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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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tiative der Gesetzgebung und dadurch die Möglichkeit gewährt werden sollte,
die Eigenthümlichkeiten und Bedürfnisse ihrer Länder zur vollen Geltung zu
bringen. Ging der Reichsrath darauf ein, so hatte er sich selbst das Todes¬
urtheil gesprochen, wo nicht, so stand das vollkommen gesetzliche Mittel seiner
Auflösung in Bereitschaft. Der Kaiser soll, nachdem ihm der neue Plan zur
Bildung eines Föderativstaates vorgelegt worden, nur die Weisung ertheilt
haben, daß alle Maßregeln im strengsten Einklange mit der Verfassung bleiben
müssen.

Alle Welt war erstaunt, die Namen der neuen Minister zu lesen, die
durch kaiserlichen Erlaß vom 6. Februar d. I. für Oestreich gegeben wurden.
Schon der Umstand, daß sie mit unverkennbarer Absicht nicht unter den Ver¬
tretern von Cisleithanien gewählt wurden, schien von vornherein ihre oppo¬
sitionelle Stellung gegen den Reichsrath anzudeuten. Den Vorwurf einer
"verfassungsfeindlichen" Haltung glaubte jedoch Graf Hohenwart in Folge
der empfangenen Instruction bei Beantwortung der Jnterpellation über die
Zeit der Einbringung der angekündeten Verfassungsvorlagen, am 23- März
vorerst ablehnen zu müssen, immerhin mit der wegwerfenden Bemerkung,
daß er dem Ministerium kein Verdienst daraus mache. In gleicher Weise
wurden andere Vorhalte leicht hingenommen. Das Verbot der deutschen
Siegesfeier hatte die Regierung nur erlassen, "um alle Nationalitäten
gleichmäßig zu achten," die Freiheit der Presse schien ihm die vom Interesse
des Staates und der Moral vorgezeichnete Grenze schon überschritten zu
haben, und sein College Habietinek hatte bereits einige Tage früher ange¬
deutet, daß eine weitere Verfolgung der in Beschlag genommenen Blätter
nur deßhalb nicht beliebt wurde, "weil die Schuldigsprechung der Angeklagten
mit Grund nicht zu erwarten gewesen wäre;" die Nachfrage bei den Landes-
schulräthen wegen der Durchführung der Schulgesetze hatte nur "die Besei¬
tigung der Schwierigkeiten" zum Zwecke. Die Einleitung von Verhandlungen
mit den Czechen konnte nicht in Abrede gestellt werden, sie war aber bloß
der Weg zum "inneren Frieden." "Eine kräftige Centralgewalt ist nur dann
möglich, wenn sie sich auf befriedigte Länder stützt." Von directen Wahlen
schrak der Premier aus dem Grunde zurück, weil sie "eine radicale Aenderung
der Verfassung" wären. Sie einführen wollen, hieße, wie die Erfahrung ge¬
lehrt, den Zankapfel zwischen die Parteien und Nationalitäten werfen. Der
zugeknöpfte Staatsmann antwortete jedem vorwitzigen Frager, der vorschnell
in seine Kreise dringen wollte, wie der Makrokosmus im Faust:


"Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!"

Der Vorhang scheint sich aber doch allmählig zu lüften. Was jetzt in
Trient vorgeht, gestaltet sich wie ein Vorspiel zu den versprochenen Vorlagen.


tiative der Gesetzgebung und dadurch die Möglichkeit gewährt werden sollte,
die Eigenthümlichkeiten und Bedürfnisse ihrer Länder zur vollen Geltung zu
bringen. Ging der Reichsrath darauf ein, so hatte er sich selbst das Todes¬
urtheil gesprochen, wo nicht, so stand das vollkommen gesetzliche Mittel seiner
Auflösung in Bereitschaft. Der Kaiser soll, nachdem ihm der neue Plan zur
Bildung eines Föderativstaates vorgelegt worden, nur die Weisung ertheilt
haben, daß alle Maßregeln im strengsten Einklange mit der Verfassung bleiben
müssen.

Alle Welt war erstaunt, die Namen der neuen Minister zu lesen, die
durch kaiserlichen Erlaß vom 6. Februar d. I. für Oestreich gegeben wurden.
Schon der Umstand, daß sie mit unverkennbarer Absicht nicht unter den Ver¬
tretern von Cisleithanien gewählt wurden, schien von vornherein ihre oppo¬
sitionelle Stellung gegen den Reichsrath anzudeuten. Den Vorwurf einer
„verfassungsfeindlichen" Haltung glaubte jedoch Graf Hohenwart in Folge
der empfangenen Instruction bei Beantwortung der Jnterpellation über die
Zeit der Einbringung der angekündeten Verfassungsvorlagen, am 23- März
vorerst ablehnen zu müssen, immerhin mit der wegwerfenden Bemerkung,
daß er dem Ministerium kein Verdienst daraus mache. In gleicher Weise
wurden andere Vorhalte leicht hingenommen. Das Verbot der deutschen
Siegesfeier hatte die Regierung nur erlassen, „um alle Nationalitäten
gleichmäßig zu achten," die Freiheit der Presse schien ihm die vom Interesse
des Staates und der Moral vorgezeichnete Grenze schon überschritten zu
haben, und sein College Habietinek hatte bereits einige Tage früher ange¬
deutet, daß eine weitere Verfolgung der in Beschlag genommenen Blätter
nur deßhalb nicht beliebt wurde, „weil die Schuldigsprechung der Angeklagten
mit Grund nicht zu erwarten gewesen wäre;" die Nachfrage bei den Landes-
schulräthen wegen der Durchführung der Schulgesetze hatte nur „die Besei¬
tigung der Schwierigkeiten" zum Zwecke. Die Einleitung von Verhandlungen
mit den Czechen konnte nicht in Abrede gestellt werden, sie war aber bloß
der Weg zum „inneren Frieden." „Eine kräftige Centralgewalt ist nur dann
möglich, wenn sie sich auf befriedigte Länder stützt." Von directen Wahlen
schrak der Premier aus dem Grunde zurück, weil sie „eine radicale Aenderung
der Verfassung" wären. Sie einführen wollen, hieße, wie die Erfahrung ge¬
lehrt, den Zankapfel zwischen die Parteien und Nationalitäten werfen. Der
zugeknöpfte Staatsmann antwortete jedem vorwitzigen Frager, der vorschnell
in seine Kreise dringen wollte, wie der Makrokosmus im Faust:


„Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!"

Der Vorhang scheint sich aber doch allmählig zu lüften. Was jetzt in
Trient vorgeht, gestaltet sich wie ein Vorspiel zu den versprochenen Vorlagen.


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[0204] tiative der Gesetzgebung und dadurch die Möglichkeit gewährt werden sollte, die Eigenthümlichkeiten und Bedürfnisse ihrer Länder zur vollen Geltung zu bringen. Ging der Reichsrath darauf ein, so hatte er sich selbst das Todes¬ urtheil gesprochen, wo nicht, so stand das vollkommen gesetzliche Mittel seiner Auflösung in Bereitschaft. Der Kaiser soll, nachdem ihm der neue Plan zur Bildung eines Föderativstaates vorgelegt worden, nur die Weisung ertheilt haben, daß alle Maßregeln im strengsten Einklange mit der Verfassung bleiben müssen. Alle Welt war erstaunt, die Namen der neuen Minister zu lesen, die durch kaiserlichen Erlaß vom 6. Februar d. I. für Oestreich gegeben wurden. Schon der Umstand, daß sie mit unverkennbarer Absicht nicht unter den Ver¬ tretern von Cisleithanien gewählt wurden, schien von vornherein ihre oppo¬ sitionelle Stellung gegen den Reichsrath anzudeuten. Den Vorwurf einer „verfassungsfeindlichen" Haltung glaubte jedoch Graf Hohenwart in Folge der empfangenen Instruction bei Beantwortung der Jnterpellation über die Zeit der Einbringung der angekündeten Verfassungsvorlagen, am 23- März vorerst ablehnen zu müssen, immerhin mit der wegwerfenden Bemerkung, daß er dem Ministerium kein Verdienst daraus mache. In gleicher Weise wurden andere Vorhalte leicht hingenommen. Das Verbot der deutschen Siegesfeier hatte die Regierung nur erlassen, „um alle Nationalitäten gleichmäßig zu achten," die Freiheit der Presse schien ihm die vom Interesse des Staates und der Moral vorgezeichnete Grenze schon überschritten zu haben, und sein College Habietinek hatte bereits einige Tage früher ange¬ deutet, daß eine weitere Verfolgung der in Beschlag genommenen Blätter nur deßhalb nicht beliebt wurde, „weil die Schuldigsprechung der Angeklagten mit Grund nicht zu erwarten gewesen wäre;" die Nachfrage bei den Landes- schulräthen wegen der Durchführung der Schulgesetze hatte nur „die Besei¬ tigung der Schwierigkeiten" zum Zwecke. Die Einleitung von Verhandlungen mit den Czechen konnte nicht in Abrede gestellt werden, sie war aber bloß der Weg zum „inneren Frieden." „Eine kräftige Centralgewalt ist nur dann möglich, wenn sie sich auf befriedigte Länder stützt." Von directen Wahlen schrak der Premier aus dem Grunde zurück, weil sie „eine radicale Aenderung der Verfassung" wären. Sie einführen wollen, hieße, wie die Erfahrung ge¬ lehrt, den Zankapfel zwischen die Parteien und Nationalitäten werfen. Der zugeknöpfte Staatsmann antwortete jedem vorwitzigen Frager, der vorschnell in seine Kreise dringen wollte, wie der Makrokosmus im Faust: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, Nicht mir!" Der Vorhang scheint sich aber doch allmählig zu lüften. Was jetzt in Trient vorgeht, gestaltet sich wie ein Vorspiel zu den versprochenen Vorlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/204>, abgerufen am 28.09.2024.