Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.darauf halten muß, fort und fort dafür anerkannt zu werden. Deutschland Aber welch ein Schauspiel ist es, dem wer zuschauen? Die Revolution darauf halten muß, fort und fort dafür anerkannt zu werden. Deutschland Aber welch ein Schauspiel ist es, dem wer zuschauen? Die Revolution <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126028"/> <p xml:id="ID_763" prev="#ID_762"> darauf halten muß, fort und fort dafür anerkannt zu werden. Deutschland<lb/> kann in keiner Weise eine Verantwortlichkeit für die Zukunft Frankreichs<lb/> übernehmen, und doch würde es sich mit einem Theil dieser Verantwortlich¬<lb/> keit beladen, wenn es zu Gunsten irgend einer Regierung interveniren wollte.<lb/> Wer weiß, ob diese Regierung selbst, nachdem sie den Beistand der deutschen<lb/> Waffen angenommen, sich nicht zurückzöge, weil sie die Bürde ihrer Lage zu<lb/> schwer fände, ohne eine Nachfolgerin zu hinterlassen, welche bereit wäre, die<lb/> Erbschaft der gegen Deutschland übernommenen Verpflichtungen anzutreten.<lb/> Während in dem ersteren der angedeuteten Fälle Deutschland der offenen<lb/> Böswilligkeit neue Nahrung gegeben hätte, käme es durch den letzteren in die<lb/> Lage, die Bestellung einer Regierung Frankreichs zu seiner Aufgabe machen<lb/> zu müssen. Demnach stehen die Dinge so, daß wir dem Ständekrieg in<lb/> Frankreich gegenüber so lange Zuschauer bleiben müssen, als wir nicht den<lb/> offenbaren Willen die Herrschaft gewinnen sehen, die gegen uns übernomme¬<lb/> nen Verpflichtungen zu brechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_764" next="#ID_765"> Aber welch ein Schauspiel ist es, dem wer zuschauen? Die Revolution<lb/> von 1789 bezeichnet den Wendepunkt eines Welttheils. Die Umwälzungen<lb/> von 1830 und 1848 haben zum wenigsten jede eine Periode des französischen<lb/> Staates eingeleitet. Der heutige Aufstand der sogenannten Commune von<lb/> Paris ist lediglich eine Loealposse, so greuliche Auftritte auch darin vorkommen.<lb/> Das Schlimmste ist aber, daß die Dichter und Helden dieser Posse zum großen<lb/> Theil nicht einmal Franzosen sind, sondern abenteuerliche Figuren aller mög¬<lb/> lichen Länder. Schon die Episode der Herrschaft Gambettas war nicht fran¬<lb/> zösischen Ursprungs. Der damalige Dictator Frankreichs stammte von Genua,<lb/> und im Felde sollte Garibaldi mit seinen Söhnen und seinem Generalstabs¬<lb/> chef Bordone die französische Waffenehre retten. Freilich wird diese Episode<lb/> jetzt in der französischen Nationalversammlung auf jede Weise gebrandmarkt,<lb/> in ihren Personen wie in ihrem Verfahren. Aber damit kann die Schmach<lb/> nicht von dem französischen Volk entfernt werden, seine Geschicke leichtsinnig<lb/> einer Handvoll Abenteurern überlassen zu haben. Bei welchem gebildeten Volk<lb/> wäre das außer Frankreich möglich? Eine Regierung, die sich wirklich<lb/> Eins gefühlt hätte mit dem französischen Staat und verantwortlich für<lb/> Frankreichs Zukunft, würde nach Sedan Friede geschlossen haben, anstatt in<lb/> einem comödienhaften Experimente mit der Lebenskraft eines ganzen Volkes<lb/> zu spielen. Aber Frankreich ist seitdem noch weit tiefer gesunken, oder<lb/> wenn nicht Frankreich, doch Paris, das Victor Hugo die Arche der Civilisa¬<lb/> sation nannte. Dieses Paris ist der Vereinigungspunkt aller abenteuerlichen<lb/> und verdorbenen Charaktere geworden, die aus der Heimath, der sie ent¬<lb/> stammen, als untauglich ausgestoßen sind. Da finden wir die unvermeid¬<lb/> lichen polnischen Namen, repräsentirt durch zwei Träger, von denen der eine<lb/> sich als Verfertiger von falschen Banknoten hervorgethan hat. Da finden<lb/> wir einen Italiener, La Cecilia, und selbst einige deutsche Namen, wahrschein¬<lb/> lich solcher Subjecte, die nirgends auf einer geordneten Lebensbahn ausdauern.<lb/> Diese Leute bilden heute die Regierung von Paris, welche den Anspruch er¬<lb/> hebt, an die Spitze von Frankreich zu treten. Wie die Führer, so die Armee.<lb/> Diese Armee, welche für die neue Regierung Frankreichs kämpft, besteht aus<lb/> Tausenden bestrafter Verbrecher, daneben aus ausländischem Gesindel, dessen<lb/> Zahl der „Gaulois" auf 28,000 Mann anschlägt, darunter alle Raufbolde<lb/> von Profession, Polen, irländische Fenier, Garibaldiner. Würde nicht jede<lb/> andere Nation wie Ein Mann sich erheben, in deren Hauptstadt sich ein<lb/> solcher Haufe die Herrschaft anmaßen wollte, um die Kirchen zu plündern,<lb/> die öffentlichen Anstalten zu berauben und die Historischen Denkmäler in die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
darauf halten muß, fort und fort dafür anerkannt zu werden. Deutschland
kann in keiner Weise eine Verantwortlichkeit für die Zukunft Frankreichs
übernehmen, und doch würde es sich mit einem Theil dieser Verantwortlich¬
keit beladen, wenn es zu Gunsten irgend einer Regierung interveniren wollte.
Wer weiß, ob diese Regierung selbst, nachdem sie den Beistand der deutschen
Waffen angenommen, sich nicht zurückzöge, weil sie die Bürde ihrer Lage zu
schwer fände, ohne eine Nachfolgerin zu hinterlassen, welche bereit wäre, die
Erbschaft der gegen Deutschland übernommenen Verpflichtungen anzutreten.
Während in dem ersteren der angedeuteten Fälle Deutschland der offenen
Böswilligkeit neue Nahrung gegeben hätte, käme es durch den letzteren in die
Lage, die Bestellung einer Regierung Frankreichs zu seiner Aufgabe machen
zu müssen. Demnach stehen die Dinge so, daß wir dem Ständekrieg in
Frankreich gegenüber so lange Zuschauer bleiben müssen, als wir nicht den
offenbaren Willen die Herrschaft gewinnen sehen, die gegen uns übernomme¬
nen Verpflichtungen zu brechen.
Aber welch ein Schauspiel ist es, dem wer zuschauen? Die Revolution
von 1789 bezeichnet den Wendepunkt eines Welttheils. Die Umwälzungen
von 1830 und 1848 haben zum wenigsten jede eine Periode des französischen
Staates eingeleitet. Der heutige Aufstand der sogenannten Commune von
Paris ist lediglich eine Loealposse, so greuliche Auftritte auch darin vorkommen.
Das Schlimmste ist aber, daß die Dichter und Helden dieser Posse zum großen
Theil nicht einmal Franzosen sind, sondern abenteuerliche Figuren aller mög¬
lichen Länder. Schon die Episode der Herrschaft Gambettas war nicht fran¬
zösischen Ursprungs. Der damalige Dictator Frankreichs stammte von Genua,
und im Felde sollte Garibaldi mit seinen Söhnen und seinem Generalstabs¬
chef Bordone die französische Waffenehre retten. Freilich wird diese Episode
jetzt in der französischen Nationalversammlung auf jede Weise gebrandmarkt,
in ihren Personen wie in ihrem Verfahren. Aber damit kann die Schmach
nicht von dem französischen Volk entfernt werden, seine Geschicke leichtsinnig
einer Handvoll Abenteurern überlassen zu haben. Bei welchem gebildeten Volk
wäre das außer Frankreich möglich? Eine Regierung, die sich wirklich
Eins gefühlt hätte mit dem französischen Staat und verantwortlich für
Frankreichs Zukunft, würde nach Sedan Friede geschlossen haben, anstatt in
einem comödienhaften Experimente mit der Lebenskraft eines ganzen Volkes
zu spielen. Aber Frankreich ist seitdem noch weit tiefer gesunken, oder
wenn nicht Frankreich, doch Paris, das Victor Hugo die Arche der Civilisa¬
sation nannte. Dieses Paris ist der Vereinigungspunkt aller abenteuerlichen
und verdorbenen Charaktere geworden, die aus der Heimath, der sie ent¬
stammen, als untauglich ausgestoßen sind. Da finden wir die unvermeid¬
lichen polnischen Namen, repräsentirt durch zwei Träger, von denen der eine
sich als Verfertiger von falschen Banknoten hervorgethan hat. Da finden
wir einen Italiener, La Cecilia, und selbst einige deutsche Namen, wahrschein¬
lich solcher Subjecte, die nirgends auf einer geordneten Lebensbahn ausdauern.
Diese Leute bilden heute die Regierung von Paris, welche den Anspruch er¬
hebt, an die Spitze von Frankreich zu treten. Wie die Führer, so die Armee.
Diese Armee, welche für die neue Regierung Frankreichs kämpft, besteht aus
Tausenden bestrafter Verbrecher, daneben aus ausländischem Gesindel, dessen
Zahl der „Gaulois" auf 28,000 Mann anschlägt, darunter alle Raufbolde
von Profession, Polen, irländische Fenier, Garibaldiner. Würde nicht jede
andere Nation wie Ein Mann sich erheben, in deren Hauptstadt sich ein
solcher Haufe die Herrschaft anmaßen wollte, um die Kirchen zu plündern,
die öffentlichen Anstalten zu berauben und die Historischen Denkmäler in die
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