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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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an solchen Orten der Kampf um Erhaltung oder Zerstörung auch am heftig¬
sten. Es stehen in fast allen diesen Städten zwei gegenseitig sich bekämpfende
Parteien einander gegenüber, welche im Allgemeinen mit den ursprünglich
und eigentlich nur auf die politischen und socialen Verhältnisse sich beziehen¬
den Namen der "Conservativen" und der "Liberalen" bezeichnet werden. Doch
sind diese Bezeichnungen nicht ganz richtig, weil man dabei übersehen hat,
daß die richtige Werthschätzung des guten Alten doch auch ein
Fortschritt, eine Errungenschaft der in der neuesten Zeit so sehr vertieften
Geschichtsforschung und Alterthumskunde ist. Die moderne Wissenschaft lehrt
uns Vieles achten, was wir bis vor Kurzem noch als werthlos bei Seite
liegen und oft zu Grunde gehen ließen.

Die Partei der sogenannten Conservativen besteht meist aus ältern
Personen, höchst ehrenwerthen Männern, meist Künstlern und Gelehrten,
welche im Laufe der Jahre vielseitige Erfahrungen und Kenntnisse sich erwar¬
ben. Sie besitzen besonders eine genaue Kenntniß der Geschichte ihres eigenen
Vaterlandes, wodurch die Denkmale der Vorzeit für sie natürlich in vieler
Beziehung einen bei Weitem höhern Werth erhalten, denn an dieselben
knüpfen sich viele Erinnerungen. Sie verlangen daher Pietät vor dem Ueber¬
lieferten, verlangen, daß man oemselben mit möglichster Schonung nahe und
es erhalte, so weit die Umstände irgend gestatten. Jede Abänderung einer
alten Institution, jede Erneuerung eines alten Bauwerkes, selbst wenn das¬
selbe unpraktisch sein sollte, schmerzt sie -- doch werden sie derselben nie
hindernd entgegentreten, sobald die Nothwendigkeit oder Nützlichkeit derselben
sich herausstellt. -- Neben diesen kenntnißreichen und aus guten Gründen
conservativ gesinnten Männern giebt es aber auch noch viele Leute, welche
Alles erhalten wissen wollen, was alt ist oder gar nur alt zu sein scheint,
aus keinem andern Grunde als eben seines Alterthums wegen. Sie wissen
keine Kritik zu üben, wissen das Gute von dem weniger Guten oder Werth¬
losen nicht zu unterscheiden, und hängen an dem Alten oft nur aus Gewohn¬
heit. So anerkennenswerth die Bestrebungen dieser Leute, ihr Sammeleifer
und ihr Erhaltungstrieb auch sind, die den Gelehrten manchen wichtigen
Dienst geleistet haben, so richten diese Alterthumsfreunde doch oft großen
Schaden an, indem sie durch ihre Unwissenheit und oft durch blos persönliche
Liebhabereien in den Augen der gegnerischen Partei sich lächerlich machen und
durch ihre Hartnäckigkeit, wodurch sie, wenn einflußreich, vielleicht in einem
einzelnen Falle ein Monument für kurze Zeit noch zu halten vermögen, die
andere Partei nur zu desto energischeren Vorgehen antreiben. Diese echt
Conservativen, welche in allen Alterthumsvereinen die überwiegende Zahl bil¬
den und in Schriften dieser Vereine oft in ungebührlicher Weise sich breit
machen, haben die wahren Kenner der Geschichte und Archäologie von Fach,


an solchen Orten der Kampf um Erhaltung oder Zerstörung auch am heftig¬
sten. Es stehen in fast allen diesen Städten zwei gegenseitig sich bekämpfende
Parteien einander gegenüber, welche im Allgemeinen mit den ursprünglich
und eigentlich nur auf die politischen und socialen Verhältnisse sich beziehen¬
den Namen der „Conservativen" und der „Liberalen" bezeichnet werden. Doch
sind diese Bezeichnungen nicht ganz richtig, weil man dabei übersehen hat,
daß die richtige Werthschätzung des guten Alten doch auch ein
Fortschritt, eine Errungenschaft der in der neuesten Zeit so sehr vertieften
Geschichtsforschung und Alterthumskunde ist. Die moderne Wissenschaft lehrt
uns Vieles achten, was wir bis vor Kurzem noch als werthlos bei Seite
liegen und oft zu Grunde gehen ließen.

Die Partei der sogenannten Conservativen besteht meist aus ältern
Personen, höchst ehrenwerthen Männern, meist Künstlern und Gelehrten,
welche im Laufe der Jahre vielseitige Erfahrungen und Kenntnisse sich erwar¬
ben. Sie besitzen besonders eine genaue Kenntniß der Geschichte ihres eigenen
Vaterlandes, wodurch die Denkmale der Vorzeit für sie natürlich in vieler
Beziehung einen bei Weitem höhern Werth erhalten, denn an dieselben
knüpfen sich viele Erinnerungen. Sie verlangen daher Pietät vor dem Ueber¬
lieferten, verlangen, daß man oemselben mit möglichster Schonung nahe und
es erhalte, so weit die Umstände irgend gestatten. Jede Abänderung einer
alten Institution, jede Erneuerung eines alten Bauwerkes, selbst wenn das¬
selbe unpraktisch sein sollte, schmerzt sie — doch werden sie derselben nie
hindernd entgegentreten, sobald die Nothwendigkeit oder Nützlichkeit derselben
sich herausstellt. — Neben diesen kenntnißreichen und aus guten Gründen
conservativ gesinnten Männern giebt es aber auch noch viele Leute, welche
Alles erhalten wissen wollen, was alt ist oder gar nur alt zu sein scheint,
aus keinem andern Grunde als eben seines Alterthums wegen. Sie wissen
keine Kritik zu üben, wissen das Gute von dem weniger Guten oder Werth¬
losen nicht zu unterscheiden, und hängen an dem Alten oft nur aus Gewohn¬
heit. So anerkennenswerth die Bestrebungen dieser Leute, ihr Sammeleifer
und ihr Erhaltungstrieb auch sind, die den Gelehrten manchen wichtigen
Dienst geleistet haben, so richten diese Alterthumsfreunde doch oft großen
Schaden an, indem sie durch ihre Unwissenheit und oft durch blos persönliche
Liebhabereien in den Augen der gegnerischen Partei sich lächerlich machen und
durch ihre Hartnäckigkeit, wodurch sie, wenn einflußreich, vielleicht in einem
einzelnen Falle ein Monument für kurze Zeit noch zu halten vermögen, die
andere Partei nur zu desto energischeren Vorgehen antreiben. Diese echt
Conservativen, welche in allen Alterthumsvereinen die überwiegende Zahl bil¬
den und in Schriften dieser Vereine oft in ungebührlicher Weise sich breit
machen, haben die wahren Kenner der Geschichte und Archäologie von Fach,


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[0250] an solchen Orten der Kampf um Erhaltung oder Zerstörung auch am heftig¬ sten. Es stehen in fast allen diesen Städten zwei gegenseitig sich bekämpfende Parteien einander gegenüber, welche im Allgemeinen mit den ursprünglich und eigentlich nur auf die politischen und socialen Verhältnisse sich beziehen¬ den Namen der „Conservativen" und der „Liberalen" bezeichnet werden. Doch sind diese Bezeichnungen nicht ganz richtig, weil man dabei übersehen hat, daß die richtige Werthschätzung des guten Alten doch auch ein Fortschritt, eine Errungenschaft der in der neuesten Zeit so sehr vertieften Geschichtsforschung und Alterthumskunde ist. Die moderne Wissenschaft lehrt uns Vieles achten, was wir bis vor Kurzem noch als werthlos bei Seite liegen und oft zu Grunde gehen ließen. Die Partei der sogenannten Conservativen besteht meist aus ältern Personen, höchst ehrenwerthen Männern, meist Künstlern und Gelehrten, welche im Laufe der Jahre vielseitige Erfahrungen und Kenntnisse sich erwar¬ ben. Sie besitzen besonders eine genaue Kenntniß der Geschichte ihres eigenen Vaterlandes, wodurch die Denkmale der Vorzeit für sie natürlich in vieler Beziehung einen bei Weitem höhern Werth erhalten, denn an dieselben knüpfen sich viele Erinnerungen. Sie verlangen daher Pietät vor dem Ueber¬ lieferten, verlangen, daß man oemselben mit möglichster Schonung nahe und es erhalte, so weit die Umstände irgend gestatten. Jede Abänderung einer alten Institution, jede Erneuerung eines alten Bauwerkes, selbst wenn das¬ selbe unpraktisch sein sollte, schmerzt sie — doch werden sie derselben nie hindernd entgegentreten, sobald die Nothwendigkeit oder Nützlichkeit derselben sich herausstellt. — Neben diesen kenntnißreichen und aus guten Gründen conservativ gesinnten Männern giebt es aber auch noch viele Leute, welche Alles erhalten wissen wollen, was alt ist oder gar nur alt zu sein scheint, aus keinem andern Grunde als eben seines Alterthums wegen. Sie wissen keine Kritik zu üben, wissen das Gute von dem weniger Guten oder Werth¬ losen nicht zu unterscheiden, und hängen an dem Alten oft nur aus Gewohn¬ heit. So anerkennenswerth die Bestrebungen dieser Leute, ihr Sammeleifer und ihr Erhaltungstrieb auch sind, die den Gelehrten manchen wichtigen Dienst geleistet haben, so richten diese Alterthumsfreunde doch oft großen Schaden an, indem sie durch ihre Unwissenheit und oft durch blos persönliche Liebhabereien in den Augen der gegnerischen Partei sich lächerlich machen und durch ihre Hartnäckigkeit, wodurch sie, wenn einflußreich, vielleicht in einem einzelnen Falle ein Monument für kurze Zeit noch zu halten vermögen, die andere Partei nur zu desto energischeren Vorgehen antreiben. Diese echt Conservativen, welche in allen Alterthumsvereinen die überwiegende Zahl bil¬ den und in Schriften dieser Vereine oft in ungebührlicher Weise sich breit machen, haben die wahren Kenner der Geschichte und Archäologie von Fach,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/250>, abgerufen am 28.09.2024.