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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Indessen ist auch bekannt, daß seit einigen Jahren der Boden begonnen
hat heiß zu werden unter den Füßen der deutschen Gelehrten, welche sich an
den Usern jenes schönen Sees der Erziehung schweizerischer Jugend widmeten.
Die spröde, kühle Zurückhaltung der alten patricischen Familien der Stadt
haben sie mit dem vornehmen Gleichmuth ertragen, welcher dem Selbstbewußt¬
sein leistungsfähiger Männer ziemt; aber gegen die gewaltsame Gleichheits-
macherei des neuen radicalen Regiments, die sich bis zu Attentaten auf wohl¬
erworbene vertragsmäßige Rechte in Bezug auf Anstellungsdauer und Ruhe¬
gehalt steigerte, besaßen sie keine Waffen. Bon da her schreibt sich in den
Kreisen der deutschgeborenen Professoren nicht allein eine namhafte Ernüchte¬
rung hinsichtlich des überlieferten republikanischen Idols, sondern auch eine
weit stärker als bisher nach dem Vaterlande zurückstrebende Mißstimmung.

Diese hat denn nicht anders als üppig genährt werden können durch das,
was der deutsch-französische Krieg sie während seiner siebenmonatlichen wechseln¬
den Spannungen erleben ließ. Es war an sich schon keine geringe Gedulds¬
prüfung, mitten unter deutschredenden Leuten sich in einer solchen Zeit doch
geistig isolirt fühlen zu müssen, keinem natürlichen und ungezwungenen Wider¬
hall zu begegnen für die mächtigen Empfindungen, welche eine deutsche Brust
durchzuckten. Wäre es dabei geblieben, es hätte immer schon hingereicht,
unsere Landsleute an den hohen Schulen Zürichs den für gewöhnlich nicht so lebhast
hervortretenden Gegensatz zu den Schweizern stark und unvergeßlich in sich
wahrnehmen zu lassen. Denn hier schied wirklich einmal die Nationalange-
hörigkeit: die Demokraten Kinkel und Scherr waren in der Hauptsache ganz
desselben Sinnes wie die Constitutionellen Böhmert'und Boretius, der kalt¬
mißtrauischen und abgeneigten Schweizer Stimmung beide gleich fern. Es
blieb aber nicht bei Mißtrauen in die Folgen der deutschen Siege über Frank¬
reich, Abneigung gegen die Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich. Unver¬
hüllte Feindseligkeit fing an den Deutschen die Zähne zu zeigen. Was wäh¬
rend der deutschen Friedensfeier in der Torhalle zum brutalen Ausbruch ge¬
kommen ist, -- man hat es in Schweizern aller Stände und Geistesrich¬
tungen aufsprießen sehen, gemessen in den anständigen Seelen, roh und gemein
in den niedrigen.

Die freche Störung des Friedensfestes hat nun dem Fasse den Boden
ausgeschlagen. Wie man ihre Ursachen auch abwägen mag und auf perfide socialisti¬
sche Berechnung dieHauptschuld wälzen, es bleibtimmer eine starke Mitwirkung der
herrschenden schweizerischen Stimmung übrig, und der Eindruck dieser wird in
den Gemüthern der davon näher oder ferner betroffenen Deutschen lange
Nachhallen. Es kann unsere gelehrten Landsleute unmöglich wie bisher an¬
ziehen, ihre besten Kräfte einem so gesinnten Volk zu weihen. Müssen sie
doch in den Erfolg selbst ihrer hingebenden Lehrerthätigkeit, d. h. in den höheren,


Indessen ist auch bekannt, daß seit einigen Jahren der Boden begonnen
hat heiß zu werden unter den Füßen der deutschen Gelehrten, welche sich an
den Usern jenes schönen Sees der Erziehung schweizerischer Jugend widmeten.
Die spröde, kühle Zurückhaltung der alten patricischen Familien der Stadt
haben sie mit dem vornehmen Gleichmuth ertragen, welcher dem Selbstbewußt¬
sein leistungsfähiger Männer ziemt; aber gegen die gewaltsame Gleichheits-
macherei des neuen radicalen Regiments, die sich bis zu Attentaten auf wohl¬
erworbene vertragsmäßige Rechte in Bezug auf Anstellungsdauer und Ruhe¬
gehalt steigerte, besaßen sie keine Waffen. Bon da her schreibt sich in den
Kreisen der deutschgeborenen Professoren nicht allein eine namhafte Ernüchte¬
rung hinsichtlich des überlieferten republikanischen Idols, sondern auch eine
weit stärker als bisher nach dem Vaterlande zurückstrebende Mißstimmung.

Diese hat denn nicht anders als üppig genährt werden können durch das,
was der deutsch-französische Krieg sie während seiner siebenmonatlichen wechseln¬
den Spannungen erleben ließ. Es war an sich schon keine geringe Gedulds¬
prüfung, mitten unter deutschredenden Leuten sich in einer solchen Zeit doch
geistig isolirt fühlen zu müssen, keinem natürlichen und ungezwungenen Wider¬
hall zu begegnen für die mächtigen Empfindungen, welche eine deutsche Brust
durchzuckten. Wäre es dabei geblieben, es hätte immer schon hingereicht,
unsere Landsleute an den hohen Schulen Zürichs den für gewöhnlich nicht so lebhast
hervortretenden Gegensatz zu den Schweizern stark und unvergeßlich in sich
wahrnehmen zu lassen. Denn hier schied wirklich einmal die Nationalange-
hörigkeit: die Demokraten Kinkel und Scherr waren in der Hauptsache ganz
desselben Sinnes wie die Constitutionellen Böhmert'und Boretius, der kalt¬
mißtrauischen und abgeneigten Schweizer Stimmung beide gleich fern. Es
blieb aber nicht bei Mißtrauen in die Folgen der deutschen Siege über Frank¬
reich, Abneigung gegen die Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich. Unver¬
hüllte Feindseligkeit fing an den Deutschen die Zähne zu zeigen. Was wäh¬
rend der deutschen Friedensfeier in der Torhalle zum brutalen Ausbruch ge¬
kommen ist, — man hat es in Schweizern aller Stände und Geistesrich¬
tungen aufsprießen sehen, gemessen in den anständigen Seelen, roh und gemein
in den niedrigen.

Die freche Störung des Friedensfestes hat nun dem Fasse den Boden
ausgeschlagen. Wie man ihre Ursachen auch abwägen mag und auf perfide socialisti¬
sche Berechnung dieHauptschuld wälzen, es bleibtimmer eine starke Mitwirkung der
herrschenden schweizerischen Stimmung übrig, und der Eindruck dieser wird in
den Gemüthern der davon näher oder ferner betroffenen Deutschen lange
Nachhallen. Es kann unsere gelehrten Landsleute unmöglich wie bisher an¬
ziehen, ihre besten Kräfte einem so gesinnten Volk zu weihen. Müssen sie
doch in den Erfolg selbst ihrer hingebenden Lehrerthätigkeit, d. h. in den höheren,


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[0039] Indessen ist auch bekannt, daß seit einigen Jahren der Boden begonnen hat heiß zu werden unter den Füßen der deutschen Gelehrten, welche sich an den Usern jenes schönen Sees der Erziehung schweizerischer Jugend widmeten. Die spröde, kühle Zurückhaltung der alten patricischen Familien der Stadt haben sie mit dem vornehmen Gleichmuth ertragen, welcher dem Selbstbewußt¬ sein leistungsfähiger Männer ziemt; aber gegen die gewaltsame Gleichheits- macherei des neuen radicalen Regiments, die sich bis zu Attentaten auf wohl¬ erworbene vertragsmäßige Rechte in Bezug auf Anstellungsdauer und Ruhe¬ gehalt steigerte, besaßen sie keine Waffen. Bon da her schreibt sich in den Kreisen der deutschgeborenen Professoren nicht allein eine namhafte Ernüchte¬ rung hinsichtlich des überlieferten republikanischen Idols, sondern auch eine weit stärker als bisher nach dem Vaterlande zurückstrebende Mißstimmung. Diese hat denn nicht anders als üppig genährt werden können durch das, was der deutsch-französische Krieg sie während seiner siebenmonatlichen wechseln¬ den Spannungen erleben ließ. Es war an sich schon keine geringe Gedulds¬ prüfung, mitten unter deutschredenden Leuten sich in einer solchen Zeit doch geistig isolirt fühlen zu müssen, keinem natürlichen und ungezwungenen Wider¬ hall zu begegnen für die mächtigen Empfindungen, welche eine deutsche Brust durchzuckten. Wäre es dabei geblieben, es hätte immer schon hingereicht, unsere Landsleute an den hohen Schulen Zürichs den für gewöhnlich nicht so lebhast hervortretenden Gegensatz zu den Schweizern stark und unvergeßlich in sich wahrnehmen zu lassen. Denn hier schied wirklich einmal die Nationalange- hörigkeit: die Demokraten Kinkel und Scherr waren in der Hauptsache ganz desselben Sinnes wie die Constitutionellen Böhmert'und Boretius, der kalt¬ mißtrauischen und abgeneigten Schweizer Stimmung beide gleich fern. Es blieb aber nicht bei Mißtrauen in die Folgen der deutschen Siege über Frank¬ reich, Abneigung gegen die Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich. Unver¬ hüllte Feindseligkeit fing an den Deutschen die Zähne zu zeigen. Was wäh¬ rend der deutschen Friedensfeier in der Torhalle zum brutalen Ausbruch ge¬ kommen ist, — man hat es in Schweizern aller Stände und Geistesrich¬ tungen aufsprießen sehen, gemessen in den anständigen Seelen, roh und gemein in den niedrigen. Die freche Störung des Friedensfestes hat nun dem Fasse den Boden ausgeschlagen. Wie man ihre Ursachen auch abwägen mag und auf perfide socialisti¬ sche Berechnung dieHauptschuld wälzen, es bleibtimmer eine starke Mitwirkung der herrschenden schweizerischen Stimmung übrig, und der Eindruck dieser wird in den Gemüthern der davon näher oder ferner betroffenen Deutschen lange Nachhallen. Es kann unsere gelehrten Landsleute unmöglich wie bisher an¬ ziehen, ihre besten Kräfte einem so gesinnten Volk zu weihen. Müssen sie doch in den Erfolg selbst ihrer hingebenden Lehrerthätigkeit, d. h. in den höheren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/39>, abgerufen am 28.09.2024.