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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Abkommen ist damals von beiden Seiten auf das Strikteste gehalten worden.
Am Beginn des Kriegs von 1866 hat Deutschland erklärt, seiner Seits werde
es sich am französischen Privateigenthum zur See nicht vergreifen. Allein
diese, im Laufe des Kriegs auf das Gewissenhafteste innegehaltene Erklärung
fand in Frankreich kein Echo. Frankreich hat überall, wo es konnte, deutsche
Kauffahrtei-Schiffe mit ihrer Ladung, auch mit der allerunverfänglichsten La¬
dung, und mit der friedfertigsten Mannschaft, welche man sogar noch auf das
Sträflichste mißhandelte, weggenommen. Seine Kriegs-Marine, welche sich zu
kriegerischen Leistungen auf See unfähig erwies, beschränkte sich darauf, wehr¬
lose Kauffahrer zu beschädigen und sich an Privateigenthum zu vergreifen.
Was ist der Nutzen, den Frankreich davon gehabt hat? Erstens hat es seine
eigene Flotte lahm gelegt; denn da Gerechtigkeit nicht bestand, konnte sie
jeden Augenblick gewärtig sein, daß Deutschland seine Erklärung widerriefe,
und deshalb konnte auch sie sich nicht herauswagen. Zweitens hat es durch sein
Verhalten muthwilliger Weise seine Kriegsentschädigung auf die enorme Summe
von fünf Milliarden emporgeschnellt, und schon Angesichts der eben so großen
als ungerechtfertigten Schädigung der deutschen Rhederei und des deutschen
Handels ist es uns gradezu politisch und moralisch unmöglich, an dieser
Summe auch nur einen Centime nachzulassen. Das Interesse der Civilisation
fordert kategorisch, daß wir Frankreich 1871 in derselben Weise für die zur
See verübte schamlose Barbarei züchtigen, wie vormals Dänemark, und daß
wir damit den Beweis liefern, daß auch eine etwaige Ueberlegenheit zur See
demjenigen, welcher gestützt hierauf, dem Rechtsbewußtsein Europa's in's An¬
gesicht schlägt, noch lange keine Straflosigkeit sichert. Eine solche Züchtigung
wird auf die Piraten-Gelüste, welche sich in der Londoner Unterhausdebatte
Seitens Einzelner an den Tag wagten, bald zum Schweigen bringen. Möge
England wissen, daß die Zeiten, wo es die europäischen Mächte durch Sub-
sidien beherrschte, wo es sich aus dem Kontinent eine Armee kaufen konnte,
per Kopf für so und so viel Pfund oder Schilling, wo eine Landung in England
unmöglich, und wo die Englische Marine der aller übrigen Staaten zusammen¬
genommen überlegen war, -- daß diese Zeiten vorbei sind. Dies sind die
Gründe, aus welchen wir hoffen, England wird denselben Schritt, den es
1866 gethan, vollenden, statt ihn zurückzuziehen.

Das Ziel, welchem wir heute zustreben, ist in jenem Vertrag von 1786
zwischen Preußen und Amerika, welchen der zweite Theil des Kapp'schen
Buches behandelt, bereits erreicht. Damals freilich hat dieses glänzende
Beispiel, welches der "Philosoph von Sanssouci" (Friedrich der Große) und
der "Philosoph des armen Richard" (Benjamin Franklin) der Welt gaben,
keine weitere Nachahmung gefunden. Gleichwohl bildet jener Vertrag ein
weithin durch die Geschichte leuchtendes Zeichen, welchem alle civilisirten


Abkommen ist damals von beiden Seiten auf das Strikteste gehalten worden.
Am Beginn des Kriegs von 1866 hat Deutschland erklärt, seiner Seits werde
es sich am französischen Privateigenthum zur See nicht vergreifen. Allein
diese, im Laufe des Kriegs auf das Gewissenhafteste innegehaltene Erklärung
fand in Frankreich kein Echo. Frankreich hat überall, wo es konnte, deutsche
Kauffahrtei-Schiffe mit ihrer Ladung, auch mit der allerunverfänglichsten La¬
dung, und mit der friedfertigsten Mannschaft, welche man sogar noch auf das
Sträflichste mißhandelte, weggenommen. Seine Kriegs-Marine, welche sich zu
kriegerischen Leistungen auf See unfähig erwies, beschränkte sich darauf, wehr¬
lose Kauffahrer zu beschädigen und sich an Privateigenthum zu vergreifen.
Was ist der Nutzen, den Frankreich davon gehabt hat? Erstens hat es seine
eigene Flotte lahm gelegt; denn da Gerechtigkeit nicht bestand, konnte sie
jeden Augenblick gewärtig sein, daß Deutschland seine Erklärung widerriefe,
und deshalb konnte auch sie sich nicht herauswagen. Zweitens hat es durch sein
Verhalten muthwilliger Weise seine Kriegsentschädigung auf die enorme Summe
von fünf Milliarden emporgeschnellt, und schon Angesichts der eben so großen
als ungerechtfertigten Schädigung der deutschen Rhederei und des deutschen
Handels ist es uns gradezu politisch und moralisch unmöglich, an dieser
Summe auch nur einen Centime nachzulassen. Das Interesse der Civilisation
fordert kategorisch, daß wir Frankreich 1871 in derselben Weise für die zur
See verübte schamlose Barbarei züchtigen, wie vormals Dänemark, und daß
wir damit den Beweis liefern, daß auch eine etwaige Ueberlegenheit zur See
demjenigen, welcher gestützt hierauf, dem Rechtsbewußtsein Europa's in's An¬
gesicht schlägt, noch lange keine Straflosigkeit sichert. Eine solche Züchtigung
wird auf die Piraten-Gelüste, welche sich in der Londoner Unterhausdebatte
Seitens Einzelner an den Tag wagten, bald zum Schweigen bringen. Möge
England wissen, daß die Zeiten, wo es die europäischen Mächte durch Sub-
sidien beherrschte, wo es sich aus dem Kontinent eine Armee kaufen konnte,
per Kopf für so und so viel Pfund oder Schilling, wo eine Landung in England
unmöglich, und wo die Englische Marine der aller übrigen Staaten zusammen¬
genommen überlegen war, — daß diese Zeiten vorbei sind. Dies sind die
Gründe, aus welchen wir hoffen, England wird denselben Schritt, den es
1866 gethan, vollenden, statt ihn zurückzuziehen.

Das Ziel, welchem wir heute zustreben, ist in jenem Vertrag von 1786
zwischen Preußen und Amerika, welchen der zweite Theil des Kapp'schen
Buches behandelt, bereits erreicht. Damals freilich hat dieses glänzende
Beispiel, welches der „Philosoph von Sanssouci" (Friedrich der Große) und
der „Philosoph des armen Richard" (Benjamin Franklin) der Welt gaben,
keine weitere Nachahmung gefunden. Gleichwohl bildet jener Vertrag ein
weithin durch die Geschichte leuchtendes Zeichen, welchem alle civilisirten


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[0311] Abkommen ist damals von beiden Seiten auf das Strikteste gehalten worden. Am Beginn des Kriegs von 1866 hat Deutschland erklärt, seiner Seits werde es sich am französischen Privateigenthum zur See nicht vergreifen. Allein diese, im Laufe des Kriegs auf das Gewissenhafteste innegehaltene Erklärung fand in Frankreich kein Echo. Frankreich hat überall, wo es konnte, deutsche Kauffahrtei-Schiffe mit ihrer Ladung, auch mit der allerunverfänglichsten La¬ dung, und mit der friedfertigsten Mannschaft, welche man sogar noch auf das Sträflichste mißhandelte, weggenommen. Seine Kriegs-Marine, welche sich zu kriegerischen Leistungen auf See unfähig erwies, beschränkte sich darauf, wehr¬ lose Kauffahrer zu beschädigen und sich an Privateigenthum zu vergreifen. Was ist der Nutzen, den Frankreich davon gehabt hat? Erstens hat es seine eigene Flotte lahm gelegt; denn da Gerechtigkeit nicht bestand, konnte sie jeden Augenblick gewärtig sein, daß Deutschland seine Erklärung widerriefe, und deshalb konnte auch sie sich nicht herauswagen. Zweitens hat es durch sein Verhalten muthwilliger Weise seine Kriegsentschädigung auf die enorme Summe von fünf Milliarden emporgeschnellt, und schon Angesichts der eben so großen als ungerechtfertigten Schädigung der deutschen Rhederei und des deutschen Handels ist es uns gradezu politisch und moralisch unmöglich, an dieser Summe auch nur einen Centime nachzulassen. Das Interesse der Civilisation fordert kategorisch, daß wir Frankreich 1871 in derselben Weise für die zur See verübte schamlose Barbarei züchtigen, wie vormals Dänemark, und daß wir damit den Beweis liefern, daß auch eine etwaige Ueberlegenheit zur See demjenigen, welcher gestützt hierauf, dem Rechtsbewußtsein Europa's in's An¬ gesicht schlägt, noch lange keine Straflosigkeit sichert. Eine solche Züchtigung wird auf die Piraten-Gelüste, welche sich in der Londoner Unterhausdebatte Seitens Einzelner an den Tag wagten, bald zum Schweigen bringen. Möge England wissen, daß die Zeiten, wo es die europäischen Mächte durch Sub- sidien beherrschte, wo es sich aus dem Kontinent eine Armee kaufen konnte, per Kopf für so und so viel Pfund oder Schilling, wo eine Landung in England unmöglich, und wo die Englische Marine der aller übrigen Staaten zusammen¬ genommen überlegen war, — daß diese Zeiten vorbei sind. Dies sind die Gründe, aus welchen wir hoffen, England wird denselben Schritt, den es 1866 gethan, vollenden, statt ihn zurückzuziehen. Das Ziel, welchem wir heute zustreben, ist in jenem Vertrag von 1786 zwischen Preußen und Amerika, welchen der zweite Theil des Kapp'schen Buches behandelt, bereits erreicht. Damals freilich hat dieses glänzende Beispiel, welches der „Philosoph von Sanssouci" (Friedrich der Große) und der „Philosoph des armen Richard" (Benjamin Franklin) der Welt gaben, keine weitere Nachahmung gefunden. Gleichwohl bildet jener Vertrag ein weithin durch die Geschichte leuchtendes Zeichen, welchem alle civilisirten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/311>, abgerufen am 21.10.2024.