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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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besserungsantrag" zu Gunsten der Preßfreiheit versehenen "Grundrechte" auf¬
zutreten. -- Die bedeutendsten Reden der dreitägigen Debatte, diejenigen von
Treitschke, von Ketteler und von Miquel setzen wir als bekannt voraus.
Am bewunderungswürdigsten war aber in den Reden der Klerikalen die Drei¬
stigkeit. Die bekanntesten Thatsachen der Geschichte wurden von ihnen abge¬
leugnet und mit kecker Stirn der Beweis dafür gefordert, daß die Sätze des
letzten päpstlichen Syllabus mit der hier von den "Katholiken" unter dem
scheinbaren Titel der Vereinsfreiheit geforderten Schrankenlosigkeit aller Glau¬
bensbekenntnisse in Widerspruch ständen. Dabei muß besonders auffallen,
daß, nachdem die klerikalen Redner ihr Bestreben ausdrücklich mit dem des
infalliblen Papstes identificirt, und dabei sämmtlich die Behauptung verfoch¬
ten hatten, daß ihre "Grundrechte" das Werk der Paritätsherstellung vollenden,
welches im westfälischen Frieden begonnen worden sei, keinem Redner des
Hauses in den Sinn gekommen ist, zu erwähnen, daß jener westfälische Friede
von den Päpsten niemals anerkannt worden ist.

Das Schlußresultat der Debatte, in welcher übrigens vollkommen er¬
schöpfend die Gemeinschädlichkeit der klerikalen Bestrebungen und die Kläg¬
lichkeit ihrer Scheingründe sich herausstellte, war bekanntlich Ablehnung der
klerikalen Anträge mit 223 gegen 59 Stimmen. Ein Nachspiel zu diesen
Discussionen, welche für Herrn Bebel, der "glücklicherweise mit allen religiösen
Dogmen gebrochen hat, nur mit Ueberwindung angehört wurden", bot sich
am letzten Sitzungstage vor den Osterferien. Bei Gelegenheit einer Wahl¬
prüfung kam zur Sprache, daß von der Kanzel herab die Gläubigen
gewarnt worden waren, einem gemäßigten protestantischen Kandidaten ihre
Stimme zu geben. Laster benutzte diesen Anlaß, um Reichensperger gegen¬
über, welcher die Wirsamkeit des Kanzelredners mit der des Leitar¬
tikelschreibers in eine Linie stellte, nachzuweisen, daß, wenn Gotteshäuser
gegen Ruhestörungen in exemter Weise durch das Strafgesetzbuch geschützt
seien, der Staat auch ein Recht habe, darauf zu achten, daß gottesdienstliche
Verrichtungen nicht zu Nebenzwecken mißbraucht werden. Der Redner wurde
hier sogar durch lebhaftes Klatschen von der Zuhörer-Tribüne unterbrochen.
Im Uebrigen schloß diese letzte Sitzung vor dem Feste befriedigend durch ein¬
stimmige Annahme der von der deutschen Reichspartei eingebrachten Reso¬
lution, den Deutschen aller Länder der Erde für ihr während des Krieges
bewiesenes Verhalten den Dank des Reichstages auszusprechen, welche durch
die Rede des Abgeordneten Miquel für die Deutschen Oesterreichs zu einer
ganz besonderen Kräftigung wurde.

Bei Berathung der Haushaltsetats für 1870 und 71 erfüllte mit Be¬
friedigung, daß der Bundescommissar Michaelis für das Kriegsjahr 1870 einen
Ueberschuß der ordentlichen Einnahmen über die regelmäßigen Ausgaben des


besserungsantrag" zu Gunsten der Preßfreiheit versehenen „Grundrechte" auf¬
zutreten. — Die bedeutendsten Reden der dreitägigen Debatte, diejenigen von
Treitschke, von Ketteler und von Miquel setzen wir als bekannt voraus.
Am bewunderungswürdigsten war aber in den Reden der Klerikalen die Drei¬
stigkeit. Die bekanntesten Thatsachen der Geschichte wurden von ihnen abge¬
leugnet und mit kecker Stirn der Beweis dafür gefordert, daß die Sätze des
letzten päpstlichen Syllabus mit der hier von den „Katholiken" unter dem
scheinbaren Titel der Vereinsfreiheit geforderten Schrankenlosigkeit aller Glau¬
bensbekenntnisse in Widerspruch ständen. Dabei muß besonders auffallen,
daß, nachdem die klerikalen Redner ihr Bestreben ausdrücklich mit dem des
infalliblen Papstes identificirt, und dabei sämmtlich die Behauptung verfoch¬
ten hatten, daß ihre „Grundrechte" das Werk der Paritätsherstellung vollenden,
welches im westfälischen Frieden begonnen worden sei, keinem Redner des
Hauses in den Sinn gekommen ist, zu erwähnen, daß jener westfälische Friede
von den Päpsten niemals anerkannt worden ist.

Das Schlußresultat der Debatte, in welcher übrigens vollkommen er¬
schöpfend die Gemeinschädlichkeit der klerikalen Bestrebungen und die Kläg¬
lichkeit ihrer Scheingründe sich herausstellte, war bekanntlich Ablehnung der
klerikalen Anträge mit 223 gegen 59 Stimmen. Ein Nachspiel zu diesen
Discussionen, welche für Herrn Bebel, der „glücklicherweise mit allen religiösen
Dogmen gebrochen hat, nur mit Ueberwindung angehört wurden", bot sich
am letzten Sitzungstage vor den Osterferien. Bei Gelegenheit einer Wahl¬
prüfung kam zur Sprache, daß von der Kanzel herab die Gläubigen
gewarnt worden waren, einem gemäßigten protestantischen Kandidaten ihre
Stimme zu geben. Laster benutzte diesen Anlaß, um Reichensperger gegen¬
über, welcher die Wirsamkeit des Kanzelredners mit der des Leitar¬
tikelschreibers in eine Linie stellte, nachzuweisen, daß, wenn Gotteshäuser
gegen Ruhestörungen in exemter Weise durch das Strafgesetzbuch geschützt
seien, der Staat auch ein Recht habe, darauf zu achten, daß gottesdienstliche
Verrichtungen nicht zu Nebenzwecken mißbraucht werden. Der Redner wurde
hier sogar durch lebhaftes Klatschen von der Zuhörer-Tribüne unterbrochen.
Im Uebrigen schloß diese letzte Sitzung vor dem Feste befriedigend durch ein¬
stimmige Annahme der von der deutschen Reichspartei eingebrachten Reso¬
lution, den Deutschen aller Länder der Erde für ihr während des Krieges
bewiesenes Verhalten den Dank des Reichstages auszusprechen, welche durch
die Rede des Abgeordneten Miquel für die Deutschen Oesterreichs zu einer
ganz besonderen Kräftigung wurde.

Bei Berathung der Haushaltsetats für 1870 und 71 erfüllte mit Be¬
friedigung, daß der Bundescommissar Michaelis für das Kriegsjahr 1870 einen
Ueberschuß der ordentlichen Einnahmen über die regelmäßigen Ausgaben des


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[0154] besserungsantrag" zu Gunsten der Preßfreiheit versehenen „Grundrechte" auf¬ zutreten. — Die bedeutendsten Reden der dreitägigen Debatte, diejenigen von Treitschke, von Ketteler und von Miquel setzen wir als bekannt voraus. Am bewunderungswürdigsten war aber in den Reden der Klerikalen die Drei¬ stigkeit. Die bekanntesten Thatsachen der Geschichte wurden von ihnen abge¬ leugnet und mit kecker Stirn der Beweis dafür gefordert, daß die Sätze des letzten päpstlichen Syllabus mit der hier von den „Katholiken" unter dem scheinbaren Titel der Vereinsfreiheit geforderten Schrankenlosigkeit aller Glau¬ bensbekenntnisse in Widerspruch ständen. Dabei muß besonders auffallen, daß, nachdem die klerikalen Redner ihr Bestreben ausdrücklich mit dem des infalliblen Papstes identificirt, und dabei sämmtlich die Behauptung verfoch¬ ten hatten, daß ihre „Grundrechte" das Werk der Paritätsherstellung vollenden, welches im westfälischen Frieden begonnen worden sei, keinem Redner des Hauses in den Sinn gekommen ist, zu erwähnen, daß jener westfälische Friede von den Päpsten niemals anerkannt worden ist. Das Schlußresultat der Debatte, in welcher übrigens vollkommen er¬ schöpfend die Gemeinschädlichkeit der klerikalen Bestrebungen und die Kläg¬ lichkeit ihrer Scheingründe sich herausstellte, war bekanntlich Ablehnung der klerikalen Anträge mit 223 gegen 59 Stimmen. Ein Nachspiel zu diesen Discussionen, welche für Herrn Bebel, der „glücklicherweise mit allen religiösen Dogmen gebrochen hat, nur mit Ueberwindung angehört wurden", bot sich am letzten Sitzungstage vor den Osterferien. Bei Gelegenheit einer Wahl¬ prüfung kam zur Sprache, daß von der Kanzel herab die Gläubigen gewarnt worden waren, einem gemäßigten protestantischen Kandidaten ihre Stimme zu geben. Laster benutzte diesen Anlaß, um Reichensperger gegen¬ über, welcher die Wirsamkeit des Kanzelredners mit der des Leitar¬ tikelschreibers in eine Linie stellte, nachzuweisen, daß, wenn Gotteshäuser gegen Ruhestörungen in exemter Weise durch das Strafgesetzbuch geschützt seien, der Staat auch ein Recht habe, darauf zu achten, daß gottesdienstliche Verrichtungen nicht zu Nebenzwecken mißbraucht werden. Der Redner wurde hier sogar durch lebhaftes Klatschen von der Zuhörer-Tribüne unterbrochen. Im Uebrigen schloß diese letzte Sitzung vor dem Feste befriedigend durch ein¬ stimmige Annahme der von der deutschen Reichspartei eingebrachten Reso¬ lution, den Deutschen aller Länder der Erde für ihr während des Krieges bewiesenes Verhalten den Dank des Reichstages auszusprechen, welche durch die Rede des Abgeordneten Miquel für die Deutschen Oesterreichs zu einer ganz besonderen Kräftigung wurde. Bei Berathung der Haushaltsetats für 1870 und 71 erfüllte mit Be¬ friedigung, daß der Bundescommissar Michaelis für das Kriegsjahr 1870 einen Ueberschuß der ordentlichen Einnahmen über die regelmäßigen Ausgaben des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/154>, abgerufen am 28.12.2024.