Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Colonne aufstellten. Ob sie etwas vor sich sehen konnten, wußte ich nicht;
denn wir selbst waren hinter dem Hügelkamm und konnten deshalb nicht in
das Thal hinabblicken, aber bald nachher wurde zum Sammeln geblasen. Com-
mandirende Officiere wurden vom General herbei gerufen und empfingen kurze
Weisungen, worauf die Colonne wieder auf London zu marschirte, die Miliz
jetzt zu hinterst in der Brigade. Ein Gerücht in Betreff dieses neuen Contre-
marsches verbreitete sich bald durch die Reihen. Der Feind wollte uns hier
nicht angreifen, sondern versuchte, die Position auf beiden Seiten zu umgehen,
indem eine seiner Colonnen sich aus Reigate, die andere sich auf Aldershot
richtete. So mußten wir zurück und bei Dorking Stellung nehmen. Die
Linie der großen Kreidehügel-Kette sollte vertheidigt werden. Eine starke
Streitmacht concentrirte sich zu Guildford, eine zweite zu Neigate, und wir
sollten Stützpunkte bei Dorking finden. Der Feind würde in diesen Positionen
erwartet werden. Das war, soviel wir Gemeinen erfahren konnten, der
Operationsplan. So marschirten wir denn den Hügel hinab. Von einem
Punkte hatten wir einen kurzen Blick aus die Eisenbahn in dem Thale zwischen
Dorking und Horsham. Leute in rothen Röcken arbeiteten an ihr hier und
da. Es waren Royal Engineers, sagte Jemand, welche die Bahn zerstörten.

Weiter ging's. Der Staub schien schlimmer wie je. In einem Dorfe,
das wir passirten, war eine Pumpe auf dem Anger. Hier hielten wir und
thaten einen guten Trunk, und indem wir an einem großen Bauernhofe vor¬
beizogen, standen die Frau des Bauern und zwei oder drei von ihren Mägden
vor der Thür und reichten uns aus Körben große Stücken Brot und Käse.
Ich bekam auch einen Bissen davon, aber der Boden der Körbe muß bald er¬
reicht gewesen sein. Sonst war bis Dorking, wo wir 6 Uhr Abends eintrafen,
durchaus nichts zu haben; in der That, die meisten Bauernhäuser schienen be¬
reits verlassen. Als wir dort ankamen, wurden wir in der Straße aufgestellt
gerade über von einem Bäckerladen. Unsere Leute baten zuerst um Erlaubniß,
zu zweien oder dreien hineinzugehen und einige Laibe zu kaufen, aber bald
brachen andere aus Reihe und Glied und drängten sich im Laden, und zuletzt
gab es eine förmliche Balgerei. Wäre einige Ordnung bewahrt und eine re¬
gelmäßige Vertheilung eingerichtet worden, so würden sie ohne Zweifel sich
ordentlich genug aufgeführt haben. Aber Hunger macht selbstsüchtig, jedermann
fühlte, daß sein Zurückbleiben ihm schaden, ihn um sein Antheil bringen
würde, und so nahm zuletzt fast das ganze Regiment an dem Gedränge und Gewürze
theil, und der Laden war in ein paar Minuten geleert, während, was das Be¬
zahlen betrifft, man in dem Gebremst die Hand nicht in die Tasche bringen
konnte. Vergebens versuchte der Oberst dem Unfug Einhalt zu thun, einige
der Officiere waren so schlimm wie die Leute. Gerade da ritt ein Stabsofficier
vorbei, er konnte kaum durch die Menge hindurch und wurde grob herumge-


Colonne aufstellten. Ob sie etwas vor sich sehen konnten, wußte ich nicht;
denn wir selbst waren hinter dem Hügelkamm und konnten deshalb nicht in
das Thal hinabblicken, aber bald nachher wurde zum Sammeln geblasen. Com-
mandirende Officiere wurden vom General herbei gerufen und empfingen kurze
Weisungen, worauf die Colonne wieder auf London zu marschirte, die Miliz
jetzt zu hinterst in der Brigade. Ein Gerücht in Betreff dieses neuen Contre-
marsches verbreitete sich bald durch die Reihen. Der Feind wollte uns hier
nicht angreifen, sondern versuchte, die Position auf beiden Seiten zu umgehen,
indem eine seiner Colonnen sich aus Reigate, die andere sich auf Aldershot
richtete. So mußten wir zurück und bei Dorking Stellung nehmen. Die
Linie der großen Kreidehügel-Kette sollte vertheidigt werden. Eine starke
Streitmacht concentrirte sich zu Guildford, eine zweite zu Neigate, und wir
sollten Stützpunkte bei Dorking finden. Der Feind würde in diesen Positionen
erwartet werden. Das war, soviel wir Gemeinen erfahren konnten, der
Operationsplan. So marschirten wir denn den Hügel hinab. Von einem
Punkte hatten wir einen kurzen Blick aus die Eisenbahn in dem Thale zwischen
Dorking und Horsham. Leute in rothen Röcken arbeiteten an ihr hier und
da. Es waren Royal Engineers, sagte Jemand, welche die Bahn zerstörten.

Weiter ging's. Der Staub schien schlimmer wie je. In einem Dorfe,
das wir passirten, war eine Pumpe auf dem Anger. Hier hielten wir und
thaten einen guten Trunk, und indem wir an einem großen Bauernhofe vor¬
beizogen, standen die Frau des Bauern und zwei oder drei von ihren Mägden
vor der Thür und reichten uns aus Körben große Stücken Brot und Käse.
Ich bekam auch einen Bissen davon, aber der Boden der Körbe muß bald er¬
reicht gewesen sein. Sonst war bis Dorking, wo wir 6 Uhr Abends eintrafen,
durchaus nichts zu haben; in der That, die meisten Bauernhäuser schienen be¬
reits verlassen. Als wir dort ankamen, wurden wir in der Straße aufgestellt
gerade über von einem Bäckerladen. Unsere Leute baten zuerst um Erlaubniß,
zu zweien oder dreien hineinzugehen und einige Laibe zu kaufen, aber bald
brachen andere aus Reihe und Glied und drängten sich im Laden, und zuletzt
gab es eine förmliche Balgerei. Wäre einige Ordnung bewahrt und eine re¬
gelmäßige Vertheilung eingerichtet worden, so würden sie ohne Zweifel sich
ordentlich genug aufgeführt haben. Aber Hunger macht selbstsüchtig, jedermann
fühlte, daß sein Zurückbleiben ihm schaden, ihn um sein Antheil bringen
würde, und so nahm zuletzt fast das ganze Regiment an dem Gedränge und Gewürze
theil, und der Laden war in ein paar Minuten geleert, während, was das Be¬
zahlen betrifft, man in dem Gebremst die Hand nicht in die Tasche bringen
konnte. Vergebens versuchte der Oberst dem Unfug Einhalt zu thun, einige
der Officiere waren so schlimm wie die Leute. Gerade da ritt ein Stabsofficier
vorbei, er konnte kaum durch die Menge hindurch und wurde grob herumge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126184"/>
          <p xml:id="ID_1250" prev="#ID_1249"> Colonne aufstellten. Ob sie etwas vor sich sehen konnten, wußte ich nicht;<lb/>
denn wir selbst waren hinter dem Hügelkamm und konnten deshalb nicht in<lb/>
das Thal hinabblicken, aber bald nachher wurde zum Sammeln geblasen. Com-<lb/>
mandirende Officiere wurden vom General herbei gerufen und empfingen kurze<lb/>
Weisungen, worauf die Colonne wieder auf London zu marschirte, die Miliz<lb/>
jetzt zu hinterst in der Brigade. Ein Gerücht in Betreff dieses neuen Contre-<lb/>
marsches verbreitete sich bald durch die Reihen. Der Feind wollte uns hier<lb/>
nicht angreifen, sondern versuchte, die Position auf beiden Seiten zu umgehen,<lb/>
indem eine seiner Colonnen sich aus Reigate, die andere sich auf Aldershot<lb/>
richtete. So mußten wir zurück und bei Dorking Stellung nehmen. Die<lb/>
Linie der großen Kreidehügel-Kette sollte vertheidigt werden. Eine starke<lb/>
Streitmacht concentrirte sich zu Guildford, eine zweite zu Neigate, und wir<lb/>
sollten Stützpunkte bei Dorking finden. Der Feind würde in diesen Positionen<lb/>
erwartet werden. Das war, soviel wir Gemeinen erfahren konnten, der<lb/>
Operationsplan. So marschirten wir denn den Hügel hinab. Von einem<lb/>
Punkte hatten wir einen kurzen Blick aus die Eisenbahn in dem Thale zwischen<lb/>
Dorking und Horsham. Leute in rothen Röcken arbeiteten an ihr hier und<lb/>
da.  Es waren Royal Engineers, sagte Jemand, welche die Bahn zerstörten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1251" next="#ID_1252"> Weiter ging's. Der Staub schien schlimmer wie je. In einem Dorfe,<lb/>
das wir passirten, war eine Pumpe auf dem Anger. Hier hielten wir und<lb/>
thaten einen guten Trunk, und indem wir an einem großen Bauernhofe vor¬<lb/>
beizogen, standen die Frau des Bauern und zwei oder drei von ihren Mägden<lb/>
vor der Thür und reichten uns aus Körben große Stücken Brot und Käse.<lb/>
Ich bekam auch einen Bissen davon, aber der Boden der Körbe muß bald er¬<lb/>
reicht gewesen sein. Sonst war bis Dorking, wo wir 6 Uhr Abends eintrafen,<lb/>
durchaus nichts zu haben; in der That, die meisten Bauernhäuser schienen be¬<lb/>
reits verlassen. Als wir dort ankamen, wurden wir in der Straße aufgestellt<lb/>
gerade über von einem Bäckerladen. Unsere Leute baten zuerst um Erlaubniß,<lb/>
zu zweien oder dreien hineinzugehen und einige Laibe zu kaufen, aber bald<lb/>
brachen andere aus Reihe und Glied und drängten sich im Laden, und zuletzt<lb/>
gab es eine förmliche Balgerei. Wäre einige Ordnung bewahrt und eine re¬<lb/>
gelmäßige Vertheilung eingerichtet worden, so würden sie ohne Zweifel sich<lb/>
ordentlich genug aufgeführt haben. Aber Hunger macht selbstsüchtig, jedermann<lb/>
fühlte, daß sein Zurückbleiben ihm schaden, ihn um sein Antheil bringen<lb/>
würde, und so nahm zuletzt fast das ganze Regiment an dem Gedränge und Gewürze<lb/>
theil, und der Laden war in ein paar Minuten geleert, während, was das Be¬<lb/>
zahlen betrifft, man in dem Gebremst die Hand nicht in die Tasche bringen<lb/>
konnte. Vergebens versuchte der Oberst dem Unfug Einhalt zu thun, einige<lb/>
der Officiere waren so schlimm wie die Leute. Gerade da ritt ein Stabsofficier<lb/>
vorbei, er konnte kaum durch die Menge hindurch und wurde grob herumge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Colonne aufstellten. Ob sie etwas vor sich sehen konnten, wußte ich nicht; denn wir selbst waren hinter dem Hügelkamm und konnten deshalb nicht in das Thal hinabblicken, aber bald nachher wurde zum Sammeln geblasen. Com- mandirende Officiere wurden vom General herbei gerufen und empfingen kurze Weisungen, worauf die Colonne wieder auf London zu marschirte, die Miliz jetzt zu hinterst in der Brigade. Ein Gerücht in Betreff dieses neuen Contre- marsches verbreitete sich bald durch die Reihen. Der Feind wollte uns hier nicht angreifen, sondern versuchte, die Position auf beiden Seiten zu umgehen, indem eine seiner Colonnen sich aus Reigate, die andere sich auf Aldershot richtete. So mußten wir zurück und bei Dorking Stellung nehmen. Die Linie der großen Kreidehügel-Kette sollte vertheidigt werden. Eine starke Streitmacht concentrirte sich zu Guildford, eine zweite zu Neigate, und wir sollten Stützpunkte bei Dorking finden. Der Feind würde in diesen Positionen erwartet werden. Das war, soviel wir Gemeinen erfahren konnten, der Operationsplan. So marschirten wir denn den Hügel hinab. Von einem Punkte hatten wir einen kurzen Blick aus die Eisenbahn in dem Thale zwischen Dorking und Horsham. Leute in rothen Röcken arbeiteten an ihr hier und da. Es waren Royal Engineers, sagte Jemand, welche die Bahn zerstörten. Weiter ging's. Der Staub schien schlimmer wie je. In einem Dorfe, das wir passirten, war eine Pumpe auf dem Anger. Hier hielten wir und thaten einen guten Trunk, und indem wir an einem großen Bauernhofe vor¬ beizogen, standen die Frau des Bauern und zwei oder drei von ihren Mägden vor der Thür und reichten uns aus Körben große Stücken Brot und Käse. Ich bekam auch einen Bissen davon, aber der Boden der Körbe muß bald er¬ reicht gewesen sein. Sonst war bis Dorking, wo wir 6 Uhr Abends eintrafen, durchaus nichts zu haben; in der That, die meisten Bauernhäuser schienen be¬ reits verlassen. Als wir dort ankamen, wurden wir in der Straße aufgestellt gerade über von einem Bäckerladen. Unsere Leute baten zuerst um Erlaubniß, zu zweien oder dreien hineinzugehen und einige Laibe zu kaufen, aber bald brachen andere aus Reihe und Glied und drängten sich im Laden, und zuletzt gab es eine förmliche Balgerei. Wäre einige Ordnung bewahrt und eine re¬ gelmäßige Vertheilung eingerichtet worden, so würden sie ohne Zweifel sich ordentlich genug aufgeführt haben. Aber Hunger macht selbstsüchtig, jedermann fühlte, daß sein Zurückbleiben ihm schaden, ihn um sein Antheil bringen würde, und so nahm zuletzt fast das ganze Regiment an dem Gedränge und Gewürze theil, und der Laden war in ein paar Minuten geleert, während, was das Be¬ zahlen betrifft, man in dem Gebremst die Hand nicht in die Tasche bringen konnte. Vergebens versuchte der Oberst dem Unfug Einhalt zu thun, einige der Officiere waren so schlimm wie die Leute. Gerade da ritt ein Stabsofficier vorbei, er konnte kaum durch die Menge hindurch und wurde grob herumge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/402>, abgerufen am 29.09.2024.