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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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toute allein den Widerspruch, in welchem dieselbe zur bairischen Verfassung
steht.

Und von dieser Seite lagen allerdings ganz ungeheure, ja fast vernichtende
Argumente vor.

In der bairischen Verfassung sind die Rechte die in geistlichen Dingen
dem Landesherrn und jene, die der kirchlichen Behörde zustehen, sorgfältig
ausgeschieden und als das wichtigste landesherrliche Recht hierbei das Planet
festgestellt. Der Erzbischof hat bei Uebernahme seines ersten Amtes den
Staatsbürgeeid geschworen, er hat denselben am 26. Januar 18S9 in feierlicher
Kammersitzung erneuert, er ist als Reichsrath (ipso jure) berufen, über die
Verfassung zu wachen. Schon in einer Ministerialentschließung, die am neunten
April 1870 an die Erzbischöfe erging, wurden dieselben unter Hinweis auf
ihren Eid gewarnt, in keiner Weise ohne die Einholung des verfassungs¬
mäßigen Planet die Concilsbeschlüsse zu verkünden, und wenn der Erz¬
bischof von München dieß trotzdem that, ohne sich auch nur den Versuch
einer Anfrage aufzuerlegen, so kann jedem Urtheilsfähigen überlassen bleiben,
wie er dies Verfahren charakterisirt. In der Sprache des täglichen Lebens
bezeichnet man es, wenn wir nicht irren, als Eidbruch.

Noch ein anderer Umstand kommt hinzu, der diesem gesetzwidrigen und
unter ehrenhaften Männern beispiellosen Vorgehen eine verschärfte Bedeutung
gibt.

Die hochverdiente, in diesem Augenblick erschienene Schrift von Pro¬
fessor Berchtold weist darauf hin. Bei Uebertragung der bischöflichen Würde
erhalten nämlich sämmtliche Bischöfe ein königliches Schreiben, in welchem sie
verpflichtet werden nichts gegen die bairische Verfassung zu unternehmen, dem
König Anzeige zu erstatten, wenn sie von irgendwelchen Plänen gegen die¬
selbe Kenntniß erhalten und insbesondere nichts zu thun, was auf die Be¬
günstigung oder die Wiedereinführung der Gesellschaft Jesu in Baiern
abzielt. Wenn wir recht berichtet sind, ward dieses Actenstück zuerst von dem
berühmten Kanonisten Schulte im Bonner Literaturblatt veröffentlicht.

Aus dem Gesagten geht zur Genüge hervor, wie schlagend richtig es ist,
wenn die Beschwerdeführer sich auf den Standpunkt der Verfasfungsverletzung
stellen, und hiegegen gesetzliche Hilfe in Anspruch nehmen. Hierin natürlich
gipfelt die praktische Seite der ganzen Bewegung; ihr Endpunkt muß das
Einschreiten des tiesverletzten Staates sein. Daß die Adresse in allen Kreisen
das größte Aufsehen und im erzbischöflichen Palais die peinlichste Stimmung
hervorrief, liegt nahe und wenn dieselbe auch bis jetzt erst 6000 Stimmen
in München fand, so sind es doch solche, die mehr gewogen als gezählt
werden. Hierzu kam noch, daß über S0 Professoren der Universität vom


toute allein den Widerspruch, in welchem dieselbe zur bairischen Verfassung
steht.

Und von dieser Seite lagen allerdings ganz ungeheure, ja fast vernichtende
Argumente vor.

In der bairischen Verfassung sind die Rechte die in geistlichen Dingen
dem Landesherrn und jene, die der kirchlichen Behörde zustehen, sorgfältig
ausgeschieden und als das wichtigste landesherrliche Recht hierbei das Planet
festgestellt. Der Erzbischof hat bei Uebernahme seines ersten Amtes den
Staatsbürgeeid geschworen, er hat denselben am 26. Januar 18S9 in feierlicher
Kammersitzung erneuert, er ist als Reichsrath (ipso jure) berufen, über die
Verfassung zu wachen. Schon in einer Ministerialentschließung, die am neunten
April 1870 an die Erzbischöfe erging, wurden dieselben unter Hinweis auf
ihren Eid gewarnt, in keiner Weise ohne die Einholung des verfassungs¬
mäßigen Planet die Concilsbeschlüsse zu verkünden, und wenn der Erz¬
bischof von München dieß trotzdem that, ohne sich auch nur den Versuch
einer Anfrage aufzuerlegen, so kann jedem Urtheilsfähigen überlassen bleiben,
wie er dies Verfahren charakterisirt. In der Sprache des täglichen Lebens
bezeichnet man es, wenn wir nicht irren, als Eidbruch.

Noch ein anderer Umstand kommt hinzu, der diesem gesetzwidrigen und
unter ehrenhaften Männern beispiellosen Vorgehen eine verschärfte Bedeutung
gibt.

Die hochverdiente, in diesem Augenblick erschienene Schrift von Pro¬
fessor Berchtold weist darauf hin. Bei Uebertragung der bischöflichen Würde
erhalten nämlich sämmtliche Bischöfe ein königliches Schreiben, in welchem sie
verpflichtet werden nichts gegen die bairische Verfassung zu unternehmen, dem
König Anzeige zu erstatten, wenn sie von irgendwelchen Plänen gegen die¬
selbe Kenntniß erhalten und insbesondere nichts zu thun, was auf die Be¬
günstigung oder die Wiedereinführung der Gesellschaft Jesu in Baiern
abzielt. Wenn wir recht berichtet sind, ward dieses Actenstück zuerst von dem
berühmten Kanonisten Schulte im Bonner Literaturblatt veröffentlicht.

Aus dem Gesagten geht zur Genüge hervor, wie schlagend richtig es ist,
wenn die Beschwerdeführer sich auf den Standpunkt der Verfasfungsverletzung
stellen, und hiegegen gesetzliche Hilfe in Anspruch nehmen. Hierin natürlich
gipfelt die praktische Seite der ganzen Bewegung; ihr Endpunkt muß das
Einschreiten des tiesverletzten Staates sein. Daß die Adresse in allen Kreisen
das größte Aufsehen und im erzbischöflichen Palais die peinlichste Stimmung
hervorrief, liegt nahe und wenn dieselbe auch bis jetzt erst 6000 Stimmen
in München fand, so sind es doch solche, die mehr gewogen als gezählt
werden. Hierzu kam noch, daß über S0 Professoren der Universität vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/196>, abgerufen am 29.09.2024.