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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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große Anzahl der thatkräftigsten und meistens auch echt national gesinnten
Männer stand bis zum Wahltage unter den Waffen. Desto freieres
Spiel hatte dann aber jene Partei, deren eifrigste Agitatoren daheim
saßen und deren unverhältnißmäßig zahlreiches Erscheinen im ersten
deutschen Reichstage gegenwärtig auf viele Gemüther so erschreckend
wirkt -- die clericale Fraction. Grade im Staate der Intelligenz sind
die Erfolge jener Partei, deren Wege alle nach Rom führen und die
schon vor zwölf Jahren als eine in unserem paritätischen Staate gänz¬
lich unmotivirte Vereinigung von hoher Stelle aus bezeichnet wurde, in
bedenklichem Maße zu constatiren. Was wir in Preußen versehen haben, ist
durch die süddeutschen Wahlen reichlich gut gemacht. Glänzend geschlagen
sind ja Patrioten und katholische Volkspartei in Bayern und Baden. Und
wenn man zusammenrechnet, daß in nationaler Hinsicht wir Preußen uns
überhaupt mit unseren Wahlen zum ersten deutschen Reichstag nicht be¬
sonders brüsten können, da wir (abgesehen von den Clericalen) ein höchst be¬
trächtliches Quantum von Particularisten reaktionärer und radicaler Färbung
stellen (Altconservative, Welsen, Augustenburger -- und Fortschritt, der sich bei
sehr vielen seiner Wähler diesmal durch die angeblich immer treu ausgeführte
Vertretung der specifisch preußischen Interessen empfohlen hat) -- ja wenn
wir diese keineswegs rühmenswerthen Ergebnisse in unsern elf Provinzen be¬
trachten, dann müssen wir doch bekennen, daß mit Errichtung des deutschen
Kaiserthums der Hohenzollern Preußens innere Geschichte in einen Wende¬
punkt getreten ist. Die Bevölkerung des Staates Preußen ist, wie ihre kaum
zur Hälfte von nationalem Sinn getragenen Abstimmungen beweisen, nicht
fähig, oder vielleicht auch nicht willig gewesen, den großen Moment des 3. März
1871 in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen. Vergleichen wir, was unsere
Altconservativen und unsere Fortschrittsmänner in Zeitungen und Reden letzt¬
hin alles zum Ruhm ihrer echt preußischen Fürstentreue und ihres echt preußi¬
schen, "Princip- und charaktervoller Radicalismus" vorgebracht haben,
mit dem vor allem nationalen und gemäßigten Austreten der Wähler
von Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, Hessen und Süddeutschland, so
kommen wie zu der Schlußfolgerung, daß, wenn die den Kern und
die Mehrzahl des deutschen Heeres bildenden preußischen Männer in
Waffen seit Beginn des Krieges Deutschland gerettet haben, so am Tage
der Friedensfeier den außerpreußischen Deutschen vorbehalten gewesen ist, an
der Wahlurne die ordnungsmäßige innere Entwicklung des neuen Reiches
sicher zu stellen. Ja, die Entwicklung des preußischen Volkes selber ist durch
den der nationalen Sache so günstigen Ausfall der Wahlen im übrigen
Deutschland gerettet worden -- seit 1867 ist es ein Geheimniß der Sperlinge
auf den Dächern, daß alles Gute, was die Bewohner Preußens zu


große Anzahl der thatkräftigsten und meistens auch echt national gesinnten
Männer stand bis zum Wahltage unter den Waffen. Desto freieres
Spiel hatte dann aber jene Partei, deren eifrigste Agitatoren daheim
saßen und deren unverhältnißmäßig zahlreiches Erscheinen im ersten
deutschen Reichstage gegenwärtig auf viele Gemüther so erschreckend
wirkt — die clericale Fraction. Grade im Staate der Intelligenz sind
die Erfolge jener Partei, deren Wege alle nach Rom führen und die
schon vor zwölf Jahren als eine in unserem paritätischen Staate gänz¬
lich unmotivirte Vereinigung von hoher Stelle aus bezeichnet wurde, in
bedenklichem Maße zu constatiren. Was wir in Preußen versehen haben, ist
durch die süddeutschen Wahlen reichlich gut gemacht. Glänzend geschlagen
sind ja Patrioten und katholische Volkspartei in Bayern und Baden. Und
wenn man zusammenrechnet, daß in nationaler Hinsicht wir Preußen uns
überhaupt mit unseren Wahlen zum ersten deutschen Reichstag nicht be¬
sonders brüsten können, da wir (abgesehen von den Clericalen) ein höchst be¬
trächtliches Quantum von Particularisten reaktionärer und radicaler Färbung
stellen (Altconservative, Welsen, Augustenburger — und Fortschritt, der sich bei
sehr vielen seiner Wähler diesmal durch die angeblich immer treu ausgeführte
Vertretung der specifisch preußischen Interessen empfohlen hat) — ja wenn
wir diese keineswegs rühmenswerthen Ergebnisse in unsern elf Provinzen be¬
trachten, dann müssen wir doch bekennen, daß mit Errichtung des deutschen
Kaiserthums der Hohenzollern Preußens innere Geschichte in einen Wende¬
punkt getreten ist. Die Bevölkerung des Staates Preußen ist, wie ihre kaum
zur Hälfte von nationalem Sinn getragenen Abstimmungen beweisen, nicht
fähig, oder vielleicht auch nicht willig gewesen, den großen Moment des 3. März
1871 in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen. Vergleichen wir, was unsere
Altconservativen und unsere Fortschrittsmänner in Zeitungen und Reden letzt¬
hin alles zum Ruhm ihrer echt preußischen Fürstentreue und ihres echt preußi¬
schen, „Princip- und charaktervoller Radicalismus" vorgebracht haben,
mit dem vor allem nationalen und gemäßigten Austreten der Wähler
von Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, Hessen und Süddeutschland, so
kommen wie zu der Schlußfolgerung, daß, wenn die den Kern und
die Mehrzahl des deutschen Heeres bildenden preußischen Männer in
Waffen seit Beginn des Krieges Deutschland gerettet haben, so am Tage
der Friedensfeier den außerpreußischen Deutschen vorbehalten gewesen ist, an
der Wahlurne die ordnungsmäßige innere Entwicklung des neuen Reiches
sicher zu stellen. Ja, die Entwicklung des preußischen Volkes selber ist durch
den der nationalen Sache so günstigen Ausfall der Wahlen im übrigen
Deutschland gerettet worden — seit 1867 ist es ein Geheimniß der Sperlinge
auf den Dächern, daß alles Gute, was die Bewohner Preußens zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/32>, abgerufen am 28.09.2024.