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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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und äußere Gliedmaßen gelangen. Die Jnvalidenpension setzt also voraus:
die eingetretene Erwerbsunfähigkeit des Wehrmannes und den Nachweis, daß
der Kriegsdienst die Ursache der Erwerbsunfähigkeit gewesen. Ferner aber
kann es sich nur um relative Erwerbsunfähigkeit handeln, weil absolute Er¬
werbsunfähigkeit streng genommen nur mit dem Tode denkbar ist. Ein
Mensch, der an vielen Gliedmaßen grausam verstümmelt ist, kann das Mit¬
leid, das er erregt, zur Erwerbsquelle machen. So weit also waren alle Be¬
stimmungen des Gesetzentwurfs völlig correct gefaßt. Nun aber ist es leider
eine fixe Idee vieler vortrefflicher Männer das schließliche Heil aller Dinge
in dem sogenannten Rechtsweg zu erblicken, d. h. in der Competenz der Ge¬
richtshöfe des Privatrechts über alle Fragen und namentlich auch die des
öffentlichen Rechts. Die Jnvalidenpension liegt mindestens auf der Grenze
des öffentlichen und des Privatrechts. Es handelt sich um eine Entschädigung
für Nachtheile bei Erfüllung einer öffentlichen Pflicht. Die Gründe dieser
Entschädigung sind sehr durchgreifende, aber sie gehören dem Gebiet der
öffentlichen Billigkeit, der Zweckmäßigkeit, kurz der Politik an, nicht dem Ge¬
biet des Privatrechts. Privatrechtlich hat Niemand Anspruch auf Belohnung
oder Entschädigung für die Pflicht, die Jeder dem Ganzen leisten muß, und
folglich auch nicht für die Nachtheile, welche der Einzelne zufällig bei der Er¬
füllung dieser Pflicht erleidet.

Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit, welche der Wehrdienst dem Inva¬
liden zugezogen, ist überdies kein solcher, der eine wissenschaftliche Begrenzung
zuläßt, fondern nur eine empirisch-praktische. Die Aerzte, welche über die ein¬
getretene Erwerbsunfähigkeit entscheiden, müssen sich aus der Vergleichung
aller vorkommenden Fälle eine Regel bilden, wen sie für pensionsberechtigt
erklären wollen. Denn irgend eine Minderung der Erwerbsfähigkeit wird
überall anzunehmen sein, wo Dienstunfähigkeit vorliegt, und ganz kann
andererseits, wie schon bemerkt, die Erwerbsfähigkeit nur mit dem Tode ver¬
schwinden. Um nun jeder Art von Willkür aus allen Kräften vorzubeugen,
durchläuft jedes Jnvalidenpensionsgesuch eine Reihe von Instanzen, deren jede
eine erneute ärztliche Prüfung herbeiführt. Das Ganze ist mit einer Sorg¬
falt geregelt, die an Peinlichkeit grenzt. Weil aber die Aerzte wiederkehren,
welche in den verschiedenen Instanzen die Fälle prüfen, so ist dafür gesorgt,
daß jenes übereinstimmende Maßgefühl eintritt, welches hier die Stelle eines
wissenschaftlichen Begriffes ersetzen muß.

Da hatten nun die Verehrer des Rechtsweges bei jeder Gelegenheit eine
Bestimmung in das Gesetz hineinzubringen vorgeschlagen, wonach die Inva¬
liden, welche sich bei der Entscheidung der Militärbehörden nicht beruhigen
wollen, ihren vermeintlichen Anspruch vor dem ordentlichen Civilgericht ver¬
folgen können. Was würde die Folge davon sein? Das Eivilgericht muß


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und äußere Gliedmaßen gelangen. Die Jnvalidenpension setzt also voraus:
die eingetretene Erwerbsunfähigkeit des Wehrmannes und den Nachweis, daß
der Kriegsdienst die Ursache der Erwerbsunfähigkeit gewesen. Ferner aber
kann es sich nur um relative Erwerbsunfähigkeit handeln, weil absolute Er¬
werbsunfähigkeit streng genommen nur mit dem Tode denkbar ist. Ein
Mensch, der an vielen Gliedmaßen grausam verstümmelt ist, kann das Mit¬
leid, das er erregt, zur Erwerbsquelle machen. So weit also waren alle Be¬
stimmungen des Gesetzentwurfs völlig correct gefaßt. Nun aber ist es leider
eine fixe Idee vieler vortrefflicher Männer das schließliche Heil aller Dinge
in dem sogenannten Rechtsweg zu erblicken, d. h. in der Competenz der Ge¬
richtshöfe des Privatrechts über alle Fragen und namentlich auch die des
öffentlichen Rechts. Die Jnvalidenpension liegt mindestens auf der Grenze
des öffentlichen und des Privatrechts. Es handelt sich um eine Entschädigung
für Nachtheile bei Erfüllung einer öffentlichen Pflicht. Die Gründe dieser
Entschädigung sind sehr durchgreifende, aber sie gehören dem Gebiet der
öffentlichen Billigkeit, der Zweckmäßigkeit, kurz der Politik an, nicht dem Ge¬
biet des Privatrechts. Privatrechtlich hat Niemand Anspruch auf Belohnung
oder Entschädigung für die Pflicht, die Jeder dem Ganzen leisten muß, und
folglich auch nicht für die Nachtheile, welche der Einzelne zufällig bei der Er¬
füllung dieser Pflicht erleidet.

Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit, welche der Wehrdienst dem Inva¬
liden zugezogen, ist überdies kein solcher, der eine wissenschaftliche Begrenzung
zuläßt, fondern nur eine empirisch-praktische. Die Aerzte, welche über die ein¬
getretene Erwerbsunfähigkeit entscheiden, müssen sich aus der Vergleichung
aller vorkommenden Fälle eine Regel bilden, wen sie für pensionsberechtigt
erklären wollen. Denn irgend eine Minderung der Erwerbsfähigkeit wird
überall anzunehmen sein, wo Dienstunfähigkeit vorliegt, und ganz kann
andererseits, wie schon bemerkt, die Erwerbsfähigkeit nur mit dem Tode ver¬
schwinden. Um nun jeder Art von Willkür aus allen Kräften vorzubeugen,
durchläuft jedes Jnvalidenpensionsgesuch eine Reihe von Instanzen, deren jede
eine erneute ärztliche Prüfung herbeiführt. Das Ganze ist mit einer Sorg¬
falt geregelt, die an Peinlichkeit grenzt. Weil aber die Aerzte wiederkehren,
welche in den verschiedenen Instanzen die Fälle prüfen, so ist dafür gesorgt,
daß jenes übereinstimmende Maßgefühl eintritt, welches hier die Stelle eines
wissenschaftlichen Begriffes ersetzen muß.

Da hatten nun die Verehrer des Rechtsweges bei jeder Gelegenheit eine
Bestimmung in das Gesetz hineinzubringen vorgeschlagen, wonach die Inva¬
liden, welche sich bei der Entscheidung der Militärbehörden nicht beruhigen
wollen, ihren vermeintlichen Anspruch vor dem ordentlichen Civilgericht ver¬
folgen können. Was würde die Folge davon sein? Das Eivilgericht muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/481>, abgerufen am 28.09.2024.