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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Aber wenn solche Behauptungen in erster Linie auch nur Schreckmittel
waren, so haben die Lenker der ultramontanen Politik wahrscheinlich gern
die Vorstellung gepflegt, es könne zu einem ernsten Bündniß kommen zwi¬
schen ihnen und dem neuen Kaiserthum. Der Grundgedanke, welcher ein
solches Bündniß als möglich erscheinen ließ, wird die ultramontane Voraus¬
setzung gewesen sein, daß man in der Lage sei, dem neuen Kaiserthum auf
dem Felde der auswärtigen Politik Vortheile zu verschaffen, oder doch vor¬
zuspiegeln. Man dachte sich die Politik dieses Kaiserthums als eine solche,
die jeden Bundesgenossen nimmt, den sie findet, unbeschadet seiner Gefährlich¬
keit, wenn er nur augenblickliche Stützen zu gewähren vermag.

Der Gewinn des Bündnisses wäre im höchsten Grade auf Seiten der
Ultramontanen gewesen. Durch die sogenannte Selbständigkeit der Kirche
hätte man die Kraft erlangt, den deutschen Staat in seinem Grundgefüge
anzufressen. Für die Weltstellung des Ultramontanismus wäre die Bundes¬
genossenschaft des neuen Kaiserthums von der gewaltigsten Wirkung gewesen,
indem sie die großen katholischen Regierungen genöthigt hätte, mit dem deut¬
schen Kaiserthum in der Begünstigung Roms zu rivalisiren. Um diesen
Preis hätte Rom sich gern wieder einmal die Paradorie erlaubt, Arm in Arm
mit einer ketzerischen Macht zu erscheinen.

Die Rechnung hatte nur den einen Fehler, daß sie die Politik des deutschen
Kanzlers für zu realistisch hielt. Realistisch nennt man heute auf allen Gebieten
die Denkweise, welcher die plumpe Handgreiflichkeit Alles ist. Dem herrschen¬
den Sinn gilt diese Denkweise allerdings für die wahre Weisheit, und das
sie bezeichnende Beiwort enthält demnach ein hohes Lob. Der deutsche Reichs¬
kanzler aber ist kein solcher Realist. Er schätzt die Bundesgenossen, die er an¬
nimmt, nicht in jedem Fall nach dem, was sie heute bieten, sondern auch
nach dem, was sie morgen fordern werden, und noch mehr vielleicht nach dem,
was sie schon heute verlangen. Dem realistischen Sinn gelten Bundesge¬
nossen, welche die Ueberlegenheit verbürgen, für das vortrefflichste Mittel.
Der deutsche Kanzler meint, daß die wahre Politik die ist, die sich auf ihre
eigne Kraft verläßt.

Der ultramontane Antrag auf Intervention zu Gunsten der weltlichen
Papstherrschaft und die ultramontane Bitte um die Souveränetät der Päpst¬
lichen Kirche auf dem Boden des deutschen Staats sind, so weit sie im Reichs¬
tag vorgebracht wurden, von diesem zurückgewiesen, ohne Dazwischenkamst
der Reichsregierung. Die ultramontane Politik weiß demnach, woran sie mit
der Reichsregierung ist, und das gerade wollte sie wissen. Bei einem starken
Entgegenkommen von Seiten der Reichsregierung hätte der Ultramontanismus
die Gefahr nicht gescheut, alten Freunden in Wien den Rath zu geben, sich
mit dem Reiche einstweilen gut zu stellen. Der Ultramontanismus würde


Aber wenn solche Behauptungen in erster Linie auch nur Schreckmittel
waren, so haben die Lenker der ultramontanen Politik wahrscheinlich gern
die Vorstellung gepflegt, es könne zu einem ernsten Bündniß kommen zwi¬
schen ihnen und dem neuen Kaiserthum. Der Grundgedanke, welcher ein
solches Bündniß als möglich erscheinen ließ, wird die ultramontane Voraus¬
setzung gewesen sein, daß man in der Lage sei, dem neuen Kaiserthum auf
dem Felde der auswärtigen Politik Vortheile zu verschaffen, oder doch vor¬
zuspiegeln. Man dachte sich die Politik dieses Kaiserthums als eine solche,
die jeden Bundesgenossen nimmt, den sie findet, unbeschadet seiner Gefährlich¬
keit, wenn er nur augenblickliche Stützen zu gewähren vermag.

Der Gewinn des Bündnisses wäre im höchsten Grade auf Seiten der
Ultramontanen gewesen. Durch die sogenannte Selbständigkeit der Kirche
hätte man die Kraft erlangt, den deutschen Staat in seinem Grundgefüge
anzufressen. Für die Weltstellung des Ultramontanismus wäre die Bundes¬
genossenschaft des neuen Kaiserthums von der gewaltigsten Wirkung gewesen,
indem sie die großen katholischen Regierungen genöthigt hätte, mit dem deut¬
schen Kaiserthum in der Begünstigung Roms zu rivalisiren. Um diesen
Preis hätte Rom sich gern wieder einmal die Paradorie erlaubt, Arm in Arm
mit einer ketzerischen Macht zu erscheinen.

Die Rechnung hatte nur den einen Fehler, daß sie die Politik des deutschen
Kanzlers für zu realistisch hielt. Realistisch nennt man heute auf allen Gebieten
die Denkweise, welcher die plumpe Handgreiflichkeit Alles ist. Dem herrschen¬
den Sinn gilt diese Denkweise allerdings für die wahre Weisheit, und das
sie bezeichnende Beiwort enthält demnach ein hohes Lob. Der deutsche Reichs¬
kanzler aber ist kein solcher Realist. Er schätzt die Bundesgenossen, die er an¬
nimmt, nicht in jedem Fall nach dem, was sie heute bieten, sondern auch
nach dem, was sie morgen fordern werden, und noch mehr vielleicht nach dem,
was sie schon heute verlangen. Dem realistischen Sinn gelten Bundesge¬
nossen, welche die Ueberlegenheit verbürgen, für das vortrefflichste Mittel.
Der deutsche Kanzler meint, daß die wahre Politik die ist, die sich auf ihre
eigne Kraft verläßt.

Der ultramontane Antrag auf Intervention zu Gunsten der weltlichen
Papstherrschaft und die ultramontane Bitte um die Souveränetät der Päpst¬
lichen Kirche auf dem Boden des deutschen Staats sind, so weit sie im Reichs¬
tag vorgebracht wurden, von diesem zurückgewiesen, ohne Dazwischenkamst
der Reichsregierung. Die ultramontane Politik weiß demnach, woran sie mit
der Reichsregierung ist, und das gerade wollte sie wissen. Bei einem starken
Entgegenkommen von Seiten der Reichsregierung hätte der Ultramontanismus
die Gefahr nicht gescheut, alten Freunden in Wien den Rath zu geben, sich
mit dem Reiche einstweilen gut zu stellen. Der Ultramontanismus würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/164>, abgerufen am 28.09.2024.