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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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sirte. Aber Worth wurde entweder als verspäteter Theilnehmer an dieser
Expedition zurückgewiesen oder, wie er einmal ausplaudert, er mochte die
schon gezählten 100 Pfd. nicht verlieren, ohne dafür die vertragsmäßige Ge¬
genleistung in Luft und Wolken zu genießen. Vielleicht auch schwebte ihm
die Luftfahrt als Reclame aller Reclamen vor, oder war er doch nicht so
ganz Kons. säe Reisender, wie er betheuert. Am 27. October, Nachmittags
2 Uhr, stieg Worth mit drei Genossen in einem "Privatballon" auf. Aber
der Nordwestwind, der das Luftschiff nach Belgien führen sollte, setzte in West
um. Gegen ^5 Uhr war man durch die einbrechende Dunkelheit genöthigt,
sich der Erde zu nähern. Als man in dieser Senkungsbewegung eben die
Wolkenschicht durchbrochen hatte und sich 700--800 Fuß über der Erdober¬
fläche befand, wurde der Ballon von deutschen Kugeln angeschossen. Um
nicht getödtet zu werden, ließ man sich eiligst nieder zur Erde. Der übliche
starke Anprall blieb beim Landen nicht aus. In einem Lalto mortale ge¬
langte Worth auf den Boden, mit ihm zwei andere Insassen des Ballons.
Der vierte Passagier wurde von dem, des größten Theils seiner Last ent¬
ledigten Luftschiff im Moment wieder zu den Wolken entführt. Die Herren
Worth, Atm und Cuzon waren in die Hände der Heeresabtheilung gefallen,
welche damals noch Verdun belagerte, und wurden zunächst nach Versailles
geschafft. Dort blieben sie vom 5. bis 14. Novbr.; Worth wußte nach eini¬
gen Tagen den Oberst Walker von seiner Lage in Kenntniß zu setzen, und
empfing nun täglich dessen Besuche. Bon Versailles wurden die Gefangenen
nach Cöln transportirt, dort vor ein Kriegsgericht gestellt, am 18. Januar
freigesprochen, aber erst am 20. Febr. entlassen, weil der Spruch des Kriegs¬
gerichts vor Eröffnung und Ausführung in das große Hauptquartier nach
Versailles zur Bestätigung hatte gesandt werden müssen.

Meine Bemühungen, Genaueres über den Inhalt der Anklage und des
Urtheils zu erfahren, sind erfolglos geblieben. Doch gibt eine Depesche des
Grafen Bismarck an den Baron Thile, vom 3. Decbr. 1870, einige Aus¬
kunft. In dem Ballon sei verbotene, der Bestrafung nach Kriegsbrauch
unterliegende Korrespondenz befördert worden, die Gefangenen seien verdächtig,
Beförderer solcher Briefschaften gewesen zu sein. Außer dieser Leistung heim¬
licher Dienste zu Gunsten des Feindes ist in der Depesche des Reichskanzlers
die Rede von dem Verdacht der Spionage. Aber, wenn auch diese Beschuldi¬
gungen nicht begründet erfunden werden sollten, sei Verhaftung und Unter¬
suchung schon darum gerechtfertigt, weil Worth ohne Controle durch die
deutsche Kriegsmacht die deutschen Stellungen und Posten gekreuzt und aus¬
gespäht habe, möglicherweise mit dem Gedanken zum Schaden des deutschen
Heeres von seinen Wahrnehmungen Gebrauch zu machen. Vermuthlich soll
dem mangelhaften Verständniß des Lord Loftus unter die Arme gegriffen


sirte. Aber Worth wurde entweder als verspäteter Theilnehmer an dieser
Expedition zurückgewiesen oder, wie er einmal ausplaudert, er mochte die
schon gezählten 100 Pfd. nicht verlieren, ohne dafür die vertragsmäßige Ge¬
genleistung in Luft und Wolken zu genießen. Vielleicht auch schwebte ihm
die Luftfahrt als Reclame aller Reclamen vor, oder war er doch nicht so
ganz Kons. säe Reisender, wie er betheuert. Am 27. October, Nachmittags
2 Uhr, stieg Worth mit drei Genossen in einem „Privatballon" auf. Aber
der Nordwestwind, der das Luftschiff nach Belgien führen sollte, setzte in West
um. Gegen ^5 Uhr war man durch die einbrechende Dunkelheit genöthigt,
sich der Erde zu nähern. Als man in dieser Senkungsbewegung eben die
Wolkenschicht durchbrochen hatte und sich 700—800 Fuß über der Erdober¬
fläche befand, wurde der Ballon von deutschen Kugeln angeschossen. Um
nicht getödtet zu werden, ließ man sich eiligst nieder zur Erde. Der übliche
starke Anprall blieb beim Landen nicht aus. In einem Lalto mortale ge¬
langte Worth auf den Boden, mit ihm zwei andere Insassen des Ballons.
Der vierte Passagier wurde von dem, des größten Theils seiner Last ent¬
ledigten Luftschiff im Moment wieder zu den Wolken entführt. Die Herren
Worth, Atm und Cuzon waren in die Hände der Heeresabtheilung gefallen,
welche damals noch Verdun belagerte, und wurden zunächst nach Versailles
geschafft. Dort blieben sie vom 5. bis 14. Novbr.; Worth wußte nach eini¬
gen Tagen den Oberst Walker von seiner Lage in Kenntniß zu setzen, und
empfing nun täglich dessen Besuche. Bon Versailles wurden die Gefangenen
nach Cöln transportirt, dort vor ein Kriegsgericht gestellt, am 18. Januar
freigesprochen, aber erst am 20. Febr. entlassen, weil der Spruch des Kriegs¬
gerichts vor Eröffnung und Ausführung in das große Hauptquartier nach
Versailles zur Bestätigung hatte gesandt werden müssen.

Meine Bemühungen, Genaueres über den Inhalt der Anklage und des
Urtheils zu erfahren, sind erfolglos geblieben. Doch gibt eine Depesche des
Grafen Bismarck an den Baron Thile, vom 3. Decbr. 1870, einige Aus¬
kunft. In dem Ballon sei verbotene, der Bestrafung nach Kriegsbrauch
unterliegende Korrespondenz befördert worden, die Gefangenen seien verdächtig,
Beförderer solcher Briefschaften gewesen zu sein. Außer dieser Leistung heim¬
licher Dienste zu Gunsten des Feindes ist in der Depesche des Reichskanzlers
die Rede von dem Verdacht der Spionage. Aber, wenn auch diese Beschuldi¬
gungen nicht begründet erfunden werden sollten, sei Verhaftung und Unter¬
suchung schon darum gerechtfertigt, weil Worth ohne Controle durch die
deutsche Kriegsmacht die deutschen Stellungen und Posten gekreuzt und aus¬
gespäht habe, möglicherweise mit dem Gedanken zum Schaden des deutschen
Heeres von seinen Wahrnehmungen Gebrauch zu machen. Vermuthlich soll
dem mangelhaften Verständniß des Lord Loftus unter die Arme gegriffen


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[0474] sirte. Aber Worth wurde entweder als verspäteter Theilnehmer an dieser Expedition zurückgewiesen oder, wie er einmal ausplaudert, er mochte die schon gezählten 100 Pfd. nicht verlieren, ohne dafür die vertragsmäßige Ge¬ genleistung in Luft und Wolken zu genießen. Vielleicht auch schwebte ihm die Luftfahrt als Reclame aller Reclamen vor, oder war er doch nicht so ganz Kons. säe Reisender, wie er betheuert. Am 27. October, Nachmittags 2 Uhr, stieg Worth mit drei Genossen in einem „Privatballon" auf. Aber der Nordwestwind, der das Luftschiff nach Belgien führen sollte, setzte in West um. Gegen ^5 Uhr war man durch die einbrechende Dunkelheit genöthigt, sich der Erde zu nähern. Als man in dieser Senkungsbewegung eben die Wolkenschicht durchbrochen hatte und sich 700—800 Fuß über der Erdober¬ fläche befand, wurde der Ballon von deutschen Kugeln angeschossen. Um nicht getödtet zu werden, ließ man sich eiligst nieder zur Erde. Der übliche starke Anprall blieb beim Landen nicht aus. In einem Lalto mortale ge¬ langte Worth auf den Boden, mit ihm zwei andere Insassen des Ballons. Der vierte Passagier wurde von dem, des größten Theils seiner Last ent¬ ledigten Luftschiff im Moment wieder zu den Wolken entführt. Die Herren Worth, Atm und Cuzon waren in die Hände der Heeresabtheilung gefallen, welche damals noch Verdun belagerte, und wurden zunächst nach Versailles geschafft. Dort blieben sie vom 5. bis 14. Novbr.; Worth wußte nach eini¬ gen Tagen den Oberst Walker von seiner Lage in Kenntniß zu setzen, und empfing nun täglich dessen Besuche. Bon Versailles wurden die Gefangenen nach Cöln transportirt, dort vor ein Kriegsgericht gestellt, am 18. Januar freigesprochen, aber erst am 20. Febr. entlassen, weil der Spruch des Kriegs¬ gerichts vor Eröffnung und Ausführung in das große Hauptquartier nach Versailles zur Bestätigung hatte gesandt werden müssen. Meine Bemühungen, Genaueres über den Inhalt der Anklage und des Urtheils zu erfahren, sind erfolglos geblieben. Doch gibt eine Depesche des Grafen Bismarck an den Baron Thile, vom 3. Decbr. 1870, einige Aus¬ kunft. In dem Ballon sei verbotene, der Bestrafung nach Kriegsbrauch unterliegende Korrespondenz befördert worden, die Gefangenen seien verdächtig, Beförderer solcher Briefschaften gewesen zu sein. Außer dieser Leistung heim¬ licher Dienste zu Gunsten des Feindes ist in der Depesche des Reichskanzlers die Rede von dem Verdacht der Spionage. Aber, wenn auch diese Beschuldi¬ gungen nicht begründet erfunden werden sollten, sei Verhaftung und Unter¬ suchung schon darum gerechtfertigt, weil Worth ohne Controle durch die deutsche Kriegsmacht die deutschen Stellungen und Posten gekreuzt und aus¬ gespäht habe, möglicherweise mit dem Gedanken zum Schaden des deutschen Heeres von seinen Wahrnehmungen Gebrauch zu machen. Vermuthlich soll dem mangelhaften Verständniß des Lord Loftus unter die Arme gegriffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/474>, abgerufen am 28.12.2024.