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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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engeren Standpunkt der Collegialität aus eine Dank- und Zustimmungsadresse
an Döllinger richteten.

Die Lage des erzbischöflichen Capitels war unter diesen Umständen eine
peinlich bedrängte. Man hatte auf der einen Seite die entschlossene Erklärung
Döllingers, die Zustimmung der Universitätsprofessoren zu derselben und die
kräftige Adresse an die Regierung vor sich -- auf der eigenen Seite hatte
man nichts ins Feld zu führen, als jene erwähnte klägliche Antwort an "den
Häretiker", die zunächst nur die Verwirrung vermehrte. Auf telegraphische An¬
frage in Rom, was gegen Döllinger nun zu thun sei, wurde erwiedert, daß
dieß ganz dem Erzbischof überlassen bleibe.

Auch hier galt der alte Spruch: "wo die Begriffe fehlen, da stellt ein
Wort zur rechten Zeit sich ein." Da man zu Thaten noch nicht entschlossen
schien, so begnügte man sich einstweilen eine neue Erwiderung zu geben. Bis¬
her war ja der Streit ausschließlich eine Angelegenheit zwischen Döllinger
und dem Erzbischof gewesen, durch die Adresse an die Negierung aber trat
auch das Publicum als directer Gegner auf. Der neue erzbischöfliche Erlaß,
der am 14. April erging, wurde deßhalb an die Unterzeichner und die Urheber
der genannten Adresse gerichtet; man belud dieselben mit den schwersten Vor¬
würfen, indem man die staatsgefährlichen Folgen des Dogma's einfach leug¬
nete, und als Lüge und Verleumdung bezeichnete, daß der Erzbischof die Ver¬
fassung oder die landesherrlichen Rechte irgendwie verletzt habe. Wir haben
oben erwähnt, daß der Erzbischof feierlich geschworen hatte, kein Decret ohne
das in der Verfassung geforderte Planet zu verkünden und daß er die Con¬
cilsbeschlüsse dennoch verkündet hat, ohne sich im mindesten darum zu kümmern
-- der Leser möge selbst beurtheilen, bis zu welchem Grade der Cynismus
und die Verwegenheit der Jnfalliblen bereits gediehen ist.

Während dieser Ukas (man könnte ihn nach seiner Tonart wahrhaftig
dafür halten) die "Museumshäretiker" zu bestrafen suchte und ihnen die Mit¬
schuld an dem drohenden Schisma zuschrieb, wollte man auch gegen den
großen Hauptschuldigen nicht im Rückstände bleiben. Am 17. April ward
über Döllinger die große Excommunication verhängt.

Nun erst war die Bewegung in breite Bahnen gerathen, und hatte einen
Boden gewonnen, der mit jedem Tage wächst. Die gesammte Presse bemäch¬
tigte sich nun des Ereignisses, das aus dem Streite hervorgegangen
war; der ganze niedere Klerus der Diöcese war mit Gewalt oder Güte in
Mitleidenschaft gezogen worden. Wir werden die interessanten Constellationen,
die sich hieraus ergeben, später darzustellen versuchen; nur das möchten wir
jetzt schon versichern, daß auch in denen mit der Gefahr die Kraft wuchs, die
mit der Hand auf dem Herzen sprechen "Ich kann nicht anders."




engeren Standpunkt der Collegialität aus eine Dank- und Zustimmungsadresse
an Döllinger richteten.

Die Lage des erzbischöflichen Capitels war unter diesen Umständen eine
peinlich bedrängte. Man hatte auf der einen Seite die entschlossene Erklärung
Döllingers, die Zustimmung der Universitätsprofessoren zu derselben und die
kräftige Adresse an die Regierung vor sich — auf der eigenen Seite hatte
man nichts ins Feld zu führen, als jene erwähnte klägliche Antwort an „den
Häretiker", die zunächst nur die Verwirrung vermehrte. Auf telegraphische An¬
frage in Rom, was gegen Döllinger nun zu thun sei, wurde erwiedert, daß
dieß ganz dem Erzbischof überlassen bleibe.

Auch hier galt der alte Spruch: „wo die Begriffe fehlen, da stellt ein
Wort zur rechten Zeit sich ein." Da man zu Thaten noch nicht entschlossen
schien, so begnügte man sich einstweilen eine neue Erwiderung zu geben. Bis¬
her war ja der Streit ausschließlich eine Angelegenheit zwischen Döllinger
und dem Erzbischof gewesen, durch die Adresse an die Negierung aber trat
auch das Publicum als directer Gegner auf. Der neue erzbischöfliche Erlaß,
der am 14. April erging, wurde deßhalb an die Unterzeichner und die Urheber
der genannten Adresse gerichtet; man belud dieselben mit den schwersten Vor¬
würfen, indem man die staatsgefährlichen Folgen des Dogma's einfach leug¬
nete, und als Lüge und Verleumdung bezeichnete, daß der Erzbischof die Ver¬
fassung oder die landesherrlichen Rechte irgendwie verletzt habe. Wir haben
oben erwähnt, daß der Erzbischof feierlich geschworen hatte, kein Decret ohne
das in der Verfassung geforderte Planet zu verkünden und daß er die Con¬
cilsbeschlüsse dennoch verkündet hat, ohne sich im mindesten darum zu kümmern
— der Leser möge selbst beurtheilen, bis zu welchem Grade der Cynismus
und die Verwegenheit der Jnfalliblen bereits gediehen ist.

Während dieser Ukas (man könnte ihn nach seiner Tonart wahrhaftig
dafür halten) die „Museumshäretiker" zu bestrafen suchte und ihnen die Mit¬
schuld an dem drohenden Schisma zuschrieb, wollte man auch gegen den
großen Hauptschuldigen nicht im Rückstände bleiben. Am 17. April ward
über Döllinger die große Excommunication verhängt.

Nun erst war die Bewegung in breite Bahnen gerathen, und hatte einen
Boden gewonnen, der mit jedem Tage wächst. Die gesammte Presse bemäch¬
tigte sich nun des Ereignisses, das aus dem Streite hervorgegangen
war; der ganze niedere Klerus der Diöcese war mit Gewalt oder Güte in
Mitleidenschaft gezogen worden. Wir werden die interessanten Constellationen,
die sich hieraus ergeben, später darzustellen versuchen; nur das möchten wir
jetzt schon versichern, daß auch in denen mit der Gefahr die Kraft wuchs, die
mit der Hand auf dem Herzen sprechen „Ich kann nicht anders."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/197>, abgerufen am 21.10.2024.