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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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bietshoheit über die Küste zur Herrschaft über den Küstensaum des Meeres
eine so zutreffende Analogie, daß ich nicht einsehe, wie deren Verwerthung be¬
kämpft werden will. Im modernen Völkerrecht gilt jetzt allgemein der Satz,
daß die Gebietshoheit über die Küste eine Erweiterung in das Meer nur,
aber auch jedenfalls soweit erfährt, HuoutML mari e terra. iiuxerari xotsst,
d. h. fo weit die Kanonen vom Land aus tragen. Es liegt schlechterdings
kein Grund vor, das Luftmeer, durch welches in vertikaler Richtung das feste
Land begrenzt wird, anders zu behandeln, als das Wassermeer, welches in
horizontaler Richtung die Grenze bildet. Wenn in seitlicher Richtung, gegen
das Schiff auf der See, das Machtgebiet des Staates einer Erstreckung theil¬
haftig wird durch die Tragweite seiner Kanonen, fo erscheint als un¬
vermeidliche Konsequenz, daß diese gleiche Art und Ausdehnung der Er¬
streckung auch anerkannt wird in der Richtung aufwärts gegenüber dem Luft¬
schiff. Selbstverständlich kann dabei nicht die horizontale, sondern nur die
vertikale Tragweite der Geschütze entscheiden, welche, beiläufig bemerkt, wohl
höchstens zu 4000 Fuß angenommen werden darf. Der in seinem Grunde
alte, nur in dieser Anwendung neue Satz giebt also dem Staat als Ausfluß der
Gebietshoheit eine rechtliche Herrschaft über die auf dem Gebiet ruhende Luft¬
säule, grau8<zns auraö v törra imperari xotsst. Gleichgiltig ist für unser
Strafrecht, ob wir auf der passirten Linie Geschütze stehen hatten, ob wir
das Luftschiff auf feiner Fahrt bemerkten, ob dessen Insassen die töirg. urna,
und auf derselben uns beobachten konnten oder durch Nebel, Wolken, Dun¬
kelheit daran verhindert wurden.

Erkennt man die Nichtigkeit des aufgestellten Rechtssatzes an, so sind
wir nicht nur befugt, die fremden Civilisten kriegsrechtlich abzuurtheilen,
welche sich als Kundschafter oder Träger feindlicher Depeschen u. s. w. in
den Luftrayon unseres Heeres begeben, sondern wir werden durch eine all¬
gemeine Strafandrohung gegen das unbefugte Eindringen in unsere Linien
zugleich berechtigt, das bons. naiv, also z. B. blos zum Zweck der Flucht aus
einem belagerten Platz, erfolgende Kreuzen der von uns beherrschten Luftsäule
als Eindringen in den von unserer Kriegsmacht beherrschten Raum zu be¬
trachten, Andererseits können wir den Fremden nicht strafen, der, wenngleich
in feindlicher Absicht, über unser Heerlager hin die Luft in einer Höhe durch¬
fliegt, welche für unsere Kanonen unerreichbar bleibt. Gans Lussac's Ballon ist
im Jahr 1806 bekanntlich bis zu der Höhe von 26000 Fuß aufgestiegen.
Die aus dem belagerten Paris entsandten Luftschiffe können bei ihren gerin¬
geren Dimensionen wohl nicht über 3000 bis 4000 Fuß sich erhoben haben.
War die Absicht der Luftschiffer innerhalb der auf unserm Gebiet ruhenden
Luftsäule nur auf eine Reise in unerreichbarer Höhe gerichtet, so sind wir zu
Anwendung kriegsrechtlicher Strafen nicht befugt, wenn die Reisenden wider


bietshoheit über die Küste zur Herrschaft über den Küstensaum des Meeres
eine so zutreffende Analogie, daß ich nicht einsehe, wie deren Verwerthung be¬
kämpft werden will. Im modernen Völkerrecht gilt jetzt allgemein der Satz,
daß die Gebietshoheit über die Küste eine Erweiterung in das Meer nur,
aber auch jedenfalls soweit erfährt, HuoutML mari e terra. iiuxerari xotsst,
d. h. fo weit die Kanonen vom Land aus tragen. Es liegt schlechterdings
kein Grund vor, das Luftmeer, durch welches in vertikaler Richtung das feste
Land begrenzt wird, anders zu behandeln, als das Wassermeer, welches in
horizontaler Richtung die Grenze bildet. Wenn in seitlicher Richtung, gegen
das Schiff auf der See, das Machtgebiet des Staates einer Erstreckung theil¬
haftig wird durch die Tragweite seiner Kanonen, fo erscheint als un¬
vermeidliche Konsequenz, daß diese gleiche Art und Ausdehnung der Er¬
streckung auch anerkannt wird in der Richtung aufwärts gegenüber dem Luft¬
schiff. Selbstverständlich kann dabei nicht die horizontale, sondern nur die
vertikale Tragweite der Geschütze entscheiden, welche, beiläufig bemerkt, wohl
höchstens zu 4000 Fuß angenommen werden darf. Der in seinem Grunde
alte, nur in dieser Anwendung neue Satz giebt also dem Staat als Ausfluß der
Gebietshoheit eine rechtliche Herrschaft über die auf dem Gebiet ruhende Luft¬
säule, grau8<zns auraö v törra imperari xotsst. Gleichgiltig ist für unser
Strafrecht, ob wir auf der passirten Linie Geschütze stehen hatten, ob wir
das Luftschiff auf feiner Fahrt bemerkten, ob dessen Insassen die töirg. urna,
und auf derselben uns beobachten konnten oder durch Nebel, Wolken, Dun¬
kelheit daran verhindert wurden.

Erkennt man die Nichtigkeit des aufgestellten Rechtssatzes an, so sind
wir nicht nur befugt, die fremden Civilisten kriegsrechtlich abzuurtheilen,
welche sich als Kundschafter oder Träger feindlicher Depeschen u. s. w. in
den Luftrayon unseres Heeres begeben, sondern wir werden durch eine all¬
gemeine Strafandrohung gegen das unbefugte Eindringen in unsere Linien
zugleich berechtigt, das bons. naiv, also z. B. blos zum Zweck der Flucht aus
einem belagerten Platz, erfolgende Kreuzen der von uns beherrschten Luftsäule
als Eindringen in den von unserer Kriegsmacht beherrschten Raum zu be¬
trachten, Andererseits können wir den Fremden nicht strafen, der, wenngleich
in feindlicher Absicht, über unser Heerlager hin die Luft in einer Höhe durch¬
fliegt, welche für unsere Kanonen unerreichbar bleibt. Gans Lussac's Ballon ist
im Jahr 1806 bekanntlich bis zu der Höhe von 26000 Fuß aufgestiegen.
Die aus dem belagerten Paris entsandten Luftschiffe können bei ihren gerin¬
geren Dimensionen wohl nicht über 3000 bis 4000 Fuß sich erhoben haben.
War die Absicht der Luftschiffer innerhalb der auf unserm Gebiet ruhenden
Luftsäule nur auf eine Reise in unerreichbarer Höhe gerichtet, so sind wir zu
Anwendung kriegsrechtlicher Strafen nicht befugt, wenn die Reisenden wider


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[0478] bietshoheit über die Küste zur Herrschaft über den Küstensaum des Meeres eine so zutreffende Analogie, daß ich nicht einsehe, wie deren Verwerthung be¬ kämpft werden will. Im modernen Völkerrecht gilt jetzt allgemein der Satz, daß die Gebietshoheit über die Küste eine Erweiterung in das Meer nur, aber auch jedenfalls soweit erfährt, HuoutML mari e terra. iiuxerari xotsst, d. h. fo weit die Kanonen vom Land aus tragen. Es liegt schlechterdings kein Grund vor, das Luftmeer, durch welches in vertikaler Richtung das feste Land begrenzt wird, anders zu behandeln, als das Wassermeer, welches in horizontaler Richtung die Grenze bildet. Wenn in seitlicher Richtung, gegen das Schiff auf der See, das Machtgebiet des Staates einer Erstreckung theil¬ haftig wird durch die Tragweite seiner Kanonen, fo erscheint als un¬ vermeidliche Konsequenz, daß diese gleiche Art und Ausdehnung der Er¬ streckung auch anerkannt wird in der Richtung aufwärts gegenüber dem Luft¬ schiff. Selbstverständlich kann dabei nicht die horizontale, sondern nur die vertikale Tragweite der Geschütze entscheiden, welche, beiläufig bemerkt, wohl höchstens zu 4000 Fuß angenommen werden darf. Der in seinem Grunde alte, nur in dieser Anwendung neue Satz giebt also dem Staat als Ausfluß der Gebietshoheit eine rechtliche Herrschaft über die auf dem Gebiet ruhende Luft¬ säule, grau8<zns auraö v törra imperari xotsst. Gleichgiltig ist für unser Strafrecht, ob wir auf der passirten Linie Geschütze stehen hatten, ob wir das Luftschiff auf feiner Fahrt bemerkten, ob dessen Insassen die töirg. urna, und auf derselben uns beobachten konnten oder durch Nebel, Wolken, Dun¬ kelheit daran verhindert wurden. Erkennt man die Nichtigkeit des aufgestellten Rechtssatzes an, so sind wir nicht nur befugt, die fremden Civilisten kriegsrechtlich abzuurtheilen, welche sich als Kundschafter oder Träger feindlicher Depeschen u. s. w. in den Luftrayon unseres Heeres begeben, sondern wir werden durch eine all¬ gemeine Strafandrohung gegen das unbefugte Eindringen in unsere Linien zugleich berechtigt, das bons. naiv, also z. B. blos zum Zweck der Flucht aus einem belagerten Platz, erfolgende Kreuzen der von uns beherrschten Luftsäule als Eindringen in den von unserer Kriegsmacht beherrschten Raum zu be¬ trachten, Andererseits können wir den Fremden nicht strafen, der, wenngleich in feindlicher Absicht, über unser Heerlager hin die Luft in einer Höhe durch¬ fliegt, welche für unsere Kanonen unerreichbar bleibt. Gans Lussac's Ballon ist im Jahr 1806 bekanntlich bis zu der Höhe von 26000 Fuß aufgestiegen. Die aus dem belagerten Paris entsandten Luftschiffe können bei ihren gerin¬ geren Dimensionen wohl nicht über 3000 bis 4000 Fuß sich erhoben haben. War die Absicht der Luftschiffer innerhalb der auf unserm Gebiet ruhenden Luftsäule nur auf eine Reise in unerreichbarer Höhe gerichtet, so sind wir zu Anwendung kriegsrechtlicher Strafen nicht befugt, wenn die Reisenden wider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/478>, abgerufen am 29.09.2024.