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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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-- die Sinne von mehr als 2 Millionen Menschen strengten sich an, das
Schiboleth zu finden, die Brücke, welche nach der anderen Welt hinüberführte.
Der Elan der Pariser gipfelte in den abenteuerlichsten Plänen, die deutschen
Linien zu durchbrechen oder die Barbaren zu täuschen. Verkleidete Gemüse¬
händler in der Tracht des schmutzigen Meaux -- noch schmutziger als die
große Lutetia selbst -- versuchten, sich durch die deutschen Vorposten zu
schleichen. Von 86 Mtons gelang aber nur fünf Glücklichen hindurchzu¬
kommen. Einer von ihnen, Namens I^Atolls, kehrte sogar mit 130 Briefen
von Dvrsux zurück; später indeß war jeder Versuch vergebliche Mühe! Spur¬
kundigen Hunden wurden Briefschaften anvertraut, -- sie kamen nicht zu¬
rück. Die schauerliche Einöde der Katakomben wurde zum Postcours auser¬
sehen, -- umsonst! die Boten verunglückten. -- Schwimmende Hohlkugeln,
mit Botschaften angefüllt und in die Seine geworfen, Taucherboote, -- Alles
umsonst, selbst der Strom war von den Barbaren gebändigt; eine undurch¬
dringliche Sperre hemmte jeden Verkehr. Verrath überall, la tsi-re törinSe,
1'<zö.u inäooüo! Aber hatte nicht Dädalus der Gefangene in Creta, Mont-
golfier und Gay-Lussac zu Nachfolgern? Omnig. posMeg-t, non xossiäet
A>tra NmoL! Hatten doch die Luftballons schon in manchen Kriegen eine
bedeutende Rolle gespielt, allerdings die sogenannten festen Ballons, in
denen Genieoffiziere den Feind beobachten konnten. Die Schlachten von
Fleurus, später von Solferino waren durch treffliche Recognoscirungen in
Ballons gewonnen; in der letzteren Schlacht soll Godard die Ankunft der
Oesterreicher von seinem luftigen Standpunkte aus erforscht, sie zu rechter
Zeit signalifirt und so zum Erringen des Sieges beigetragen haben. Auch
im letzten ameri mischen Bürgerkriege hatte Grant Ballons zum Kund¬
schaften verwendet. Nun aber mußten womöglich "lenkbare" Ballons herge¬
stellt werden, damit man den verhaßten Deutschen nicht in die Hände fiel.
Wie viel Köpfe zerschellten an dem alten Problem, -- die engen Grenzen
der menschlichen Erkenntniß konnte eben kein Nadar überschreiten! Doch
man ging eilig ans Werk. Die festen Ballons Nadar's schwebten über dem
Nontmartre, von wo aus die deutschen Stellungen recognoscirt wurden. Einer
dieser Ballons, der Neptun, wurde Dank der Energie des Chefs der Post-
verwaltung, Ur. Ramxont 1<z Odin, in kurzer Zeit hergerichtet und schon am
23. September 7^ Uhr Abends verließ er mit dem Luftschiffer Duruof an
Bord von der Place Samt Pierre Paris, belastet mit 103 Kilogramm
Briefen. Ballonpost! poetischer Gedanke, durch die Lüfte alle jene tausend
Gelübde, Thränen. Hoffnungen, begeisterte oder melancholische Ideen zu
tragen, die das "Herz Frankreichs" bewegten.

Die Fabrikation neuer großer Ballons wurde von dem General-Post-
director Herrn Godard übertragen; auch eine veols avrvus.uti<zue entstand,


— die Sinne von mehr als 2 Millionen Menschen strengten sich an, das
Schiboleth zu finden, die Brücke, welche nach der anderen Welt hinüberführte.
Der Elan der Pariser gipfelte in den abenteuerlichsten Plänen, die deutschen
Linien zu durchbrechen oder die Barbaren zu täuschen. Verkleidete Gemüse¬
händler in der Tracht des schmutzigen Meaux — noch schmutziger als die
große Lutetia selbst — versuchten, sich durch die deutschen Vorposten zu
schleichen. Von 86 Mtons gelang aber nur fünf Glücklichen hindurchzu¬
kommen. Einer von ihnen, Namens I^Atolls, kehrte sogar mit 130 Briefen
von Dvrsux zurück; später indeß war jeder Versuch vergebliche Mühe! Spur¬
kundigen Hunden wurden Briefschaften anvertraut, — sie kamen nicht zu¬
rück. Die schauerliche Einöde der Katakomben wurde zum Postcours auser¬
sehen, — umsonst! die Boten verunglückten. — Schwimmende Hohlkugeln,
mit Botschaften angefüllt und in die Seine geworfen, Taucherboote, — Alles
umsonst, selbst der Strom war von den Barbaren gebändigt; eine undurch¬
dringliche Sperre hemmte jeden Verkehr. Verrath überall, la tsi-re törinSe,
1'<zö.u inäooüo! Aber hatte nicht Dädalus der Gefangene in Creta, Mont-
golfier und Gay-Lussac zu Nachfolgern? Omnig. posMeg-t, non xossiäet
A>tra NmoL! Hatten doch die Luftballons schon in manchen Kriegen eine
bedeutende Rolle gespielt, allerdings die sogenannten festen Ballons, in
denen Genieoffiziere den Feind beobachten konnten. Die Schlachten von
Fleurus, später von Solferino waren durch treffliche Recognoscirungen in
Ballons gewonnen; in der letzteren Schlacht soll Godard die Ankunft der
Oesterreicher von seinem luftigen Standpunkte aus erforscht, sie zu rechter
Zeit signalifirt und so zum Erringen des Sieges beigetragen haben. Auch
im letzten ameri mischen Bürgerkriege hatte Grant Ballons zum Kund¬
schaften verwendet. Nun aber mußten womöglich „lenkbare" Ballons herge¬
stellt werden, damit man den verhaßten Deutschen nicht in die Hände fiel.
Wie viel Köpfe zerschellten an dem alten Problem, — die engen Grenzen
der menschlichen Erkenntniß konnte eben kein Nadar überschreiten! Doch
man ging eilig ans Werk. Die festen Ballons Nadar's schwebten über dem
Nontmartre, von wo aus die deutschen Stellungen recognoscirt wurden. Einer
dieser Ballons, der Neptun, wurde Dank der Energie des Chefs der Post-
verwaltung, Ur. Ramxont 1<z Odin, in kurzer Zeit hergerichtet und schon am
23. September 7^ Uhr Abends verließ er mit dem Luftschiffer Duruof an
Bord von der Place Samt Pierre Paris, belastet mit 103 Kilogramm
Briefen. Ballonpost! poetischer Gedanke, durch die Lüfte alle jene tausend
Gelübde, Thränen. Hoffnungen, begeisterte oder melancholische Ideen zu
tragen, die das „Herz Frankreichs" bewegten.

Die Fabrikation neuer großer Ballons wurde von dem General-Post-
director Herrn Godard übertragen; auch eine veols avrvus.uti<zue entstand,


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[0224] — die Sinne von mehr als 2 Millionen Menschen strengten sich an, das Schiboleth zu finden, die Brücke, welche nach der anderen Welt hinüberführte. Der Elan der Pariser gipfelte in den abenteuerlichsten Plänen, die deutschen Linien zu durchbrechen oder die Barbaren zu täuschen. Verkleidete Gemüse¬ händler in der Tracht des schmutzigen Meaux — noch schmutziger als die große Lutetia selbst — versuchten, sich durch die deutschen Vorposten zu schleichen. Von 86 Mtons gelang aber nur fünf Glücklichen hindurchzu¬ kommen. Einer von ihnen, Namens I^Atolls, kehrte sogar mit 130 Briefen von Dvrsux zurück; später indeß war jeder Versuch vergebliche Mühe! Spur¬ kundigen Hunden wurden Briefschaften anvertraut, — sie kamen nicht zu¬ rück. Die schauerliche Einöde der Katakomben wurde zum Postcours auser¬ sehen, — umsonst! die Boten verunglückten. — Schwimmende Hohlkugeln, mit Botschaften angefüllt und in die Seine geworfen, Taucherboote, — Alles umsonst, selbst der Strom war von den Barbaren gebändigt; eine undurch¬ dringliche Sperre hemmte jeden Verkehr. Verrath überall, la tsi-re törinSe, 1'<zö.u inäooüo! Aber hatte nicht Dädalus der Gefangene in Creta, Mont- golfier und Gay-Lussac zu Nachfolgern? Omnig. posMeg-t, non xossiäet A>tra NmoL! Hatten doch die Luftballons schon in manchen Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt, allerdings die sogenannten festen Ballons, in denen Genieoffiziere den Feind beobachten konnten. Die Schlachten von Fleurus, später von Solferino waren durch treffliche Recognoscirungen in Ballons gewonnen; in der letzteren Schlacht soll Godard die Ankunft der Oesterreicher von seinem luftigen Standpunkte aus erforscht, sie zu rechter Zeit signalifirt und so zum Erringen des Sieges beigetragen haben. Auch im letzten ameri mischen Bürgerkriege hatte Grant Ballons zum Kund¬ schaften verwendet. Nun aber mußten womöglich „lenkbare" Ballons herge¬ stellt werden, damit man den verhaßten Deutschen nicht in die Hände fiel. Wie viel Köpfe zerschellten an dem alten Problem, — die engen Grenzen der menschlichen Erkenntniß konnte eben kein Nadar überschreiten! Doch man ging eilig ans Werk. Die festen Ballons Nadar's schwebten über dem Nontmartre, von wo aus die deutschen Stellungen recognoscirt wurden. Einer dieser Ballons, der Neptun, wurde Dank der Energie des Chefs der Post- verwaltung, Ur. Ramxont 1<z Odin, in kurzer Zeit hergerichtet und schon am 23. September 7^ Uhr Abends verließ er mit dem Luftschiffer Duruof an Bord von der Place Samt Pierre Paris, belastet mit 103 Kilogramm Briefen. Ballonpost! poetischer Gedanke, durch die Lüfte alle jene tausend Gelübde, Thränen. Hoffnungen, begeisterte oder melancholische Ideen zu tragen, die das „Herz Frankreichs" bewegten. Die Fabrikation neuer großer Ballons wurde von dem General-Post- director Herrn Godard übertragen; auch eine veols avrvus.uti<zue entstand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/224>, abgerufen am 28.09.2024.