag sein Zustimmungsrecht durch¬<lb/> gesetzt, da sie in Ermangelung einer Provinzialvertretung, die nur mit Zu¬<lb/> stimmung des Reichstags ins 'Leben treten kann, einstweilen nur unter Mit¬<lb/> wirkung des Letzteren gültig contrcchirt werden können. Den verkürzten Ein¬<lb/> führungstermin der Reichsverfassung hat der Reichstag ebenfalls durchgesetzt?<lb/> Auf wessen Seite ist also die Nachgiebigkeit gewesen?</p><lb/> <note type="byline"> L — r.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
wiederum einen Arzt fragen, bezw. zu einem Gutachten auffordern, ob und
bis zu welchem Grade der Kläger erwerbsunfähig ist. Denn nach der Grund¬
bestimmung der Erwerbsunfähigkeit richtet sich unter Anderm die Höhe der
Pension. Der Gerichtsarzt ist natürlich bloß sei Koe consultirt und entschei¬
det den Fall nach seinem subjectiven Gefühl, da es keinen wissenschaftlichen
Begriff der Erwerbsunfähigkeit weder im medicinischen, noch im andern Sinne
giebt. Die Militärärzte, von deren Entscheidung an den Gerichtsarzt appellirt
wird, haben wenigstens durch die Begutachtung vieler ähnlicher Fälle ein für
die verschiedenen Fälle übereinstimmendes Maßgefühl erlangt, sie kommen
also der objectiven Entscheidung jedenfalls näher, als derjenige Arzt, der bloß
einen einzigen Fall dieser Art entscheidet. Die Eröffnung des Rechtsweges
bewirkt also, daß die Invaliden versucht werden, die Lotterie der vereinzelten
gerichtsärztlichen Gutachten anzurufen, um günstigen Falls eine erhöhte Pen¬
sion davonzutragen. Die Militärbehörden aber werden mit einer Menge
ärgerlicher Processe belastet, welche entweder zu gar nichts führen oder dazu,
den mühsam gefundenen und durchgeführten Maßstab der Militärärzte zwei¬
felhaft zu machen und dem ganzen Verfahren die Willkür aufzudrücken, die
man gerade daraus verbannen wollte.
Der Kriegsminister von Roon fand als Bundesrathsbevollmächtigter das
Amendement in dem Grade unannehmbar für die Regierung, daß er im Fall
der Annahme durch den Reichstag feinen Einfluß im Bundesrat!) für die
Zurückweisung des ganzen Gesetzes geltend machen zu müssen erklärte. Diese
Eröffnung nun erregte bei einem Theil des Reichstags Unwillen und die
Mehrheit beschloß, den Invaliden den Rechtsweg zu eröffnen. So stehen wir
wieder vor der Frage: wird bei der dritten Lesung die Mehrheit des Reichs¬
tages nachgeben, oder die Reichsregierung, oder keiner von beiden Theilen,
und wird in Folge dessen das Milna'rpensionsgesetz für diese Session scheitern?
Das letztere wäre ein trauriger Abschluß der ersten Reichstagssession.
Da entsteht nun wieder die Frage: an wem ist die Reihe nachzugeben?
In Wahrheit jedoch sollte diese Frage niemals aufgeworfen werden. Nicht
darum kann es sich handeln, an wem die Reihe des Nachgebens ist, sondern
darum, wer in der Sache das bessere Recht für sich hat. Alle Welt weiß
zudem, daß ein Eingreifen der Civilgerichte in innere Fragen des Heeres an
allerhöchster Stelle von jeher den stärksten Bedenken begegnet ist. Das Zer-
würfniß, wenn es zu einem solchen käme, würde also nicht zwischen Reichstag
und den höchsten Reichsbeamten, sondern zwischen den höchsten Reichsgewalten
hervorgerufen werden. Gewiß ein sehr unerwünschtes und durch den Werth
der erhobenen Forderung aus Seiten des Reichstags in keiner Weise zu be¬
gründendes Ergebniß. Soll aber einmal gezählt werden, wer am meisten
nachgegeben, so muß daran erinnert werden, daß in der elsaß-lothringischen
Frage der Reichstag feinen Willen behauptet hat. Communal- und Depar-
tementalschulden hatte man nach der Aussage maßgebender Redner überhaupt
niemals von der Zustimmung des Reichstages abhängig machen wollen. Für
umfassendere Schulden aber hat der Reichstag sein Zustimmungsrecht durch¬
gesetzt, da sie in Ermangelung einer Provinzialvertretung, die nur mit Zu¬
stimmung des Reichstags ins 'Leben treten kann, einstweilen nur unter Mit¬
wirkung des Letzteren gültig contrcchirt werden können. Den verkürzten Ein¬
führungstermin der Reichsverfassung hat der Reichstag ebenfalls durchgesetzt?
Auf wessen Seite ist also die Nachgiebigkeit gewesen?
L — r.
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