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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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aus Mitteln der Gemeinde, sondern nur durch freiwillige Liebesgaben nach
4 Jahren 1793 zu Stande kam und dessen nächster Zweck, daß man die
Bevölkerung vor dem Lebendigbegraben endlich sicher stellen wollte, ebenso
bemerkenswerth ist.

Wenn uns Manches unter dem früher Hervorgehobenen hart erschienen
ist, so müssen jetzt die Gegensätze auffallen, in denen man sich bewegte. Gerade
das ist ja das Charakteristische des Jahrhunderts und seiner Culturbestrebungen,
daß neben den freisinnigsten Grundsätzen die persönliche Unfreiheit wohnen
und neben Humanität Entwürdigung des Einzelnen wie ganzer Klaffen möglich
sein konnte. Amalia wünschte eifrigst die Beseitigung dieser Gegensätze, verbat
^sich.*) wie sie selbst es nannte, die "ekelerregenden" Lobeserhebungen ihrer
Unterthanen; sie zu fördern und zu schützen war ihre Aufgabe, ebenso wie die
Carl Augusts, der bis 1795 keinen seiner Unterthanen für Reichszwecke ins
Feld geschickt, sondern alle Zeit mit Geld feiner Verpflichtung nachzukommen
gesucht hat.

So nimmt es nicht Wunder, wenn das Leben uns als sonderbares Ge¬
misch von Bevormundung und Fürsorge erscheint. Im siebenjährigen Kriege
ruft Amalia die in die Wälder vor preußischen Werbern geflüchtete junge
Mannschaft zurück, weil sie sich die Gesundheit schädigen könnte; sie
mahnt, vor dem breitspurigen Stil der Advocaten, welche die Bevölkerung nur
materiell schädigen, auf der Hut zu sein. Jede Petition, die stilistisch nicht
knapp bemessen sei, droht sie unberücksichtigt bei Seite zu legen. So half
man auch in anderen, dem Wohl der Bevölkerung dienenden Verhältnissen
nach: besonders im Medicinalwesen, das seine gewaltigen Schwächen hatte.
Es curirte wer konnte und auch die Aerzte vollzogen noch lange regelmäßig
wiederkehrende Euren am gesunden Körper, um etwa herannahende Krankheiten
zu verhüten. Um Quacksalberei nicht aufkommen zu lassen, verschrieb die
Polizei in öffentlichen Blättern Recepte gegen alle möglichen Seuchen, und
belehrte das Volk ob und wenn ein katarrhalischer Husten eingetreten sei.
Von der einen Seite schützte man den Einzelnen in der Erwerbsfähigkeit, von
der anderen ging man aus Humanitätsrücksichten darüber hinweg.

Dagegen ging aus der Bevölkerung selbst manches Bildungsinstitut
hervor. Schon 1778 finden wir eine Lese- und Leihbibliothek. Zu Gesetzen
brauchte man allmählig die Polizei nicht mehr, man wußte sich selbst zu be.
schränken und gründete z. B. 1792 eine sogenannte Trauerabschaffungsgesell¬
schaft, welche jedes Abzeichen äußerer Trauer, sogar schriftliche Annoncen
und briefliche Mittheilungen auf geränderten Papier verbot. Dagegen zeigte




") Mandat von 1764. 13. October.
"
) Sie fand in kurzer Zeit viel Anhänger in fast allen Theilen des Landes und zählte
1792 bereits 205 Mitglieder. Verluch gehörte zu den Gründern der Gesellschaft.

aus Mitteln der Gemeinde, sondern nur durch freiwillige Liebesgaben nach
4 Jahren 1793 zu Stande kam und dessen nächster Zweck, daß man die
Bevölkerung vor dem Lebendigbegraben endlich sicher stellen wollte, ebenso
bemerkenswerth ist.

Wenn uns Manches unter dem früher Hervorgehobenen hart erschienen
ist, so müssen jetzt die Gegensätze auffallen, in denen man sich bewegte. Gerade
das ist ja das Charakteristische des Jahrhunderts und seiner Culturbestrebungen,
daß neben den freisinnigsten Grundsätzen die persönliche Unfreiheit wohnen
und neben Humanität Entwürdigung des Einzelnen wie ganzer Klaffen möglich
sein konnte. Amalia wünschte eifrigst die Beseitigung dieser Gegensätze, verbat
^sich.*) wie sie selbst es nannte, die „ekelerregenden" Lobeserhebungen ihrer
Unterthanen; sie zu fördern und zu schützen war ihre Aufgabe, ebenso wie die
Carl Augusts, der bis 1795 keinen seiner Unterthanen für Reichszwecke ins
Feld geschickt, sondern alle Zeit mit Geld feiner Verpflichtung nachzukommen
gesucht hat.

So nimmt es nicht Wunder, wenn das Leben uns als sonderbares Ge¬
misch von Bevormundung und Fürsorge erscheint. Im siebenjährigen Kriege
ruft Amalia die in die Wälder vor preußischen Werbern geflüchtete junge
Mannschaft zurück, weil sie sich die Gesundheit schädigen könnte; sie
mahnt, vor dem breitspurigen Stil der Advocaten, welche die Bevölkerung nur
materiell schädigen, auf der Hut zu sein. Jede Petition, die stilistisch nicht
knapp bemessen sei, droht sie unberücksichtigt bei Seite zu legen. So half
man auch in anderen, dem Wohl der Bevölkerung dienenden Verhältnissen
nach: besonders im Medicinalwesen, das seine gewaltigen Schwächen hatte.
Es curirte wer konnte und auch die Aerzte vollzogen noch lange regelmäßig
wiederkehrende Euren am gesunden Körper, um etwa herannahende Krankheiten
zu verhüten. Um Quacksalberei nicht aufkommen zu lassen, verschrieb die
Polizei in öffentlichen Blättern Recepte gegen alle möglichen Seuchen, und
belehrte das Volk ob und wenn ein katarrhalischer Husten eingetreten sei.
Von der einen Seite schützte man den Einzelnen in der Erwerbsfähigkeit, von
der anderen ging man aus Humanitätsrücksichten darüber hinweg.

Dagegen ging aus der Bevölkerung selbst manches Bildungsinstitut
hervor. Schon 1778 finden wir eine Lese- und Leihbibliothek. Zu Gesetzen
brauchte man allmählig die Polizei nicht mehr, man wußte sich selbst zu be.
schränken und gründete z. B. 1792 eine sogenannte Trauerabschaffungsgesell¬
schaft, welche jedes Abzeichen äußerer Trauer, sogar schriftliche Annoncen
und briefliche Mittheilungen auf geränderten Papier verbot. Dagegen zeigte




") Mandat von 1764. 13. October.
"
) Sie fand in kurzer Zeit viel Anhänger in fast allen Theilen des Landes und zählte
1792 bereits 205 Mitglieder. Verluch gehörte zu den Gründern der Gesellschaft.
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[0187] aus Mitteln der Gemeinde, sondern nur durch freiwillige Liebesgaben nach 4 Jahren 1793 zu Stande kam und dessen nächster Zweck, daß man die Bevölkerung vor dem Lebendigbegraben endlich sicher stellen wollte, ebenso bemerkenswerth ist. Wenn uns Manches unter dem früher Hervorgehobenen hart erschienen ist, so müssen jetzt die Gegensätze auffallen, in denen man sich bewegte. Gerade das ist ja das Charakteristische des Jahrhunderts und seiner Culturbestrebungen, daß neben den freisinnigsten Grundsätzen die persönliche Unfreiheit wohnen und neben Humanität Entwürdigung des Einzelnen wie ganzer Klaffen möglich sein konnte. Amalia wünschte eifrigst die Beseitigung dieser Gegensätze, verbat ^sich.*) wie sie selbst es nannte, die „ekelerregenden" Lobeserhebungen ihrer Unterthanen; sie zu fördern und zu schützen war ihre Aufgabe, ebenso wie die Carl Augusts, der bis 1795 keinen seiner Unterthanen für Reichszwecke ins Feld geschickt, sondern alle Zeit mit Geld feiner Verpflichtung nachzukommen gesucht hat. So nimmt es nicht Wunder, wenn das Leben uns als sonderbares Ge¬ misch von Bevormundung und Fürsorge erscheint. Im siebenjährigen Kriege ruft Amalia die in die Wälder vor preußischen Werbern geflüchtete junge Mannschaft zurück, weil sie sich die Gesundheit schädigen könnte; sie mahnt, vor dem breitspurigen Stil der Advocaten, welche die Bevölkerung nur materiell schädigen, auf der Hut zu sein. Jede Petition, die stilistisch nicht knapp bemessen sei, droht sie unberücksichtigt bei Seite zu legen. So half man auch in anderen, dem Wohl der Bevölkerung dienenden Verhältnissen nach: besonders im Medicinalwesen, das seine gewaltigen Schwächen hatte. Es curirte wer konnte und auch die Aerzte vollzogen noch lange regelmäßig wiederkehrende Euren am gesunden Körper, um etwa herannahende Krankheiten zu verhüten. Um Quacksalberei nicht aufkommen zu lassen, verschrieb die Polizei in öffentlichen Blättern Recepte gegen alle möglichen Seuchen, und belehrte das Volk ob und wenn ein katarrhalischer Husten eingetreten sei. Von der einen Seite schützte man den Einzelnen in der Erwerbsfähigkeit, von der anderen ging man aus Humanitätsrücksichten darüber hinweg. Dagegen ging aus der Bevölkerung selbst manches Bildungsinstitut hervor. Schon 1778 finden wir eine Lese- und Leihbibliothek. Zu Gesetzen brauchte man allmählig die Polizei nicht mehr, man wußte sich selbst zu be. schränken und gründete z. B. 1792 eine sogenannte Trauerabschaffungsgesell¬ schaft, welche jedes Abzeichen äußerer Trauer, sogar schriftliche Annoncen und briefliche Mittheilungen auf geränderten Papier verbot. Dagegen zeigte ") Mandat von 1764. 13. October. " ) Sie fand in kurzer Zeit viel Anhänger in fast allen Theilen des Landes und zählte 1792 bereits 205 Mitglieder. Verluch gehörte zu den Gründern der Gesellschaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/187>, abgerufen am 29.12.2024.