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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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ren, und einer oder zwei saßen noch die Pickelhaube auf dem Kopfe beim
Essen, wobei sie gelegentlich mit vollem Munde eine Bemerkung herauspol¬
terten.

"Wackere Soldaten, diese englischen Freiwilligen/' sagte ein breitschulte¬
riger Lümmel, indem er einen großen Klumpen Fleisch mit einer silbernen
Gabel in den Mund schob, einem Geräth, welches er wohl zum ersten Mal
in seinem Leben gebrauchte.*)

"Ja, ja," erwiderte ein Kamerad, der sich in seinem Stuhl zurückkehrte/
ein Paar sehr schmutzige Beine auf den Tisch gelegt hatte und eine von den
besten Cigarren des armen Travers rauchte, "sie können sehr gut laufen."

"Ja wohl," antwortete der erste Sprecher, "aber so schnell wie die fran¬
zösischen Moblots sind sie doch nicht."

"Gewiß." grunzte ein ungeschlachter Tölpel, der am Boden lag, die Ell¬
bogen untergestützt hatte und aus seinem garstigen Maul eine Wolke von
Rauch entsandte, "und es giebt hier recht gute Schützen."

"Hast Recht, langer Peter," antwortete Nummer Eins, "wenn die
Schützen hier so gut exerciren wie schießen könnten, wären wir heute nicht
hier."

"Richtig", sagte der Zweite, "das Ererciren macht den guten Soldaten."

Was sonst noch für Kritik über die Mängel unsrer unglücklichen Frei¬
willigen geübt wurde, hörte ich nicht, da ich mich abwendete, indem ein Ge¬
räusch auf der Treppe meine Aufmerksamkeit ablenkte. Es war Frau Tra¬
vers, die auf dem Treppenabsatze stand. Von den vielen Bildern, die sich
aus diesen verhängniswollen Tagen meinem Gedächtnisse eingeprägt haben,
steht mir keines klarer vor der Seele, als der trauervolle Anblick meiner armen
Freundin, der in wenigen Augenblicken zur Wittwe und zugleich kinderlos
Gewordenen, wie sie so dastand in ihrem weißen Kleide. Wie ein Geist kam
sie aus der Kammer der Todten. Die Kerze, die sie in der Hand hielt, be¬
strahlte ihr Antlitz und zeigte den Contrast desselben mit seiner Blässe und
dem dunkeln Haar, welches ungeordnet dasselbe umwallte, wobei dessen Schön¬
heit selbst durch die abgehärmten und todtmüden Züge strahlend zu erkennen
war. Sie war ruhig und sogar ohne Thränen, obwohl das Zucken ihrer
Lippen die Anstrengung verrieth, die es ihr kostete, die Bewegung zurückzu¬
halten, die sie empfand.

"Theurer Freund," sagte sie, meine Hand ergreifend, "ich kam, um Sie
zu suchen. Verzeihen Sie meine Selbstsucht, wenn ich Sie so lange vernach-



*) Sehr bezeichnend für die Nnffassnng der Deutschen dnrch die hochmiithige öffentliche
Meinung in England, dem Lande der Geldprotzen. Der Murr ist ein Lümmel, eigentlich el"
"Vieh" (brnts) weil er noch nicht mit Silber gespeist hat -- ein Pendant zu der verächtlichen
Aensiernng ans hohem Munde, eine reiche Kaufmnnnsfamilie in Liverpool oder Manchester
habe mehr Silberzeug als der ganze prcnsiische Adel, folglich müsste oder könnte n. s. w.

ren, und einer oder zwei saßen noch die Pickelhaube auf dem Kopfe beim
Essen, wobei sie gelegentlich mit vollem Munde eine Bemerkung herauspol¬
terten.

„Wackere Soldaten, diese englischen Freiwilligen/' sagte ein breitschulte¬
riger Lümmel, indem er einen großen Klumpen Fleisch mit einer silbernen
Gabel in den Mund schob, einem Geräth, welches er wohl zum ersten Mal
in seinem Leben gebrauchte.*)

„Ja, ja," erwiderte ein Kamerad, der sich in seinem Stuhl zurückkehrte/
ein Paar sehr schmutzige Beine auf den Tisch gelegt hatte und eine von den
besten Cigarren des armen Travers rauchte, „sie können sehr gut laufen."

„Ja wohl," antwortete der erste Sprecher, „aber so schnell wie die fran¬
zösischen Moblots sind sie doch nicht."

„Gewiß." grunzte ein ungeschlachter Tölpel, der am Boden lag, die Ell¬
bogen untergestützt hatte und aus seinem garstigen Maul eine Wolke von
Rauch entsandte, „und es giebt hier recht gute Schützen."

„Hast Recht, langer Peter," antwortete Nummer Eins, „wenn die
Schützen hier so gut exerciren wie schießen könnten, wären wir heute nicht
hier."

„Richtig", sagte der Zweite, „das Ererciren macht den guten Soldaten."

Was sonst noch für Kritik über die Mängel unsrer unglücklichen Frei¬
willigen geübt wurde, hörte ich nicht, da ich mich abwendete, indem ein Ge¬
räusch auf der Treppe meine Aufmerksamkeit ablenkte. Es war Frau Tra¬
vers, die auf dem Treppenabsatze stand. Von den vielen Bildern, die sich
aus diesen verhängniswollen Tagen meinem Gedächtnisse eingeprägt haben,
steht mir keines klarer vor der Seele, als der trauervolle Anblick meiner armen
Freundin, der in wenigen Augenblicken zur Wittwe und zugleich kinderlos
Gewordenen, wie sie so dastand in ihrem weißen Kleide. Wie ein Geist kam
sie aus der Kammer der Todten. Die Kerze, die sie in der Hand hielt, be¬
strahlte ihr Antlitz und zeigte den Contrast desselben mit seiner Blässe und
dem dunkeln Haar, welches ungeordnet dasselbe umwallte, wobei dessen Schön¬
heit selbst durch die abgehärmten und todtmüden Züge strahlend zu erkennen
war. Sie war ruhig und sogar ohne Thränen, obwohl das Zucken ihrer
Lippen die Anstrengung verrieth, die es ihr kostete, die Bewegung zurückzu¬
halten, die sie empfand.

„Theurer Freund," sagte sie, meine Hand ergreifend, „ich kam, um Sie
zu suchen. Verzeihen Sie meine Selbstsucht, wenn ich Sie so lange vernach-



*) Sehr bezeichnend für die Nnffassnng der Deutschen dnrch die hochmiithige öffentliche
Meinung in England, dem Lande der Geldprotzen. Der Murr ist ein Lümmel, eigentlich el»
„Vieh" (brnts) weil er noch nicht mit Silber gespeist hat — ein Pendant zu der verächtlichen
Aensiernng ans hohem Munde, eine reiche Kaufmnnnsfamilie in Liverpool oder Manchester
habe mehr Silberzeug als der ganze prcnsiische Adel, folglich müsste oder könnte n. s. w.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/466>, abgerufen am 29.09.2024.