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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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und dauerhafteste sociale Organisation darstellt, welche die Geschichte aufzu¬
weisen hat.

Wenn die Ultramontanen in der Adreßverhandlung ihre Zwecke mit einer
befremdenden Hast blos legten, wenn sie bei dem Grundrechtsantrag sich äußerst
geringe Mühe gaben , ihre lediglich römisch - klerikalen Bedürfnisse durch das
Aushängeschild allgemeiner Volksrechte zu decken, so hat man hinter einem
solchen Auftreten doch wohl mehr zu suchen, als das persönliche Ungeschick
der parlamentarischen Führer. Es ist kaum denkbar, daß die klerikalen Füh¬
rer im Reichstag nach eigenem Gutdünken sollten vorgegangen sein. Es ist
ebenso unwahrscheinlich, daß diese Führer, wenn sie lediglich ihrem eigenen
Gutdünken zu folgen gehabt hätten, das unter dem blos parlamentarischen
Gesichtspunkt Unzweckmäßige ihres Spieles nicht sollten begriffen haben. Die
Erklärung wird also in anderen Gesichtspunkten zu suchen sein. Sie liegt
vielleicht in Folgendem.

Dem Ultramontanismus, oder sagen wir dem römischen Hof d. h den
jetzigen Leitern der kirchlichen Politik an demselben, mußte daran liegen,
schnell ins Klare zu kommen über das Verhältniß des deutschen Reiches zum
Papstthum.

In Preußen war die päpstliche Kirche bekanntlich mit besonderem Ent¬
gegenkommen behandelt worden. Die ultramontane Forderung konnte sich
daher in die Formel kleiden, man wolle nur die Selbständigkeit, deren die
römische Kirche sich in Preußen erfreue, auf das Reich ausgedehnt wissen.
Daß der päpstliche Hof mehrere Schritte bei dem deutschen Kaiser gethan, die
auf den Schutz der weltlichen Souveränetät des Papstes hinausliefen,, ist er¬
innerlich. Noch weniger darf vergessen werden, wie oft sich die ultramontane
Presse das Ansehn gegeben, als sei sie des besten Verhältnisses zu dem neuen
deutschen Kaiserthum sicher, als werde der deutsche Kaiser nichts Eiligeres zu
thun haben, als. in die tausendjährigen Fußtapfen der römisch-deutschen
Kaiser tretend, das Papstthum in seinem ebenso tausendjährigen Conflict mit
der italienischen Nation und dem italienischen Staat zu schützen. Vielfach,
das liegt klar genug am Tage, sind solche Behauptungen nur zu dem Zweck
ausgestreut worden, um anderen Staaten, sei es Oesterreich, sei es Frankreich,
die Beschützerrolle des Papstthums desto näher zu legen. Es sollte damit ge¬
schreckt werden, daß die päpstliche Kirche sogar mit einem protestantischen
Kaiser gegen katholische Regierungen sich verbinden könne, wenn diese letzteren
sich der Kirche gegenüber feindlich oder lässig zu erweisen fortfahren werden.
Es sollte den katholischen Regierungen damit zu Gemüth geführt würden,
daß die Vernachlässigung des Papstthums ihnen einen Bundesgenossen ent¬
ziehen könne, der in der Lage sei, ihnen selbst bei auswärtigen Conflicten ge¬
fährlich zu werden.


und dauerhafteste sociale Organisation darstellt, welche die Geschichte aufzu¬
weisen hat.

Wenn die Ultramontanen in der Adreßverhandlung ihre Zwecke mit einer
befremdenden Hast blos legten, wenn sie bei dem Grundrechtsantrag sich äußerst
geringe Mühe gaben , ihre lediglich römisch - klerikalen Bedürfnisse durch das
Aushängeschild allgemeiner Volksrechte zu decken, so hat man hinter einem
solchen Auftreten doch wohl mehr zu suchen, als das persönliche Ungeschick
der parlamentarischen Führer. Es ist kaum denkbar, daß die klerikalen Füh¬
rer im Reichstag nach eigenem Gutdünken sollten vorgegangen sein. Es ist
ebenso unwahrscheinlich, daß diese Führer, wenn sie lediglich ihrem eigenen
Gutdünken zu folgen gehabt hätten, das unter dem blos parlamentarischen
Gesichtspunkt Unzweckmäßige ihres Spieles nicht sollten begriffen haben. Die
Erklärung wird also in anderen Gesichtspunkten zu suchen sein. Sie liegt
vielleicht in Folgendem.

Dem Ultramontanismus, oder sagen wir dem römischen Hof d. h den
jetzigen Leitern der kirchlichen Politik an demselben, mußte daran liegen,
schnell ins Klare zu kommen über das Verhältniß des deutschen Reiches zum
Papstthum.

In Preußen war die päpstliche Kirche bekanntlich mit besonderem Ent¬
gegenkommen behandelt worden. Die ultramontane Forderung konnte sich
daher in die Formel kleiden, man wolle nur die Selbständigkeit, deren die
römische Kirche sich in Preußen erfreue, auf das Reich ausgedehnt wissen.
Daß der päpstliche Hof mehrere Schritte bei dem deutschen Kaiser gethan, die
auf den Schutz der weltlichen Souveränetät des Papstes hinausliefen,, ist er¬
innerlich. Noch weniger darf vergessen werden, wie oft sich die ultramontane
Presse das Ansehn gegeben, als sei sie des besten Verhältnisses zu dem neuen
deutschen Kaiserthum sicher, als werde der deutsche Kaiser nichts Eiligeres zu
thun haben, als. in die tausendjährigen Fußtapfen der römisch-deutschen
Kaiser tretend, das Papstthum in seinem ebenso tausendjährigen Conflict mit
der italienischen Nation und dem italienischen Staat zu schützen. Vielfach,
das liegt klar genug am Tage, sind solche Behauptungen nur zu dem Zweck
ausgestreut worden, um anderen Staaten, sei es Oesterreich, sei es Frankreich,
die Beschützerrolle des Papstthums desto näher zu legen. Es sollte damit ge¬
schreckt werden, daß die päpstliche Kirche sogar mit einem protestantischen
Kaiser gegen katholische Regierungen sich verbinden könne, wenn diese letzteren
sich der Kirche gegenüber feindlich oder lässig zu erweisen fortfahren werden.
Es sollte den katholischen Regierungen damit zu Gemüth geführt würden,
daß die Vernachlässigung des Papstthums ihnen einen Bundesgenossen ent¬
ziehen könne, der in der Lage sei, ihnen selbst bei auswärtigen Conflicten ge¬
fährlich zu werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/163>, abgerufen am 28.09.2024.