Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.Gemeinwesens, das Schweizer Volk in einem Heer dem Feinde entgegen. ') Rüstow, eidg. Oberst, "der Krieg um die Nheingrenze 1870", Zürich, F. Schultheß,
S. 121. Gemeinwesens, das Schweizer Volk in einem Heer dem Feinde entgegen. ') Rüstow, eidg. Oberst, „der Krieg um die Nheingrenze 1870", Zürich, F. Schultheß,
S. 121. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125806"/> <p xml:id="ID_53" prev="#ID_52" next="#ID_54"> Gemeinwesens, das Schweizer Volk in einem Heer dem Feinde entgegen.<lb/> Jeder Canton ließ sich einzeln abschlachten, nachdem er dem Hülferuf der<lb/> Eidsgenossen zuvor die Heerfolge geweigert hatte. Heute traten drei Nationen<lb/> wegen viel geringerer Güter zusammen zu gegenseitiger Hülfe und einträchti¬<lb/> ger Stärke. Und wie lächerlich klang der Vorwurf des Landesverraths, der<lb/> Preisgebung der Schweiz an den preußischen Despotismus aus dem Munde der<lb/> Demagogen. Kein geringerer als Euer Gesandter am Pariser Hof, Dr. Kern,<lb/> strafte sie Lügen. Denn als später Herr Mony im gesetzgebenden Körper in<lb/> Paris für den 20. Juni seine bekannte Jnterpellation betr. die Gvtthardbcchn<lb/> an die Regierung stellte, und der Chauvinismus schon damals an diesem Vor-<lb/> wande zum Kriege hetzte, wie später an der Candidatur Hohenzollern, da<lb/> eilte Dr. Kern in Paris zum Herzog von Gramont, und „entwickelte ihm mit<lb/> den Dokumenten in der Hand, daß von einer Bedrohung der Neutralität der<lb/> Schweiz durch die Gotthardbahn nicht die Rede sein könne, daß im Gegen¬<lb/> theile die Schweiz bei allen Verhandlungen auf die Wahrung ihrer Neutralität<lb/> die entschiedenste Rücksicht genommen und durch eine Anzahl von Clauseln<lb/> allem dem vorgebeugt habe, was späterhin etwa durch falsche Auslegung der<lb/> Verträge wirklich eine Beschränkung der 'Neutralität oder Souveränetät herbei<lb/> führen könnte"*). Und — „der Herzog von Gramont behandelte die An¬<lb/> gelegenheit in seiner Erwiederung ganz gemäß den Ansichten, die der schwei¬<lb/> zerische Bundesrath selbst von ihr hatte — durchaus friedlich." Wie aber in<lb/> der Schweiz die Demagogen den Bundesrath, so interpellirten nun in Paris<lb/> die Männer der Linken den Kriegsminister, ob Frankreichs Würde durch die<lb/> Gotthardbahn nicht geschädigt sei. Herr Jules Ferry war es, der damals<lb/> sagte: „Dieselbe Negierung, welche Sadowa ruhig habe machen lassen, lasse<lb/> jetzt den Gotthard bauen." Das war die „friedliche" Stimmung der fran¬<lb/> zösischen Linken, die Ihr und Eure Blätter von aller Mitschuld am Krieg<lb/> und Kriegsgeschrei rein wascht. Doch davon später. Für jetzt genügt festzu¬<lb/> stellen, welche enorme und epochemachende Bedeutung der Vertrag über die<lb/> Gotthardbahn hat, und welcher hervorragende Antheil an dessen Abschluß<lb/> Deutschland und unserm Kanzler zukommt. Daß die Schweiz, wenn wir ein¬<lb/> mal rechnen wollen, den Löwenantheil aus diesem Vertrage davonträgt, ist<lb/> wohl nicht erst zu beweisen. Denn sie erlangt, unter Einsetzung der gering¬<lb/> sten Opfer, die größten Vortheile, die Mittel zur Fortsetzung ihrer Existenz<lb/> im handelspolitischen, ja im ökonomischen Sinne. Der Handel der Schweiz<lb/> ist naturgemäß vorwiegend Transithandel. Er war auf's Ernsteste bedroht,</p><lb/> <note xml:id="FID_6" place="foot"> ') Rüstow, eidg. Oberst, „der Krieg um die Nheingrenze 1870", Zürich, F. Schultheß,<lb/> S. 121.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Gemeinwesens, das Schweizer Volk in einem Heer dem Feinde entgegen.
Jeder Canton ließ sich einzeln abschlachten, nachdem er dem Hülferuf der
Eidsgenossen zuvor die Heerfolge geweigert hatte. Heute traten drei Nationen
wegen viel geringerer Güter zusammen zu gegenseitiger Hülfe und einträchti¬
ger Stärke. Und wie lächerlich klang der Vorwurf des Landesverraths, der
Preisgebung der Schweiz an den preußischen Despotismus aus dem Munde der
Demagogen. Kein geringerer als Euer Gesandter am Pariser Hof, Dr. Kern,
strafte sie Lügen. Denn als später Herr Mony im gesetzgebenden Körper in
Paris für den 20. Juni seine bekannte Jnterpellation betr. die Gvtthardbcchn
an die Regierung stellte, und der Chauvinismus schon damals an diesem Vor-
wande zum Kriege hetzte, wie später an der Candidatur Hohenzollern, da
eilte Dr. Kern in Paris zum Herzog von Gramont, und „entwickelte ihm mit
den Dokumenten in der Hand, daß von einer Bedrohung der Neutralität der
Schweiz durch die Gotthardbahn nicht die Rede sein könne, daß im Gegen¬
theile die Schweiz bei allen Verhandlungen auf die Wahrung ihrer Neutralität
die entschiedenste Rücksicht genommen und durch eine Anzahl von Clauseln
allem dem vorgebeugt habe, was späterhin etwa durch falsche Auslegung der
Verträge wirklich eine Beschränkung der 'Neutralität oder Souveränetät herbei
führen könnte"*). Und — „der Herzog von Gramont behandelte die An¬
gelegenheit in seiner Erwiederung ganz gemäß den Ansichten, die der schwei¬
zerische Bundesrath selbst von ihr hatte — durchaus friedlich." Wie aber in
der Schweiz die Demagogen den Bundesrath, so interpellirten nun in Paris
die Männer der Linken den Kriegsminister, ob Frankreichs Würde durch die
Gotthardbahn nicht geschädigt sei. Herr Jules Ferry war es, der damals
sagte: „Dieselbe Negierung, welche Sadowa ruhig habe machen lassen, lasse
jetzt den Gotthard bauen." Das war die „friedliche" Stimmung der fran¬
zösischen Linken, die Ihr und Eure Blätter von aller Mitschuld am Krieg
und Kriegsgeschrei rein wascht. Doch davon später. Für jetzt genügt festzu¬
stellen, welche enorme und epochemachende Bedeutung der Vertrag über die
Gotthardbahn hat, und welcher hervorragende Antheil an dessen Abschluß
Deutschland und unserm Kanzler zukommt. Daß die Schweiz, wenn wir ein¬
mal rechnen wollen, den Löwenantheil aus diesem Vertrage davonträgt, ist
wohl nicht erst zu beweisen. Denn sie erlangt, unter Einsetzung der gering¬
sten Opfer, die größten Vortheile, die Mittel zur Fortsetzung ihrer Existenz
im handelspolitischen, ja im ökonomischen Sinne. Der Handel der Schweiz
ist naturgemäß vorwiegend Transithandel. Er war auf's Ernsteste bedroht,
') Rüstow, eidg. Oberst, „der Krieg um die Nheingrenze 1870", Zürich, F. Schultheß,
S. 121.
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