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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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rechtigung des Deutschenhasses anzuführen. Die Andern unter Führung des Herrn
Kantonalraths Sulzer hassen uns aus Angst und Neid, und erfinden das
Märchen von dem deutschen Heißhunger nach Annexionen, dem die Selbstän¬
digkeit der Schweiz über ein kleines auch zum Opfer fallen werde u. f. w.
An einen sehr baldigen Annexionskrieg Deutschlands wider die Schweiz glaubt
Ihr sogar. Du und die Freunde, d. h. Männer, die ohne Schmeichelei zu den
gebildetsten, vorurtheilsfreiesten der Schweiz gehören. Und wenn man Euch nach
den Bürgen der Autorität fragt, die so freundlich sind, die Garantie für den Aus¬
bruch des künftigen deutsch-schweizerischen Annexionskrieges zu übernehmen,
dann hört man nur zwei Namen nennen: einmal nämlich Johann Jacoby,
"den einzigen deutschen Mann," der's glücklich bis zu einem helvetischen Bun¬
desheiligen gebracht hat, der gewiß von den geheimen Annexionsplanen Bismarcks
gegen die Schweiz aufs genaueste unterrichtet ist und nur deßhalb nichts aus¬
plaudert, weil sonst Lötzen seinen unbewachten Augenblicken rasch ein Ende
bereiten würde. Die andere Autorität aber ist Carl Bogt, der sich neben
dem "einzigen deutschen Manne" mit dem bescheideneren Titel eines "alten
deutschen Patrioten" begnügen muß und der in der glücklichen Lage ist, ohne
jede Furcht vor Lötzen, seine genauen Kenntnisse von den geheimen Absichten
des deutschen Reichskanzlers unter den andern Ueberbleibseln der Eiszeit und
Rennthierperiode in dem Organ des Herrn Julius Frese zu Wien und des
Hofes zu Hietzing abzulagern. Carl Vogt hat mit den Jahren in Euren
Augen zugenommen an Weisheit, Verstand und Anstand. Als er im Jahre
1856 seine Stellung als schweizerischer Ständerath dazu benutzte, um in
offener Sitzung eine gemeine Schmährede auf die Person des damaligen Kö¬
nigs von Preußen zu halten, bis ihn der Unwille der Versammlung und der
Ordnungsruf des Präsidenten zum Schweigen brachte, protestirte die schweizer
Presse lebhaft gegen diese Verletzung der Würde und des Anstandes im
Ständerath. Daß "der alte deutsche Patriot" heute sein Volk mit einer
Bulldogge vergleicht, gilt Euch dagegen für sehr anständig und treffend. Als
.Herr Carl Vogt im Jahre 1860 -- als er immer Ständerath von Genf,
also Vertreter einer Kantonalregierung in der Bundesversammlung war --
im Schweizer Handels-Courier den alten Witz des alten Commines neu auf¬
frischte, und die Schweiz eine von der Vorsehung speciell regierte Confusion
nannte, fandet Ihr ihn nicht sehr glaubwürdig. Jetzt dagegen, wo "der alte
Patriot" bald Oestreich, bald Rußland, bald England, Italien und die
Schweiz gegen die ruchlosen Annexionsplane Deutschlands mit Argwohn füllt,
jetzt ist jedes seiner Worte ein Evangelium, das jedes Eurer Winkelblätter
behaglich weiter trägt. Ach, ich wäre sogar im Stande, "den einzigen deut¬
schen Mann," Herrn Johann Jacoby, stiller Annexionsgelüste auf die
Schweiz zu bezichtigen, und habe dafür keine geringere Autorität als diejenige


rechtigung des Deutschenhasses anzuführen. Die Andern unter Führung des Herrn
Kantonalraths Sulzer hassen uns aus Angst und Neid, und erfinden das
Märchen von dem deutschen Heißhunger nach Annexionen, dem die Selbstän¬
digkeit der Schweiz über ein kleines auch zum Opfer fallen werde u. f. w.
An einen sehr baldigen Annexionskrieg Deutschlands wider die Schweiz glaubt
Ihr sogar. Du und die Freunde, d. h. Männer, die ohne Schmeichelei zu den
gebildetsten, vorurtheilsfreiesten der Schweiz gehören. Und wenn man Euch nach
den Bürgen der Autorität fragt, die so freundlich sind, die Garantie für den Aus¬
bruch des künftigen deutsch-schweizerischen Annexionskrieges zu übernehmen,
dann hört man nur zwei Namen nennen: einmal nämlich Johann Jacoby,
„den einzigen deutschen Mann," der's glücklich bis zu einem helvetischen Bun¬
desheiligen gebracht hat, der gewiß von den geheimen Annexionsplanen Bismarcks
gegen die Schweiz aufs genaueste unterrichtet ist und nur deßhalb nichts aus¬
plaudert, weil sonst Lötzen seinen unbewachten Augenblicken rasch ein Ende
bereiten würde. Die andere Autorität aber ist Carl Bogt, der sich neben
dem „einzigen deutschen Manne" mit dem bescheideneren Titel eines „alten
deutschen Patrioten" begnügen muß und der in der glücklichen Lage ist, ohne
jede Furcht vor Lötzen, seine genauen Kenntnisse von den geheimen Absichten
des deutschen Reichskanzlers unter den andern Ueberbleibseln der Eiszeit und
Rennthierperiode in dem Organ des Herrn Julius Frese zu Wien und des
Hofes zu Hietzing abzulagern. Carl Vogt hat mit den Jahren in Euren
Augen zugenommen an Weisheit, Verstand und Anstand. Als er im Jahre
1856 seine Stellung als schweizerischer Ständerath dazu benutzte, um in
offener Sitzung eine gemeine Schmährede auf die Person des damaligen Kö¬
nigs von Preußen zu halten, bis ihn der Unwille der Versammlung und der
Ordnungsruf des Präsidenten zum Schweigen brachte, protestirte die schweizer
Presse lebhaft gegen diese Verletzung der Würde und des Anstandes im
Ständerath. Daß „der alte deutsche Patriot" heute sein Volk mit einer
Bulldogge vergleicht, gilt Euch dagegen für sehr anständig und treffend. Als
.Herr Carl Vogt im Jahre 1860 — als er immer Ständerath von Genf,
also Vertreter einer Kantonalregierung in der Bundesversammlung war —
im Schweizer Handels-Courier den alten Witz des alten Commines neu auf¬
frischte, und die Schweiz eine von der Vorsehung speciell regierte Confusion
nannte, fandet Ihr ihn nicht sehr glaubwürdig. Jetzt dagegen, wo „der alte
Patriot" bald Oestreich, bald Rußland, bald England, Italien und die
Schweiz gegen die ruchlosen Annexionsplane Deutschlands mit Argwohn füllt,
jetzt ist jedes seiner Worte ein Evangelium, das jedes Eurer Winkelblätter
behaglich weiter trägt. Ach, ich wäre sogar im Stande, „den einzigen deut¬
schen Mann," Herrn Johann Jacoby, stiller Annexionsgelüste auf die
Schweiz zu bezichtigen, und habe dafür keine geringere Autorität als diejenige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/183>, abgerufen am 29.09.2024.