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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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lichkeiten zu verachten, welcher nachlässig in seiner Kleidung, linkisch und un¬
beholfen in seinen Manieren ist, neben einem Hauptstädter von vielleicht
höchst oberflächlicher wissenschaftlicher Bildung, der sich aber die äußere Poli¬
tur, das feine richtig abgemessene Benehmen der guten Gesellschaft völlig zu
eigen gemacht hat, so werden einige Wenige die größere innere Bedeutung
des Gelehrten zu würdigen wissen, auf die große Mehrzahl wird aber die
äußere Erscheinung des Weltmannes einen bei Weitem vortheilhafteren Ein¬
druck machen. Stellt man dagegen zwei Männer von gleichem wissenschaft¬
lichen Verdienste neben einander, von denen der eine gelernt hat, sein Wissen
mit der feinen Erziehung der höheren Gesellschaft zu vereinigen, während der
andere nichts hat, als seine Gelehrsamkeit, sich im übrigen aber nachlässig
oder linkisch benimmt, so wird Niemand verkennen, wie viele Vorzüge mit
der äußeren gesellschaftlichen Bildung verknüpft sind.

Hier aber haben wir den Unterschied, den Jeder, welcher Jahre lang im
Auslande gelebt hat, -- wenn er einige Beobachtungsgabe besitzt, -- stets
zwischen den Germanen und den Romanen bemerkt haben muß. Da man
von jeher in den südlichen Ländern größern Werth als bei uns auf die äußere
Erscheinung und ?das Benehmen des Individuums in der Gesellschaft gelegt
hat, sowohl auf äußerliche Selbstbeherrschung, Ruhe, Würde und maßvolles Ver¬
halten, wie auf Artigkeit und Zuvorkommenheit gegen Fremde; da man sich
bestrebt, schon den Kindern, noch ehe sie lesen lernen, jede Art von Blödig¬
keit, Unart oder von linkischem Betragen auch vor der zahlreichsten Gesell¬
schaft abzugewöhnen, so hat man durchgängig auch größeren Erfolg in dieser
Beziehung bei der ganzen Bevölkerung erreicht, als bei uns, wo nur in
einigen Familien bei Erziehung der Kinder Werth auf solche Dinge gelegt wird.

Ich schreibe dieses auf die Gefahr hin, bei manchem meiner Landsleute
Anstoß zu erregen, ihm als schlechter Patriot zu erscheinen. Die Wahrheit ist
seit alten Zeiten Manchem bitter erschienen, und es ist die Wahrheit, wenn
ich sage, unsre Erziehung ist in dieser Hinsicht mangelhaft, die romanischen
Völker sind den Nordländern im äußeren Benehmen, im feinen gesellschaft¬
lichen Tacte überlegen, und dieß giebt in romanischen Ländern der großen
Menge, welche nur nach dem äußeren Anschein urtheilt, die Veranlassung,
uns noch innrer Barbaren zu nennen; denn sie beurtheilt den ganzen Mann
nach seinem äußeren Benehmen; der vielleicht größere sittliche Werth, das aus¬
gedehntere Wissen bleibt ihr verborgen, und auch wenn sie es erkennen
sollte, so fühlt sie sich doch auf den bloßen Grund ihrer größeren äußeren
Abgeschliffenheit, ihres savoir kairo hin dem Fremden überlegen.

Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß derjenige
Grad feiner gesellschaftlicher Bildung, dem man bei uns nur in den höheren


lichkeiten zu verachten, welcher nachlässig in seiner Kleidung, linkisch und un¬
beholfen in seinen Manieren ist, neben einem Hauptstädter von vielleicht
höchst oberflächlicher wissenschaftlicher Bildung, der sich aber die äußere Poli¬
tur, das feine richtig abgemessene Benehmen der guten Gesellschaft völlig zu
eigen gemacht hat, so werden einige Wenige die größere innere Bedeutung
des Gelehrten zu würdigen wissen, auf die große Mehrzahl wird aber die
äußere Erscheinung des Weltmannes einen bei Weitem vortheilhafteren Ein¬
druck machen. Stellt man dagegen zwei Männer von gleichem wissenschaft¬
lichen Verdienste neben einander, von denen der eine gelernt hat, sein Wissen
mit der feinen Erziehung der höheren Gesellschaft zu vereinigen, während der
andere nichts hat, als seine Gelehrsamkeit, sich im übrigen aber nachlässig
oder linkisch benimmt, so wird Niemand verkennen, wie viele Vorzüge mit
der äußeren gesellschaftlichen Bildung verknüpft sind.

Hier aber haben wir den Unterschied, den Jeder, welcher Jahre lang im
Auslande gelebt hat, — wenn er einige Beobachtungsgabe besitzt, — stets
zwischen den Germanen und den Romanen bemerkt haben muß. Da man
von jeher in den südlichen Ländern größern Werth als bei uns auf die äußere
Erscheinung und ?das Benehmen des Individuums in der Gesellschaft gelegt
hat, sowohl auf äußerliche Selbstbeherrschung, Ruhe, Würde und maßvolles Ver¬
halten, wie auf Artigkeit und Zuvorkommenheit gegen Fremde; da man sich
bestrebt, schon den Kindern, noch ehe sie lesen lernen, jede Art von Blödig¬
keit, Unart oder von linkischem Betragen auch vor der zahlreichsten Gesell¬
schaft abzugewöhnen, so hat man durchgängig auch größeren Erfolg in dieser
Beziehung bei der ganzen Bevölkerung erreicht, als bei uns, wo nur in
einigen Familien bei Erziehung der Kinder Werth auf solche Dinge gelegt wird.

Ich schreibe dieses auf die Gefahr hin, bei manchem meiner Landsleute
Anstoß zu erregen, ihm als schlechter Patriot zu erscheinen. Die Wahrheit ist
seit alten Zeiten Manchem bitter erschienen, und es ist die Wahrheit, wenn
ich sage, unsre Erziehung ist in dieser Hinsicht mangelhaft, die romanischen
Völker sind den Nordländern im äußeren Benehmen, im feinen gesellschaft¬
lichen Tacte überlegen, und dieß giebt in romanischen Ländern der großen
Menge, welche nur nach dem äußeren Anschein urtheilt, die Veranlassung,
uns noch innrer Barbaren zu nennen; denn sie beurtheilt den ganzen Mann
nach seinem äußeren Benehmen; der vielleicht größere sittliche Werth, das aus¬
gedehntere Wissen bleibt ihr verborgen, und auch wenn sie es erkennen
sollte, so fühlt sie sich doch auf den bloßen Grund ihrer größeren äußeren
Abgeschliffenheit, ihres savoir kairo hin dem Fremden überlegen.

Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß derjenige
Grad feiner gesellschaftlicher Bildung, dem man bei uns nur in den höheren


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[0314] lichkeiten zu verachten, welcher nachlässig in seiner Kleidung, linkisch und un¬ beholfen in seinen Manieren ist, neben einem Hauptstädter von vielleicht höchst oberflächlicher wissenschaftlicher Bildung, der sich aber die äußere Poli¬ tur, das feine richtig abgemessene Benehmen der guten Gesellschaft völlig zu eigen gemacht hat, so werden einige Wenige die größere innere Bedeutung des Gelehrten zu würdigen wissen, auf die große Mehrzahl wird aber die äußere Erscheinung des Weltmannes einen bei Weitem vortheilhafteren Ein¬ druck machen. Stellt man dagegen zwei Männer von gleichem wissenschaft¬ lichen Verdienste neben einander, von denen der eine gelernt hat, sein Wissen mit der feinen Erziehung der höheren Gesellschaft zu vereinigen, während der andere nichts hat, als seine Gelehrsamkeit, sich im übrigen aber nachlässig oder linkisch benimmt, so wird Niemand verkennen, wie viele Vorzüge mit der äußeren gesellschaftlichen Bildung verknüpft sind. Hier aber haben wir den Unterschied, den Jeder, welcher Jahre lang im Auslande gelebt hat, — wenn er einige Beobachtungsgabe besitzt, — stets zwischen den Germanen und den Romanen bemerkt haben muß. Da man von jeher in den südlichen Ländern größern Werth als bei uns auf die äußere Erscheinung und ?das Benehmen des Individuums in der Gesellschaft gelegt hat, sowohl auf äußerliche Selbstbeherrschung, Ruhe, Würde und maßvolles Ver¬ halten, wie auf Artigkeit und Zuvorkommenheit gegen Fremde; da man sich bestrebt, schon den Kindern, noch ehe sie lesen lernen, jede Art von Blödig¬ keit, Unart oder von linkischem Betragen auch vor der zahlreichsten Gesell¬ schaft abzugewöhnen, so hat man durchgängig auch größeren Erfolg in dieser Beziehung bei der ganzen Bevölkerung erreicht, als bei uns, wo nur in einigen Familien bei Erziehung der Kinder Werth auf solche Dinge gelegt wird. Ich schreibe dieses auf die Gefahr hin, bei manchem meiner Landsleute Anstoß zu erregen, ihm als schlechter Patriot zu erscheinen. Die Wahrheit ist seit alten Zeiten Manchem bitter erschienen, und es ist die Wahrheit, wenn ich sage, unsre Erziehung ist in dieser Hinsicht mangelhaft, die romanischen Völker sind den Nordländern im äußeren Benehmen, im feinen gesellschaft¬ lichen Tacte überlegen, und dieß giebt in romanischen Ländern der großen Menge, welche nur nach dem äußeren Anschein urtheilt, die Veranlassung, uns noch innrer Barbaren zu nennen; denn sie beurtheilt den ganzen Mann nach seinem äußeren Benehmen; der vielleicht größere sittliche Werth, das aus¬ gedehntere Wissen bleibt ihr verborgen, und auch wenn sie es erkennen sollte, so fühlt sie sich doch auf den bloßen Grund ihrer größeren äußeren Abgeschliffenheit, ihres savoir kairo hin dem Fremden überlegen. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß derjenige Grad feiner gesellschaftlicher Bildung, dem man bei uns nur in den höheren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/314>, abgerufen am 28.12.2024.