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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Brunellesco' s Vorhalle zur Cappella Pazzi im Hof von S. Croce zu Florenz
entlehnt zu sein. Auch in Bezug auf die zierliche Kirche dell' Annunziata
theilt Burckhardt das Wissenswerthe mit; hinzufügen will ich nur, daß die
Kirche entworfen wurde von Fra Bartolommeo della Gaeta (nicht della Port"),
daß die Seitenschiffe in der That von Antonio da San Gallo herrühren, und
daß Vasari 1551 das Kloster dazu erbaute. In der Kirche befinden sich
Glasgemälde des Wilhelm von Marseille, worunter besonders hervorzuheben
ist eine schöne Madonna im Chor, sowie ein heiliger Hieronymus in einem
Rundfenster des Querschiffs.

Nachdem ich so in der Stadt angesehen, was in so kurzer Zeit nur
möglich war, beschloß ich noch die von Burckhardt so gelobte Kirche S. Maria
delle grazie vor der Stadt aufzusuchen, ehe die Sonne hinter dem Horizont
verschwand. Es war die Zeit der Passeggiata und die vorher ziemlich öden
Straßen wimmelten jetzt von hübschen Mädchen, die reihenweise Arm in Arm
gingen, und ihrer frischen toskanischen Heiterkeit in Gelächter und Scherzen
freien Lauf ließen, von schmucken jungen Burschen, die sich davon getroffen
fühlten, sowie von der behaglich sich erholenden älteren Bevölkerung. Ich
trat vor das Thor und labte mich an dem Anblick des noch immer frischen
Grünes, sowie des gegenüber liegenden Berges, der mit dem Uetliberg in
Zürich in der Gestalt frappante Aehnlichkeit hat. Wie doppelt frisch erscheint
die Natur dem von der Kunst gesättigten Auge, und wie treibt die Natur
wieder zur Kunst sint Ich fand die Kirche und war überrascht durch die
anmuthige Fassade mitten im Grün, mit den schlanken Säulchen und der
Treppe davor. An dem Altar ist in Relief, von weißem Marmor auf rothem
Grund, eine Pieta dargestellt, d. h. das aufgerichtete Brustbild Christi, be¬
weint und gehalten von Maria und Johannes. So viel ich mich erinnere,
ist das Relief desselben Inhalts von den Brüdern Majani im Dom von Prato
ganz ähnlich in Composition wie Behandlung. Aus diesem und andern
Gründen, -- auch die Fassade ist ja von Benedetto da Majano -- glaube
ich. daß dieser Altar ebenfalls vom genannten Künstler herrühre, wiewohl er
dem Andrea della Robbia zugeschrieben wird.

Abends ging ich in das Theater Petrarca, wo ich mich beim Eintritt
an dem Vorrecht der Bürger von Arezzo ergötzte, nur 40 statt 70 Centimes
Eintritt bezahlen zu müssen. Das Stück habe ich vergessen, doch war es
nicht so übel. An den sechs bis sieben jungen Damen in den Logen bemerkte
ich eine überraschende Uebereinstimmung im Typus. Kecke, buschige Augen¬
brauen, breite Backenknochen mit spitzem Kinn, braune lebhafte Augen, un¬
entwickelte Nasen und einen kleinen, freundlichen Mund. Der Ausdruck des
ganzen Gesichts: pathetische Gutmüthigkeit. Am andern Morgen in der
frühesten Frühe suchte ich noch die Kirche S. Francesco auf, die mir Tags


Brunellesco' s Vorhalle zur Cappella Pazzi im Hof von S. Croce zu Florenz
entlehnt zu sein. Auch in Bezug auf die zierliche Kirche dell' Annunziata
theilt Burckhardt das Wissenswerthe mit; hinzufügen will ich nur, daß die
Kirche entworfen wurde von Fra Bartolommeo della Gaeta (nicht della Port«),
daß die Seitenschiffe in der That von Antonio da San Gallo herrühren, und
daß Vasari 1551 das Kloster dazu erbaute. In der Kirche befinden sich
Glasgemälde des Wilhelm von Marseille, worunter besonders hervorzuheben
ist eine schöne Madonna im Chor, sowie ein heiliger Hieronymus in einem
Rundfenster des Querschiffs.

Nachdem ich so in der Stadt angesehen, was in so kurzer Zeit nur
möglich war, beschloß ich noch die von Burckhardt so gelobte Kirche S. Maria
delle grazie vor der Stadt aufzusuchen, ehe die Sonne hinter dem Horizont
verschwand. Es war die Zeit der Passeggiata und die vorher ziemlich öden
Straßen wimmelten jetzt von hübschen Mädchen, die reihenweise Arm in Arm
gingen, und ihrer frischen toskanischen Heiterkeit in Gelächter und Scherzen
freien Lauf ließen, von schmucken jungen Burschen, die sich davon getroffen
fühlten, sowie von der behaglich sich erholenden älteren Bevölkerung. Ich
trat vor das Thor und labte mich an dem Anblick des noch immer frischen
Grünes, sowie des gegenüber liegenden Berges, der mit dem Uetliberg in
Zürich in der Gestalt frappante Aehnlichkeit hat. Wie doppelt frisch erscheint
die Natur dem von der Kunst gesättigten Auge, und wie treibt die Natur
wieder zur Kunst sint Ich fand die Kirche und war überrascht durch die
anmuthige Fassade mitten im Grün, mit den schlanken Säulchen und der
Treppe davor. An dem Altar ist in Relief, von weißem Marmor auf rothem
Grund, eine Pieta dargestellt, d. h. das aufgerichtete Brustbild Christi, be¬
weint und gehalten von Maria und Johannes. So viel ich mich erinnere,
ist das Relief desselben Inhalts von den Brüdern Majani im Dom von Prato
ganz ähnlich in Composition wie Behandlung. Aus diesem und andern
Gründen, — auch die Fassade ist ja von Benedetto da Majano — glaube
ich. daß dieser Altar ebenfalls vom genannten Künstler herrühre, wiewohl er
dem Andrea della Robbia zugeschrieben wird.

Abends ging ich in das Theater Petrarca, wo ich mich beim Eintritt
an dem Vorrecht der Bürger von Arezzo ergötzte, nur 40 statt 70 Centimes
Eintritt bezahlen zu müssen. Das Stück habe ich vergessen, doch war es
nicht so übel. An den sechs bis sieben jungen Damen in den Logen bemerkte
ich eine überraschende Uebereinstimmung im Typus. Kecke, buschige Augen¬
brauen, breite Backenknochen mit spitzem Kinn, braune lebhafte Augen, un¬
entwickelte Nasen und einen kleinen, freundlichen Mund. Der Ausdruck des
ganzen Gesichts: pathetische Gutmüthigkeit. Am andern Morgen in der
frühesten Frühe suchte ich noch die Kirche S. Francesco auf, die mir Tags


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[0375] Brunellesco' s Vorhalle zur Cappella Pazzi im Hof von S. Croce zu Florenz entlehnt zu sein. Auch in Bezug auf die zierliche Kirche dell' Annunziata theilt Burckhardt das Wissenswerthe mit; hinzufügen will ich nur, daß die Kirche entworfen wurde von Fra Bartolommeo della Gaeta (nicht della Port«), daß die Seitenschiffe in der That von Antonio da San Gallo herrühren, und daß Vasari 1551 das Kloster dazu erbaute. In der Kirche befinden sich Glasgemälde des Wilhelm von Marseille, worunter besonders hervorzuheben ist eine schöne Madonna im Chor, sowie ein heiliger Hieronymus in einem Rundfenster des Querschiffs. Nachdem ich so in der Stadt angesehen, was in so kurzer Zeit nur möglich war, beschloß ich noch die von Burckhardt so gelobte Kirche S. Maria delle grazie vor der Stadt aufzusuchen, ehe die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Es war die Zeit der Passeggiata und die vorher ziemlich öden Straßen wimmelten jetzt von hübschen Mädchen, die reihenweise Arm in Arm gingen, und ihrer frischen toskanischen Heiterkeit in Gelächter und Scherzen freien Lauf ließen, von schmucken jungen Burschen, die sich davon getroffen fühlten, sowie von der behaglich sich erholenden älteren Bevölkerung. Ich trat vor das Thor und labte mich an dem Anblick des noch immer frischen Grünes, sowie des gegenüber liegenden Berges, der mit dem Uetliberg in Zürich in der Gestalt frappante Aehnlichkeit hat. Wie doppelt frisch erscheint die Natur dem von der Kunst gesättigten Auge, und wie treibt die Natur wieder zur Kunst sint Ich fand die Kirche und war überrascht durch die anmuthige Fassade mitten im Grün, mit den schlanken Säulchen und der Treppe davor. An dem Altar ist in Relief, von weißem Marmor auf rothem Grund, eine Pieta dargestellt, d. h. das aufgerichtete Brustbild Christi, be¬ weint und gehalten von Maria und Johannes. So viel ich mich erinnere, ist das Relief desselben Inhalts von den Brüdern Majani im Dom von Prato ganz ähnlich in Composition wie Behandlung. Aus diesem und andern Gründen, — auch die Fassade ist ja von Benedetto da Majano — glaube ich. daß dieser Altar ebenfalls vom genannten Künstler herrühre, wiewohl er dem Andrea della Robbia zugeschrieben wird. Abends ging ich in das Theater Petrarca, wo ich mich beim Eintritt an dem Vorrecht der Bürger von Arezzo ergötzte, nur 40 statt 70 Centimes Eintritt bezahlen zu müssen. Das Stück habe ich vergessen, doch war es nicht so übel. An den sechs bis sieben jungen Damen in den Logen bemerkte ich eine überraschende Uebereinstimmung im Typus. Kecke, buschige Augen¬ brauen, breite Backenknochen mit spitzem Kinn, braune lebhafte Augen, un¬ entwickelte Nasen und einen kleinen, freundlichen Mund. Der Ausdruck des ganzen Gesichts: pathetische Gutmüthigkeit. Am andern Morgen in der frühesten Frühe suchte ich noch die Kirche S. Francesco auf, die mir Tags

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/375>, abgerufen am 29.09.2024.