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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Kanone abfeuern hörte, und obschon es fünfzig Jahre her ist, ist das grim¬
mige Pfeifen des Schusses, als er das Rohr verlassen, noch in meinen Ohren.
Dieses Geräusch sollte bald allgemein werden. Wir alle sprangen auf und
stellten uns schier eher, als Befehl kam, in Reihe und Glied, faßten unsre
Büchsen mit festem Griff und die ersten Reihen blickten vorwärts, um den
herankommenden Feind zu erspähen.

Jener Kanonenschuß war offenbar das Signal zum Beginn; denn jetzt
eröffneten unsre Batterien das Feuer auf der ganzen Linie. Auf was sie
feuerten, konnte ich nicht sehen, und ich bin sicher, daß die Artilleristen selber
nicht viel sehen konnten. Ich sagte euch schon, wie dick die Luft seit dem
Morgen geworden war, und jetzt lagerte sich der Rauch aus den Geschützen
wie eine Wolke vor der Höhe hin, und bald konnten wir wenig mehr als
die Leute in unsern Gliedern und die Umrisse einiger Artilleristen in der
Batterie erkennen, die uns zunächst am Abhang des Hügels ausgefahren war.

Dieses Kanonenfeuer währte wohl fast zwei Stunden fort, und noch
immer erfolgte keine Antwort darauf. Wir konnten die. Leute bei den Ge¬
schützen sehen -- es war reitende Artillerie -- wie sie wüthend darauf los
arbeiteten, luden, den Schuß hineinrammten und mit Munition herbeiliefen,
indem der commandirende Offizier langsam hinter seinen Stücken hin und her
ritt und mit seinem Feldstecher in den Nebel hineinspähte. Ein paar Mal
setzten sie mit dem Schießen aus, um den Rauch sich verziehen zu lassen, aber
das half nicht viel.

"Wenn eine Batterie weiter nichts ist," sagte Dick Wale, welcher mein
Nebenmann war, "so ists gerade kein Zahnbrechen."

Die Worte waren kaum heraus, als sich in unsrer Front Geknatter von
Gewehrfeuer hören ließ. Unsre Plänkler waren am Werke, und bald begannen
die Kugeln über unsre Köpfe hin zu pfeifen, und einige schlugen zu unsern
Füßen in den Boden. Bis jetzt hatten wir in Colonne gestanden, nunmehr
wurden wir aus dem uns angewiesenen Terrain in eine Linie aufgelöst. Von
dem Thale zu unsrer Linken zog sich fast genau westlich eine Feldgasse am
Hügel herauf. Diese Gasse hatte eine etwa vier Fuß hohe Erdböschung zur
Einfassung, und der größere Theil des Regiments war hinter derselben auf¬
gestellt. Aber etwas weiter oben wendete sich die Gasse wieder von unserer
Linie ab, und so verließ die rechte Hälfte des Regiments hier dieselbe und
hielt das offne Grasland des Parks besetzt. Die Böschung war hier wegge¬
graben, um unser Kommen und Gehen zu gestatten. Man hatte uns am
Morgen befohlen, das Buschwerk oben auf der Böschung abzuholzen, um
das Schießen zu erleichtern, aber wir hatten keine Werkzeuge dazu. Indeß
war ein Trupp Sappeurs heruntergekommen und hatte die Sache beendigt.
Meine Compagnie stand auf der Rechten und folglich außerhalb des Schutzes,


Kanone abfeuern hörte, und obschon es fünfzig Jahre her ist, ist das grim¬
mige Pfeifen des Schusses, als er das Rohr verlassen, noch in meinen Ohren.
Dieses Geräusch sollte bald allgemein werden. Wir alle sprangen auf und
stellten uns schier eher, als Befehl kam, in Reihe und Glied, faßten unsre
Büchsen mit festem Griff und die ersten Reihen blickten vorwärts, um den
herankommenden Feind zu erspähen.

Jener Kanonenschuß war offenbar das Signal zum Beginn; denn jetzt
eröffneten unsre Batterien das Feuer auf der ganzen Linie. Auf was sie
feuerten, konnte ich nicht sehen, und ich bin sicher, daß die Artilleristen selber
nicht viel sehen konnten. Ich sagte euch schon, wie dick die Luft seit dem
Morgen geworden war, und jetzt lagerte sich der Rauch aus den Geschützen
wie eine Wolke vor der Höhe hin, und bald konnten wir wenig mehr als
die Leute in unsern Gliedern und die Umrisse einiger Artilleristen in der
Batterie erkennen, die uns zunächst am Abhang des Hügels ausgefahren war.

Dieses Kanonenfeuer währte wohl fast zwei Stunden fort, und noch
immer erfolgte keine Antwort darauf. Wir konnten die. Leute bei den Ge¬
schützen sehen — es war reitende Artillerie — wie sie wüthend darauf los
arbeiteten, luden, den Schuß hineinrammten und mit Munition herbeiliefen,
indem der commandirende Offizier langsam hinter seinen Stücken hin und her
ritt und mit seinem Feldstecher in den Nebel hineinspähte. Ein paar Mal
setzten sie mit dem Schießen aus, um den Rauch sich verziehen zu lassen, aber
das half nicht viel.

„Wenn eine Batterie weiter nichts ist," sagte Dick Wale, welcher mein
Nebenmann war, „so ists gerade kein Zahnbrechen."

Die Worte waren kaum heraus, als sich in unsrer Front Geknatter von
Gewehrfeuer hören ließ. Unsre Plänkler waren am Werke, und bald begannen
die Kugeln über unsre Köpfe hin zu pfeifen, und einige schlugen zu unsern
Füßen in den Boden. Bis jetzt hatten wir in Colonne gestanden, nunmehr
wurden wir aus dem uns angewiesenen Terrain in eine Linie aufgelöst. Von
dem Thale zu unsrer Linken zog sich fast genau westlich eine Feldgasse am
Hügel herauf. Diese Gasse hatte eine etwa vier Fuß hohe Erdböschung zur
Einfassung, und der größere Theil des Regiments war hinter derselben auf¬
gestellt. Aber etwas weiter oben wendete sich die Gasse wieder von unserer
Linie ab, und so verließ die rechte Hälfte des Regiments hier dieselbe und
hielt das offne Grasland des Parks besetzt. Die Böschung war hier wegge¬
graben, um unser Kommen und Gehen zu gestatten. Man hatte uns am
Morgen befohlen, das Buschwerk oben auf der Böschung abzuholzen, um
das Schießen zu erleichtern, aber wir hatten keine Werkzeuge dazu. Indeß
war ein Trupp Sappeurs heruntergekommen und hatte die Sache beendigt.
Meine Compagnie stand auf der Rechten und folglich außerhalb des Schutzes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/423>, abgerufen am 29.12.2024.