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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Geschütze, die anscheinend den Freiwilligen gehörten und von Karrenpferden
gezogen wurden.

Die kühlere Luft, das Gefühl der großen Zahl und die augenscheinliche
Stärke der Stellung, die wir innehalten, erleichterte uns das Herz, welches,
wie ich nicht nicht schäme einzugestehen, den ganzen Morgen uns recht schwer
gewesen. Nicht. daß wir nicht begierig gewesen wären, uns mit dem Feinde
zu messen, sondern weil das Zurückmarschiren und Haltmachen ein ominöses
Schwanken der Ziele derer andeuteten, welche die Leitung der Angelegenheiten
in den Händen hatten. Hier hatten die Eindringlinge in zwei Tagen mehr
als zwanzig Meilen ins Binnenland vordringen können, ohne daß etwas
Wirksames gethan worden war, um sie aufzuhalten. Und die Unwissenheit
über ihre Bewegungen, in der wir Freiwilligen vom Obersten an gelassen
wurden, erfüllte uns mit unbehaglichen Gedanken. Wir konnten uns den
Feind nur als in stetiger Ausführung seines wohl überlegten Angriffsplans
ausmalen und dieß unsrer Planlosigkeit an die Seite stellen. Schon das
Schweigen, mit welchem sein Vorrücken bewerkstelligt wurde, erfüllte uns mit
geheimnißvoller Furcht.

Inzwischen verging der Tag, und wir wurden matt vor Hunger, da
wir seit Tagesanbruch nichts gegessen hatten. Keinerlei Lebensmittel kamen
herauf, und keine Spur von Commissariatsbeamten war zu sehen. Es scheint,
daß, als wir im Bahnhof von Waterloo waren, ein ganzer Zug mit Provi¬
ant dort aufgefahren war und unser Oberst vorschlug, einen Packwagen des¬
selben loszumachen und unserm Zuge anzuhängen, damit wir etwas zu essen
bei der Hand hätten, aber der damit beauftragte Beamte, den sie, glaub'
ich, Controleursassistent betitelten (dieses Controle-Departement war eine
Neuerung, die uns fast so viel Schaden that als der Feind im Verlauf der
Dinge) sagte, sein Befehl laute auf Zusammenhalten aller Vorräthe und
er könne ohne Erlaubniß des Vorstands seines Departements durchaus nichts
davon hergeben. So mußten wir ohne Proviant gehen. Die, welche Tabak
hatten, rauchten -- in der That, unter solchen Umständen ist die Pfeife der
beste Trost. Das Milizregiment hatte, so hörte ich später, Proviant für
zwei Tage in ihren Tornistern, wir Freiwilligen hatten keine Tornister und
nichts hineinzuthun.

Diese ganze Zeit über, während wir hinter unsern Gewehrpyramiden auf
dem Grase lagen, ritt der General mit den Brigadiers langsam von Punkt
zu Punkt am Saume der Wiese hin und schaute durch sein Glas aus nach
dem südlichen Thale. Stafetten und Stabsofficiere kamen unaufhörlich,
und gegen drei Uhr erschien auf der Straße, die nach Horsham heraufführte,
ein kleiner Trupp Lanzenreiter und berittene Miliz, welche, wie es schien, unsre
Vorhut gebildet hatten und sich jetzt vor uns in einer nach Süden gekehrten


Gmizboten I. 1871.

Geschütze, die anscheinend den Freiwilligen gehörten und von Karrenpferden
gezogen wurden.

Die kühlere Luft, das Gefühl der großen Zahl und die augenscheinliche
Stärke der Stellung, die wir innehalten, erleichterte uns das Herz, welches,
wie ich nicht nicht schäme einzugestehen, den ganzen Morgen uns recht schwer
gewesen. Nicht. daß wir nicht begierig gewesen wären, uns mit dem Feinde
zu messen, sondern weil das Zurückmarschiren und Haltmachen ein ominöses
Schwanken der Ziele derer andeuteten, welche die Leitung der Angelegenheiten
in den Händen hatten. Hier hatten die Eindringlinge in zwei Tagen mehr
als zwanzig Meilen ins Binnenland vordringen können, ohne daß etwas
Wirksames gethan worden war, um sie aufzuhalten. Und die Unwissenheit
über ihre Bewegungen, in der wir Freiwilligen vom Obersten an gelassen
wurden, erfüllte uns mit unbehaglichen Gedanken. Wir konnten uns den
Feind nur als in stetiger Ausführung seines wohl überlegten Angriffsplans
ausmalen und dieß unsrer Planlosigkeit an die Seite stellen. Schon das
Schweigen, mit welchem sein Vorrücken bewerkstelligt wurde, erfüllte uns mit
geheimnißvoller Furcht.

Inzwischen verging der Tag, und wir wurden matt vor Hunger, da
wir seit Tagesanbruch nichts gegessen hatten. Keinerlei Lebensmittel kamen
herauf, und keine Spur von Commissariatsbeamten war zu sehen. Es scheint,
daß, als wir im Bahnhof von Waterloo waren, ein ganzer Zug mit Provi¬
ant dort aufgefahren war und unser Oberst vorschlug, einen Packwagen des¬
selben loszumachen und unserm Zuge anzuhängen, damit wir etwas zu essen
bei der Hand hätten, aber der damit beauftragte Beamte, den sie, glaub'
ich, Controleursassistent betitelten (dieses Controle-Departement war eine
Neuerung, die uns fast so viel Schaden that als der Feind im Verlauf der
Dinge) sagte, sein Befehl laute auf Zusammenhalten aller Vorräthe und
er könne ohne Erlaubniß des Vorstands seines Departements durchaus nichts
davon hergeben. So mußten wir ohne Proviant gehen. Die, welche Tabak
hatten, rauchten — in der That, unter solchen Umständen ist die Pfeife der
beste Trost. Das Milizregiment hatte, so hörte ich später, Proviant für
zwei Tage in ihren Tornistern, wir Freiwilligen hatten keine Tornister und
nichts hineinzuthun.

Diese ganze Zeit über, während wir hinter unsern Gewehrpyramiden auf
dem Grase lagen, ritt der General mit den Brigadiers langsam von Punkt
zu Punkt am Saume der Wiese hin und schaute durch sein Glas aus nach
dem südlichen Thale. Stafetten und Stabsofficiere kamen unaufhörlich,
und gegen drei Uhr erschien auf der Straße, die nach Horsham heraufführte,
ein kleiner Trupp Lanzenreiter und berittene Miliz, welche, wie es schien, unsre
Vorhut gebildet hatten und sich jetzt vor uns in einer nach Süden gekehrten


Gmizboten I. 1871.
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[0401] Geschütze, die anscheinend den Freiwilligen gehörten und von Karrenpferden gezogen wurden. Die kühlere Luft, das Gefühl der großen Zahl und die augenscheinliche Stärke der Stellung, die wir innehalten, erleichterte uns das Herz, welches, wie ich nicht nicht schäme einzugestehen, den ganzen Morgen uns recht schwer gewesen. Nicht. daß wir nicht begierig gewesen wären, uns mit dem Feinde zu messen, sondern weil das Zurückmarschiren und Haltmachen ein ominöses Schwanken der Ziele derer andeuteten, welche die Leitung der Angelegenheiten in den Händen hatten. Hier hatten die Eindringlinge in zwei Tagen mehr als zwanzig Meilen ins Binnenland vordringen können, ohne daß etwas Wirksames gethan worden war, um sie aufzuhalten. Und die Unwissenheit über ihre Bewegungen, in der wir Freiwilligen vom Obersten an gelassen wurden, erfüllte uns mit unbehaglichen Gedanken. Wir konnten uns den Feind nur als in stetiger Ausführung seines wohl überlegten Angriffsplans ausmalen und dieß unsrer Planlosigkeit an die Seite stellen. Schon das Schweigen, mit welchem sein Vorrücken bewerkstelligt wurde, erfüllte uns mit geheimnißvoller Furcht. Inzwischen verging der Tag, und wir wurden matt vor Hunger, da wir seit Tagesanbruch nichts gegessen hatten. Keinerlei Lebensmittel kamen herauf, und keine Spur von Commissariatsbeamten war zu sehen. Es scheint, daß, als wir im Bahnhof von Waterloo waren, ein ganzer Zug mit Provi¬ ant dort aufgefahren war und unser Oberst vorschlug, einen Packwagen des¬ selben loszumachen und unserm Zuge anzuhängen, damit wir etwas zu essen bei der Hand hätten, aber der damit beauftragte Beamte, den sie, glaub' ich, Controleursassistent betitelten (dieses Controle-Departement war eine Neuerung, die uns fast so viel Schaden that als der Feind im Verlauf der Dinge) sagte, sein Befehl laute auf Zusammenhalten aller Vorräthe und er könne ohne Erlaubniß des Vorstands seines Departements durchaus nichts davon hergeben. So mußten wir ohne Proviant gehen. Die, welche Tabak hatten, rauchten — in der That, unter solchen Umständen ist die Pfeife der beste Trost. Das Milizregiment hatte, so hörte ich später, Proviant für zwei Tage in ihren Tornistern, wir Freiwilligen hatten keine Tornister und nichts hineinzuthun. Diese ganze Zeit über, während wir hinter unsern Gewehrpyramiden auf dem Grase lagen, ritt der General mit den Brigadiers langsam von Punkt zu Punkt am Saume der Wiese hin und schaute durch sein Glas aus nach dem südlichen Thale. Stafetten und Stabsofficiere kamen unaufhörlich, und gegen drei Uhr erschien auf der Straße, die nach Horsham heraufführte, ein kleiner Trupp Lanzenreiter und berittene Miliz, welche, wie es schien, unsre Vorhut gebildet hatten und sich jetzt vor uns in einer nach Süden gekehrten Gmizboten I. 1871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/401>, abgerufen am 29.09.2024.