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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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und dem übrigen Deutschland scheint es im Augenblicke unmöglich, Capitalisten-
kreise für die doch so billig zu habende werthvolle Erbschaft der beiden Ge¬
sellschaften zu interessiren, da hundert andere Unternehmungen nur auf den
glücklichen Moment des Friedens-Abschlusses, und kaum auf diesen gewartet
haben, um ihre Antheile auszubieten.

Unter solchen Umständen stellt sich der Gedanke an Staatshilfe immer
von selbst und unvermeidlich ein. So auch im Deutschen Fischerei-Verein,
als dieser vor einigen Wochen die kritische Lage der Nordsee-Fischerei zum
ersten Mal ernstlich in sein Bereich zog. Man begnügte sich nicht, den
Stand der Dinge durch entsprechende Verhandlungen, Berichte, und nöthigen-
falls auch Beschlüsse dem großen vaterländischen Publicum näher zu führen;
sondern jeder einzelne Redner, sowohl wie zuletzt der Verein als solcher ver¬
schrieb sein Recept dem Allerwelts-Patienten Staat. Zum Glück hat dieser
selbst noch erst das Recht zu sagen, ob er die Medicin hinunterschlucken will
oder nicht.

Nicht alle ihm gemachten Vorschläge sind verwerflich. Aber was, wenn
nicht verwerflich, doch bedauerlich erscheint, das ist die Appellation des
Deutschen Fischerei-Vereins an den preußischen Staat, statt an das Reich.
Es handelt sich doch um die Hebung der deutschen Fischerei, und außer
Preußen haben auch noch die Einzelstaaten Mecklenburg, Hamburg, Bremen
und Oldenburg Antheil an dem Seefischfang sowohl, wie an den maritimen
Interessen überhaupt. Die Marine vollends, für welche die Hebung der
Fischerei auf hoher See so vorzugsweise wichtig ist, und deren Interesse das
Hauptmotiv für jede Staatsunterstützung abgeben muß, wenn es nicht gar
das einzige unanfechtbare Motiv ist, sie ist Neichssache und nicht Sache
Preußens. Dennoch scheint man nicht sowohl sachlichen Gesichtspunkten, als
persönlichen Rücksichten und Liebhabereien gefolgt zu sein, wenn man beschloß
sich an das preußische Staatsministerium zu wenden, dessen vortragender Rath
Geheimrath Wehrmann allerdings der Angelegenheit besonders lebhafte Sym¬
pathie bethätigte und dessen landwirtschaftliches Mitglied Minister von Sel-
chow nebst dem einen oder anderen seiner Räthe an der Schlußverhandlung
theilnahm.

Oder wären doch auch sachliche Erwägungen bei dieser auffälligen Ab¬
wendung vom Reiche ins Spiel gekommen? Hätte man die durchdringende
volkswirtschaftliche Einsicht gefürchtet, welche im Bundeskanzleramt ihren
Sitz hat? Die Stettiner Ostsee-Zeitung, eine wachsame Hüterin des errun¬
genen Schatzes wirthschaftlicher Freiheit, glaubte schon im Beginn der Ver-
eins-Verhandlungen einen Hang zu Prämien daraus hervorleuchten zu sehen,
und schlug demgemäß Lärm. Dem ersten Antragsteller, Abg. Mosle aus
Bremen, hatte sie damit nun freilich unrecht gethan: er wollte nur zeitweilige


und dem übrigen Deutschland scheint es im Augenblicke unmöglich, Capitalisten-
kreise für die doch so billig zu habende werthvolle Erbschaft der beiden Ge¬
sellschaften zu interessiren, da hundert andere Unternehmungen nur auf den
glücklichen Moment des Friedens-Abschlusses, und kaum auf diesen gewartet
haben, um ihre Antheile auszubieten.

Unter solchen Umständen stellt sich der Gedanke an Staatshilfe immer
von selbst und unvermeidlich ein. So auch im Deutschen Fischerei-Verein,
als dieser vor einigen Wochen die kritische Lage der Nordsee-Fischerei zum
ersten Mal ernstlich in sein Bereich zog. Man begnügte sich nicht, den
Stand der Dinge durch entsprechende Verhandlungen, Berichte, und nöthigen-
falls auch Beschlüsse dem großen vaterländischen Publicum näher zu führen;
sondern jeder einzelne Redner, sowohl wie zuletzt der Verein als solcher ver¬
schrieb sein Recept dem Allerwelts-Patienten Staat. Zum Glück hat dieser
selbst noch erst das Recht zu sagen, ob er die Medicin hinunterschlucken will
oder nicht.

Nicht alle ihm gemachten Vorschläge sind verwerflich. Aber was, wenn
nicht verwerflich, doch bedauerlich erscheint, das ist die Appellation des
Deutschen Fischerei-Vereins an den preußischen Staat, statt an das Reich.
Es handelt sich doch um die Hebung der deutschen Fischerei, und außer
Preußen haben auch noch die Einzelstaaten Mecklenburg, Hamburg, Bremen
und Oldenburg Antheil an dem Seefischfang sowohl, wie an den maritimen
Interessen überhaupt. Die Marine vollends, für welche die Hebung der
Fischerei auf hoher See so vorzugsweise wichtig ist, und deren Interesse das
Hauptmotiv für jede Staatsunterstützung abgeben muß, wenn es nicht gar
das einzige unanfechtbare Motiv ist, sie ist Neichssache und nicht Sache
Preußens. Dennoch scheint man nicht sowohl sachlichen Gesichtspunkten, als
persönlichen Rücksichten und Liebhabereien gefolgt zu sein, wenn man beschloß
sich an das preußische Staatsministerium zu wenden, dessen vortragender Rath
Geheimrath Wehrmann allerdings der Angelegenheit besonders lebhafte Sym¬
pathie bethätigte und dessen landwirtschaftliches Mitglied Minister von Sel-
chow nebst dem einen oder anderen seiner Räthe an der Schlußverhandlung
theilnahm.

Oder wären doch auch sachliche Erwägungen bei dieser auffälligen Ab¬
wendung vom Reiche ins Spiel gekommen? Hätte man die durchdringende
volkswirtschaftliche Einsicht gefürchtet, welche im Bundeskanzleramt ihren
Sitz hat? Die Stettiner Ostsee-Zeitung, eine wachsame Hüterin des errun¬
genen Schatzes wirthschaftlicher Freiheit, glaubte schon im Beginn der Ver-
eins-Verhandlungen einen Hang zu Prämien daraus hervorleuchten zu sehen,
und schlug demgemäß Lärm. Dem ersten Antragsteller, Abg. Mosle aus
Bremen, hatte sie damit nun freilich unrecht gethan: er wollte nur zeitweilige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/322>, abgerufen am 29.09.2024.