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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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sittigenden und geistig nähernden Erfolg fortan viel lebhaftere Zweifel setzen.
Prof. Boretius hat bereits vor diesem tollen Ausbruch für eine Unterkunft
in Berlin gesorgt, theils bei der Universität und theils bei der Redaction der
Nationalzeitung. Seine Collegen werden einen Ruf nach Deutschland fortan
doppelt so hoch anschlagen; und wenn Prof. Zeuner jetzt noch zur Leitung
des Aachener oder Münchener Polytechnicums berufen werden könnte, er
würde es schwerlich ausschlagen.

Ist denn aber mit München und Aachen diese Gelegenheit für das ganze
große Deutschland erschöpft? für das neue Reich zumal, das sich in erweiter¬
ten Grenzen einrichten und befestigen soll?

In zahlreichen Kreisen innerhalb des Vaterlandes hat die betrübende
Nachricht von den Züricher Auftritten den Gedanken erweckt, dieser Anlaß
müßte benutzt werden, nun ins Elsaß einen vollen reichen Strom erprobter
deutscher Lehrkraft zu leiten. Enspränge die Idee bloß der unmittelbaren Aufregung
des einen Ereignisses, so möchte sie mit der Erinnerung an dieses wieder ver¬
gehen. Aber sie ruht auf dem festeren Grunde langgenährter wohlberechtigter
Mißstimmung, ja auf denjenigen eines innern Gegensatzes, zu dessen allerdings
wünschbarer Ueberwindung es der Zeit bedarf -- und zeitweilige Trennung wie
zwischen Deutschen und Franzosen -- vielleicht am wirksamsten hilft. In Stra߬
burg aber sind wir aller verfügbaren, auf den Lehrzweck gerichteten geschulten Geistes¬
kraft dringend benöthigt. Die Verschmelzung der gesondert bestehenden
Facultäten zu einer ordentlichen Universität nach deutschem Muster ist als
eine bereits beschlossene Sache anzusehen; in der französischen Kriegsentschädi¬
gung haben wir das Mittel, sie ausgiebig finanziell zu dotiren. Aber es ist
nicht gleich sicher, daß diese nothwendige und werthvolle Maßregel auch die
Möglichkeit eröffnen wird, eigentlich deutsche Professoren in Masse (und selbst¬
verständlich dann zugleich in bester Auswahl) alsbald nach dem neuen Landes¬
theil zu bringen. Aus hundert Gründen lassen sich die alten Lehrer, wenn
sie sich nicht aus freien Stücken verabschieden oder unmöglich machen, nicht
in Bausch und Bogen penfioniren. Die Neubegründung eines Polytechnicums
dagegen schüfe diese kostbare Möglichkeit. Sie wäre zudem in hohem Grade
angezeigt durch den hoch entwickelten Stand der elsässischen Industrie, der
man wünschen muß, ihre Techniker und technisch gebildeten Fabrikinhaber
aus Deutschland liefern zu können, damit sie nicht fortfahre, sie aus Paris
zu beziehen, und die sich dieserhalb weit leichter nach dem heimischen schicksals-
genössischen Straßburg wenden, als nach Karlsruhe. Aachen oder München.
Rücksichten auf diese älteren deutschen Schulen aber werden eine Schöpfung
nicht verhindern dürfen, die dem höchsten nationalen Bedürfniß, dem der
inneren Einheit und des Weltfriedens dient. Man nimmt ihnen direct ja
auch nichts weg. Mit dem besonders nahen Karlsruhe ließe sich vielleicht


sittigenden und geistig nähernden Erfolg fortan viel lebhaftere Zweifel setzen.
Prof. Boretius hat bereits vor diesem tollen Ausbruch für eine Unterkunft
in Berlin gesorgt, theils bei der Universität und theils bei der Redaction der
Nationalzeitung. Seine Collegen werden einen Ruf nach Deutschland fortan
doppelt so hoch anschlagen; und wenn Prof. Zeuner jetzt noch zur Leitung
des Aachener oder Münchener Polytechnicums berufen werden könnte, er
würde es schwerlich ausschlagen.

Ist denn aber mit München und Aachen diese Gelegenheit für das ganze
große Deutschland erschöpft? für das neue Reich zumal, das sich in erweiter¬
ten Grenzen einrichten und befestigen soll?

In zahlreichen Kreisen innerhalb des Vaterlandes hat die betrübende
Nachricht von den Züricher Auftritten den Gedanken erweckt, dieser Anlaß
müßte benutzt werden, nun ins Elsaß einen vollen reichen Strom erprobter
deutscher Lehrkraft zu leiten. Enspränge die Idee bloß der unmittelbaren Aufregung
des einen Ereignisses, so möchte sie mit der Erinnerung an dieses wieder ver¬
gehen. Aber sie ruht auf dem festeren Grunde langgenährter wohlberechtigter
Mißstimmung, ja auf denjenigen eines innern Gegensatzes, zu dessen allerdings
wünschbarer Ueberwindung es der Zeit bedarf — und zeitweilige Trennung wie
zwischen Deutschen und Franzosen — vielleicht am wirksamsten hilft. In Stra߬
burg aber sind wir aller verfügbaren, auf den Lehrzweck gerichteten geschulten Geistes¬
kraft dringend benöthigt. Die Verschmelzung der gesondert bestehenden
Facultäten zu einer ordentlichen Universität nach deutschem Muster ist als
eine bereits beschlossene Sache anzusehen; in der französischen Kriegsentschädi¬
gung haben wir das Mittel, sie ausgiebig finanziell zu dotiren. Aber es ist
nicht gleich sicher, daß diese nothwendige und werthvolle Maßregel auch die
Möglichkeit eröffnen wird, eigentlich deutsche Professoren in Masse (und selbst¬
verständlich dann zugleich in bester Auswahl) alsbald nach dem neuen Landes¬
theil zu bringen. Aus hundert Gründen lassen sich die alten Lehrer, wenn
sie sich nicht aus freien Stücken verabschieden oder unmöglich machen, nicht
in Bausch und Bogen penfioniren. Die Neubegründung eines Polytechnicums
dagegen schüfe diese kostbare Möglichkeit. Sie wäre zudem in hohem Grade
angezeigt durch den hoch entwickelten Stand der elsässischen Industrie, der
man wünschen muß, ihre Techniker und technisch gebildeten Fabrikinhaber
aus Deutschland liefern zu können, damit sie nicht fortfahre, sie aus Paris
zu beziehen, und die sich dieserhalb weit leichter nach dem heimischen schicksals-
genössischen Straßburg wenden, als nach Karlsruhe. Aachen oder München.
Rücksichten auf diese älteren deutschen Schulen aber werden eine Schöpfung
nicht verhindern dürfen, die dem höchsten nationalen Bedürfniß, dem der
inneren Einheit und des Weltfriedens dient. Man nimmt ihnen direct ja
auch nichts weg. Mit dem besonders nahen Karlsruhe ließe sich vielleicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/40>, abgerufen am 21.10.2024.