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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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gab es dafür in Tirol und Krain mehrere freisinnige Volkstribunen, die ihren
Brüdern an der Moldau die wärmsten Sympathien zeigten, weil sie unter
demselben Drucke des Bürgerministeriums seufzten wie sie selbst. Leider war
dieses zu schwach, zu wenig staatsmännisch gebildet, und unter sich zu un¬
einig, um den Umtrieben der Moskaupilger und dem Verfasser der Denk¬
schrift für den Kaiser Napoleon III. mit Kraft und Nachdruck entgegenzu¬
treten. Nach und nach hatte sich der Widerstand der Czechen und anderer
Patrioten so fühlbar gemacht, daß wir selbst in der Thronrede vom 13. De¬
cember 1869 dem lebhaften Bedauern begegnen, den Grundlagen der Ver¬
fassung werde allgemeine und thatsächliche Anerkennung verweigert, weshalb
den besonderen Verhältnissen der Königreiche und Länder und ihrem berech¬
tigten Verlangen, diese in selbständiger Weise zu ordnen, die sorgsamste Rück¬
sicht zu tragen sei. Von nun hieß die im Hauptquartier ausgegebene Parole
"Ausgleich," und nachdem die Clericalen. Feudalen und nationalen aus lauter
Freiheitsdrang hinreichenden Gährungsstoff aufgehäuft, fand er auch am
Ministertische seine Parteigänger, denen, wie vorauszusehen, nach kurzem
Intermezzo der Sieg blieb. Giskra hatte versäumt, die directen Wahlen für
den Reichsrath zur rechten Zeit in Fluß zu bringen, wodurch den föderalisti¬
schen Reactionsgelüsten der Faden abgeschnitten war, und als er in letzter
Stunde darauf drang, hatte ihn der Einfluß Beust's schon längst kalt ge¬
stellt. Nach dem Ausscheiden der Bürgerminister, die nur die Ereignisse vor¬
übergehend emporgehoben hatten, behielt nun wieder die Hofpartei vollkom¬
men freie Hand. Die Ernennung Potocki's zum Ministerpräsidenten, und
daß man ihm den Grafen Taaffe und die Barone Widmann und Petrino
an die Seite setzte, sagt zur Genüge, von wo die Fäden ausgingen, an denen
nun die Dinge abgespielt wurden. Offenbar war aber der ehrenwerthe pol¬
nische Graf nicht der rechte Mann um die Verfassung "auf verfassungs¬
mäßigen Wege" abzuthun, wie die nunmehr beliebte Phrase lautete, und da
die parlamentarischen Kreise keinen Ersatz für ihn boten, griff man nach einem
Beamten, dem Grasen Hohenwart, der schon früher als polizeilicher Hofrath
in Trient und dann als Statthalter von Oberöstreich hinreichende Proben
seiner Brauchbarkeit abgelegt hatte; man langte nach einem großdeutschen
Professor, der erst vor Kurzem in Oestreich seine Zuflucht gefunden, und nach
ein paar bisher unbekannten Männern czechischer Nation, um dieser die verdiente
Aufmerksamkeit zu erweisen. Die Seele des ganzen Ministeriums war der
besagte Graf, der den Jesuiten seine Jugendbildung verdankte und die Kunst
feinen Umgangs und glatter Manieren in hohem Grade besaß. Die Herren
hatten, als sie schon die Anwartschaft auf ihre Ministerposten in der Tasche
trugen, ein scharfsinniges .Programm ausgebrütet, wonach den Landtagen
auch in den Angelegenheiten, die dem Reichsrathe vorbehalten sind, die Imi-


gab es dafür in Tirol und Krain mehrere freisinnige Volkstribunen, die ihren
Brüdern an der Moldau die wärmsten Sympathien zeigten, weil sie unter
demselben Drucke des Bürgerministeriums seufzten wie sie selbst. Leider war
dieses zu schwach, zu wenig staatsmännisch gebildet, und unter sich zu un¬
einig, um den Umtrieben der Moskaupilger und dem Verfasser der Denk¬
schrift für den Kaiser Napoleon III. mit Kraft und Nachdruck entgegenzu¬
treten. Nach und nach hatte sich der Widerstand der Czechen und anderer
Patrioten so fühlbar gemacht, daß wir selbst in der Thronrede vom 13. De¬
cember 1869 dem lebhaften Bedauern begegnen, den Grundlagen der Ver¬
fassung werde allgemeine und thatsächliche Anerkennung verweigert, weshalb
den besonderen Verhältnissen der Königreiche und Länder und ihrem berech¬
tigten Verlangen, diese in selbständiger Weise zu ordnen, die sorgsamste Rück¬
sicht zu tragen sei. Von nun hieß die im Hauptquartier ausgegebene Parole
„Ausgleich," und nachdem die Clericalen. Feudalen und nationalen aus lauter
Freiheitsdrang hinreichenden Gährungsstoff aufgehäuft, fand er auch am
Ministertische seine Parteigänger, denen, wie vorauszusehen, nach kurzem
Intermezzo der Sieg blieb. Giskra hatte versäumt, die directen Wahlen für
den Reichsrath zur rechten Zeit in Fluß zu bringen, wodurch den föderalisti¬
schen Reactionsgelüsten der Faden abgeschnitten war, und als er in letzter
Stunde darauf drang, hatte ihn der Einfluß Beust's schon längst kalt ge¬
stellt. Nach dem Ausscheiden der Bürgerminister, die nur die Ereignisse vor¬
übergehend emporgehoben hatten, behielt nun wieder die Hofpartei vollkom¬
men freie Hand. Die Ernennung Potocki's zum Ministerpräsidenten, und
daß man ihm den Grafen Taaffe und die Barone Widmann und Petrino
an die Seite setzte, sagt zur Genüge, von wo die Fäden ausgingen, an denen
nun die Dinge abgespielt wurden. Offenbar war aber der ehrenwerthe pol¬
nische Graf nicht der rechte Mann um die Verfassung „auf verfassungs¬
mäßigen Wege" abzuthun, wie die nunmehr beliebte Phrase lautete, und da
die parlamentarischen Kreise keinen Ersatz für ihn boten, griff man nach einem
Beamten, dem Grasen Hohenwart, der schon früher als polizeilicher Hofrath
in Trient und dann als Statthalter von Oberöstreich hinreichende Proben
seiner Brauchbarkeit abgelegt hatte; man langte nach einem großdeutschen
Professor, der erst vor Kurzem in Oestreich seine Zuflucht gefunden, und nach
ein paar bisher unbekannten Männern czechischer Nation, um dieser die verdiente
Aufmerksamkeit zu erweisen. Die Seele des ganzen Ministeriums war der
besagte Graf, der den Jesuiten seine Jugendbildung verdankte und die Kunst
feinen Umgangs und glatter Manieren in hohem Grade besaß. Die Herren
hatten, als sie schon die Anwartschaft auf ihre Ministerposten in der Tasche
trugen, ein scharfsinniges .Programm ausgebrütet, wonach den Landtagen
auch in den Angelegenheiten, die dem Reichsrathe vorbehalten sind, die Imi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/203>, abgerufen am 29.09.2024.