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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wiesen, wie sein Vorgänger Oestreich. Deutschland dagegen hat in der einzi¬
gen Angelegenheit, in welcher es nach 1866 in politische Differenzen mit
der Schweiz gerieth, in der Frankfurter Ausweisungssache, einen Stand¬
punkt vertreten, welcher von der vernünftigen Mehrheit der Schweizer
Bürger und natürlich von der eidg. Bundes-Negierung getheilt wurde, ja der
zu einer heilsamen Aenderung der Schweizer Bundesverfassung ebenso glück¬
liche Veranlassung gab, als der deutsch-schweizerische Handelsvertrag die un¬
haltbaren eidgenössischen Transitzölle aufhob, und die Schweiz zu einer wohl¬
thätigen Reform ihrer Einnahmequellen und Bundes-Finanzpolitik drängte.
In die wenigen Jahre von 1866--1870 fallen ferner der Abschluß eines
PostVertrags, und des Vertrags zum Schutz der literarischen und Kunsterzeugnisse
zwischen Deutschland und der Schweiz, welcher dem schamlosen Raubsystem
ein Ende machte, das bis dahin in der Schweiz mit Deutschlands geistigem
Eigenthum getrieben wurde. Nur beiläufig berührt seien hier die freiwilligen
Liebesgaben, die Deutschland im Jahr 1861 beim Brande von Glarus, und 1868
bei den Überschwemmungen des Oberrheins der Schweiz darbrachte. Da gab
sich bei uns unendlich größere Theilnahme und Hilfsbereitschaft kund, als sonst
bei fremdem Unglück. Trotz der staatlichen Trennung von Jahrhunderten,
fühlten wir uns Euch gegenüber als Kinder eines Volkes. Den besten Be¬
weis für die Herzlichkeit unserer Gabe bietet ein Vergleich mit dem, was das
zehnmal reichere Frankreich zu demselben menschlichen Zwecke steuerte. Und
wie tief ging der Nothschrei aus den Thälern der Eidgenossenschaft dem gan¬
zen deutschen Volke zu Herzen: Fürsten, Regierungen und Bürgern. Wie sehr
beeilte sich damals Kaiser Napoleon, seine Gabe von tausend auf 20000 Fres.
zu erhöhen, als ihm der Telegraph meldete, daß König Wilhelm, ohne die
Gabe des Monarchen von Frankreich zu kennen, diese Summe gezeichnet habe!
Wir fühlten mit Euch, und Jene gaben Schande halber, das war der
Unterschied.

Aber mit all diesen unvergänglichen Erinnerungen an unsre Annäher¬
ung während der von einem gütigen Geschick uns gewährten Friedens¬
jahre, ist die Summe unsrer Sympathiebezeigungen für die Schweiz, der
Beweis unsrer treuen und loyalen Gesinnung für ihr Wohlergehen noch
lange nicht erschöpft. Im Gegentheil, die beiden bedeutendsten Leistungen
unsrer -- wenigstens auf unsrer Seite aufrichtigen und intimen Freundschaft,
sind noch gar nicht berührt. Ich brauche Dir nicht besonders zu sagen, daß
ich damit unsre Stellung zur Gotthardbahn, und zu den nach "Schweizer¬
biet" annerionslustigen geheimen Tücken Frankreichs meine.

Natürlich, ein bischen egoistisch ist auch die Staatskunst deutscher "Dichter
und Denker" immer, und so will ich gern zugeben, daß wir die Gotthard¬
bahn nicht grade "für der Gottswille" d. h. aus reiner christlicher Mildthä-


wiesen, wie sein Vorgänger Oestreich. Deutschland dagegen hat in der einzi¬
gen Angelegenheit, in welcher es nach 1866 in politische Differenzen mit
der Schweiz gerieth, in der Frankfurter Ausweisungssache, einen Stand¬
punkt vertreten, welcher von der vernünftigen Mehrheit der Schweizer
Bürger und natürlich von der eidg. Bundes-Negierung getheilt wurde, ja der
zu einer heilsamen Aenderung der Schweizer Bundesverfassung ebenso glück¬
liche Veranlassung gab, als der deutsch-schweizerische Handelsvertrag die un¬
haltbaren eidgenössischen Transitzölle aufhob, und die Schweiz zu einer wohl¬
thätigen Reform ihrer Einnahmequellen und Bundes-Finanzpolitik drängte.
In die wenigen Jahre von 1866—1870 fallen ferner der Abschluß eines
PostVertrags, und des Vertrags zum Schutz der literarischen und Kunsterzeugnisse
zwischen Deutschland und der Schweiz, welcher dem schamlosen Raubsystem
ein Ende machte, das bis dahin in der Schweiz mit Deutschlands geistigem
Eigenthum getrieben wurde. Nur beiläufig berührt seien hier die freiwilligen
Liebesgaben, die Deutschland im Jahr 1861 beim Brande von Glarus, und 1868
bei den Überschwemmungen des Oberrheins der Schweiz darbrachte. Da gab
sich bei uns unendlich größere Theilnahme und Hilfsbereitschaft kund, als sonst
bei fremdem Unglück. Trotz der staatlichen Trennung von Jahrhunderten,
fühlten wir uns Euch gegenüber als Kinder eines Volkes. Den besten Be¬
weis für die Herzlichkeit unserer Gabe bietet ein Vergleich mit dem, was das
zehnmal reichere Frankreich zu demselben menschlichen Zwecke steuerte. Und
wie tief ging der Nothschrei aus den Thälern der Eidgenossenschaft dem gan¬
zen deutschen Volke zu Herzen: Fürsten, Regierungen und Bürgern. Wie sehr
beeilte sich damals Kaiser Napoleon, seine Gabe von tausend auf 20000 Fres.
zu erhöhen, als ihm der Telegraph meldete, daß König Wilhelm, ohne die
Gabe des Monarchen von Frankreich zu kennen, diese Summe gezeichnet habe!
Wir fühlten mit Euch, und Jene gaben Schande halber, das war der
Unterschied.

Aber mit all diesen unvergänglichen Erinnerungen an unsre Annäher¬
ung während der von einem gütigen Geschick uns gewährten Friedens¬
jahre, ist die Summe unsrer Sympathiebezeigungen für die Schweiz, der
Beweis unsrer treuen und loyalen Gesinnung für ihr Wohlergehen noch
lange nicht erschöpft. Im Gegentheil, die beiden bedeutendsten Leistungen
unsrer — wenigstens auf unsrer Seite aufrichtigen und intimen Freundschaft,
sind noch gar nicht berührt. Ich brauche Dir nicht besonders zu sagen, daß
ich damit unsre Stellung zur Gotthardbahn, und zu den nach „Schweizer¬
biet" annerionslustigen geheimen Tücken Frankreichs meine.

Natürlich, ein bischen egoistisch ist auch die Staatskunst deutscher „Dichter
und Denker" immer, und so will ich gern zugeben, daß wir die Gotthard¬
bahn nicht grade „für der Gottswille" d. h. aus reiner christlicher Mildthä-


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[0021] wiesen, wie sein Vorgänger Oestreich. Deutschland dagegen hat in der einzi¬ gen Angelegenheit, in welcher es nach 1866 in politische Differenzen mit der Schweiz gerieth, in der Frankfurter Ausweisungssache, einen Stand¬ punkt vertreten, welcher von der vernünftigen Mehrheit der Schweizer Bürger und natürlich von der eidg. Bundes-Negierung getheilt wurde, ja der zu einer heilsamen Aenderung der Schweizer Bundesverfassung ebenso glück¬ liche Veranlassung gab, als der deutsch-schweizerische Handelsvertrag die un¬ haltbaren eidgenössischen Transitzölle aufhob, und die Schweiz zu einer wohl¬ thätigen Reform ihrer Einnahmequellen und Bundes-Finanzpolitik drängte. In die wenigen Jahre von 1866—1870 fallen ferner der Abschluß eines PostVertrags, und des Vertrags zum Schutz der literarischen und Kunsterzeugnisse zwischen Deutschland und der Schweiz, welcher dem schamlosen Raubsystem ein Ende machte, das bis dahin in der Schweiz mit Deutschlands geistigem Eigenthum getrieben wurde. Nur beiläufig berührt seien hier die freiwilligen Liebesgaben, die Deutschland im Jahr 1861 beim Brande von Glarus, und 1868 bei den Überschwemmungen des Oberrheins der Schweiz darbrachte. Da gab sich bei uns unendlich größere Theilnahme und Hilfsbereitschaft kund, als sonst bei fremdem Unglück. Trotz der staatlichen Trennung von Jahrhunderten, fühlten wir uns Euch gegenüber als Kinder eines Volkes. Den besten Be¬ weis für die Herzlichkeit unserer Gabe bietet ein Vergleich mit dem, was das zehnmal reichere Frankreich zu demselben menschlichen Zwecke steuerte. Und wie tief ging der Nothschrei aus den Thälern der Eidgenossenschaft dem gan¬ zen deutschen Volke zu Herzen: Fürsten, Regierungen und Bürgern. Wie sehr beeilte sich damals Kaiser Napoleon, seine Gabe von tausend auf 20000 Fres. zu erhöhen, als ihm der Telegraph meldete, daß König Wilhelm, ohne die Gabe des Monarchen von Frankreich zu kennen, diese Summe gezeichnet habe! Wir fühlten mit Euch, und Jene gaben Schande halber, das war der Unterschied. Aber mit all diesen unvergänglichen Erinnerungen an unsre Annäher¬ ung während der von einem gütigen Geschick uns gewährten Friedens¬ jahre, ist die Summe unsrer Sympathiebezeigungen für die Schweiz, der Beweis unsrer treuen und loyalen Gesinnung für ihr Wohlergehen noch lange nicht erschöpft. Im Gegentheil, die beiden bedeutendsten Leistungen unsrer — wenigstens auf unsrer Seite aufrichtigen und intimen Freundschaft, sind noch gar nicht berührt. Ich brauche Dir nicht besonders zu sagen, daß ich damit unsre Stellung zur Gotthardbahn, und zu den nach „Schweizer¬ biet" annerionslustigen geheimen Tücken Frankreichs meine. Natürlich, ein bischen egoistisch ist auch die Staatskunst deutscher „Dichter und Denker" immer, und so will ich gern zugeben, daß wir die Gotthard¬ bahn nicht grade „für der Gottswille" d. h. aus reiner christlicher Mildthä-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/21>, abgerufen am 28.09.2024.