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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Claque der Ultramontanen. Fast jedes Wort eines Redners (derMischof von
Mainz genießt natürlich als Kirchenfürst von klerikaler Seite den Vorzug)
wird von seinen Parteigenossen mit energischem Kopfnicken begleitet und die
Ausrufe: "Bravo! Allerdings! Sehr gut! Sehr wahr! Sehr richtig!" werden
von einem wohlgeübten Chorus hinter jedem Satze eingeschaltet. Es wird
von den Herren aber auf Commando nicht nur gelacht und acclamirt, sondern
auch bei den Abstimmungen aufgestanden. Das hierzu nothwendige Zeichen,
bestehend in einem mit Umwenden des Kopfes verbundenen heftigen Abwärts-
zucken der beiden nach vorn gerichteten Hände, gab mehrmals der Abgeordnete
Schröder-Lippstadt, der in seiner Rede mit größerem Eifer nach dem Ausdruck
des Kräftigen, als des Schönen strebt, und von einem meiner sehr maßvollen
Freunde als parlamentarischer Wütherich bezeichnet wurde. Die ganze Partei
kann aber in keinem Momente verleugnen, daß sie zu einem Theil aus bäuri¬
schen Menschen besteht und zum anderen aus solchen, die gewohnt sind, auf
dergleichen Individuen oder auf Frauengemüther zu wirken. Die fast rein
jesuitische Zusammensetzung dieser zweiten Hälfte erhält durch Mallinkrodts
junkerhafte und Windthorsts advokatorische Erscheinung die nöthige Abwechs¬
lung. Der Gesammteindruck der "katholischen" oder "verfassungstreuen"
Fraktion ist aber der eines inferioren Gebildes aus einer unvollkommenen
Culturzeit, sie erscheinen als Repräsentanten früherer Jahrhunderte, als wiederer¬
standene Tillys, Torquemadas und Escobars, als Männer, deren Denken und
Streben in Ziel, Inhalt und Form ebenso unmodern als undeutsch ist.

Die Loyalitätsbetheuerungen und persönlichen Schmeicheleien gegen den
Kaiser, mit welcher bei der Adreßdebatte von dieser Seite nicht sparsam um¬
gegangen wurde, sind an maßgebender Stelle auf undankbaren Boden ge¬
fallen; der Kaiser hat der Deputation des Reichstags, welche ihm die Adresse
der Majorität überbrachte, erwidert, daß seine Intentionen, grade so wie es
in diesem Aktenstücke geschehen, richtig aufgefaßt seien. Erwähnung verdient
übrigens, daß, als die Namen der Deputationsmitglieder cmsgelvost wurden,
die Weisen Ewald und Errleben hastig an die Urne eilten, um ihre Namen
vorher zu reklamiren, damit nicht ein tückischer Zufall sie zwänge, "dem Zol-
lern zu Hofiren." Doch die eigentlichen Welfen sind todt, schlimmer sind hier
Guelfen, die seit dem 1. April versuchten, unter dem populären Titel "Grund¬
rechte", -- darin zumal zeigt sich die bauernfängerische Routine der Ultra¬
montanen im ganzen Lichte -- für die katholische Kirche in ganz Deutschland
jene abnorme Stellung zu erringen, deren sich dieselbe seit 1880 in Preußen
zum Nachtheil des Staates erfreut. Selbst die Fortschrittspartei, auf deren
Unterstützung die Klerikalen ganz sicher gerechnet hatten, bekämpfte diese Mo¬
tive aufs entschiedenste, und nur dem Frankfurter Sonnemann nebst zwei
Hannoveranern war vorbehalten, für diese, von ihnen noch mit einem "Ver-


Grenzboten I. 1871. 85

Claque der Ultramontanen. Fast jedes Wort eines Redners (derMischof von
Mainz genießt natürlich als Kirchenfürst von klerikaler Seite den Vorzug)
wird von seinen Parteigenossen mit energischem Kopfnicken begleitet und die
Ausrufe: „Bravo! Allerdings! Sehr gut! Sehr wahr! Sehr richtig!" werden
von einem wohlgeübten Chorus hinter jedem Satze eingeschaltet. Es wird
von den Herren aber auf Commando nicht nur gelacht und acclamirt, sondern
auch bei den Abstimmungen aufgestanden. Das hierzu nothwendige Zeichen,
bestehend in einem mit Umwenden des Kopfes verbundenen heftigen Abwärts-
zucken der beiden nach vorn gerichteten Hände, gab mehrmals der Abgeordnete
Schröder-Lippstadt, der in seiner Rede mit größerem Eifer nach dem Ausdruck
des Kräftigen, als des Schönen strebt, und von einem meiner sehr maßvollen
Freunde als parlamentarischer Wütherich bezeichnet wurde. Die ganze Partei
kann aber in keinem Momente verleugnen, daß sie zu einem Theil aus bäuri¬
schen Menschen besteht und zum anderen aus solchen, die gewohnt sind, auf
dergleichen Individuen oder auf Frauengemüther zu wirken. Die fast rein
jesuitische Zusammensetzung dieser zweiten Hälfte erhält durch Mallinkrodts
junkerhafte und Windthorsts advokatorische Erscheinung die nöthige Abwechs¬
lung. Der Gesammteindruck der „katholischen" oder „verfassungstreuen"
Fraktion ist aber der eines inferioren Gebildes aus einer unvollkommenen
Culturzeit, sie erscheinen als Repräsentanten früherer Jahrhunderte, als wiederer¬
standene Tillys, Torquemadas und Escobars, als Männer, deren Denken und
Streben in Ziel, Inhalt und Form ebenso unmodern als undeutsch ist.

Die Loyalitätsbetheuerungen und persönlichen Schmeicheleien gegen den
Kaiser, mit welcher bei der Adreßdebatte von dieser Seite nicht sparsam um¬
gegangen wurde, sind an maßgebender Stelle auf undankbaren Boden ge¬
fallen; der Kaiser hat der Deputation des Reichstags, welche ihm die Adresse
der Majorität überbrachte, erwidert, daß seine Intentionen, grade so wie es
in diesem Aktenstücke geschehen, richtig aufgefaßt seien. Erwähnung verdient
übrigens, daß, als die Namen der Deputationsmitglieder cmsgelvost wurden,
die Weisen Ewald und Errleben hastig an die Urne eilten, um ihre Namen
vorher zu reklamiren, damit nicht ein tückischer Zufall sie zwänge, „dem Zol-
lern zu Hofiren." Doch die eigentlichen Welfen sind todt, schlimmer sind hier
Guelfen, die seit dem 1. April versuchten, unter dem populären Titel „Grund¬
rechte", — darin zumal zeigt sich die bauernfängerische Routine der Ultra¬
montanen im ganzen Lichte — für die katholische Kirche in ganz Deutschland
jene abnorme Stellung zu erringen, deren sich dieselbe seit 1880 in Preußen
zum Nachtheil des Staates erfreut. Selbst die Fortschrittspartei, auf deren
Unterstützung die Klerikalen ganz sicher gerechnet hatten, bekämpfte diese Mo¬
tive aufs entschiedenste, und nur dem Frankfurter Sonnemann nebst zwei
Hannoveranern war vorbehalten, für diese, von ihnen noch mit einem „Ver-


Grenzboten I. 1871. 85
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[0153] Claque der Ultramontanen. Fast jedes Wort eines Redners (derMischof von Mainz genießt natürlich als Kirchenfürst von klerikaler Seite den Vorzug) wird von seinen Parteigenossen mit energischem Kopfnicken begleitet und die Ausrufe: „Bravo! Allerdings! Sehr gut! Sehr wahr! Sehr richtig!" werden von einem wohlgeübten Chorus hinter jedem Satze eingeschaltet. Es wird von den Herren aber auf Commando nicht nur gelacht und acclamirt, sondern auch bei den Abstimmungen aufgestanden. Das hierzu nothwendige Zeichen, bestehend in einem mit Umwenden des Kopfes verbundenen heftigen Abwärts- zucken der beiden nach vorn gerichteten Hände, gab mehrmals der Abgeordnete Schröder-Lippstadt, der in seiner Rede mit größerem Eifer nach dem Ausdruck des Kräftigen, als des Schönen strebt, und von einem meiner sehr maßvollen Freunde als parlamentarischer Wütherich bezeichnet wurde. Die ganze Partei kann aber in keinem Momente verleugnen, daß sie zu einem Theil aus bäuri¬ schen Menschen besteht und zum anderen aus solchen, die gewohnt sind, auf dergleichen Individuen oder auf Frauengemüther zu wirken. Die fast rein jesuitische Zusammensetzung dieser zweiten Hälfte erhält durch Mallinkrodts junkerhafte und Windthorsts advokatorische Erscheinung die nöthige Abwechs¬ lung. Der Gesammteindruck der „katholischen" oder „verfassungstreuen" Fraktion ist aber der eines inferioren Gebildes aus einer unvollkommenen Culturzeit, sie erscheinen als Repräsentanten früherer Jahrhunderte, als wiederer¬ standene Tillys, Torquemadas und Escobars, als Männer, deren Denken und Streben in Ziel, Inhalt und Form ebenso unmodern als undeutsch ist. Die Loyalitätsbetheuerungen und persönlichen Schmeicheleien gegen den Kaiser, mit welcher bei der Adreßdebatte von dieser Seite nicht sparsam um¬ gegangen wurde, sind an maßgebender Stelle auf undankbaren Boden ge¬ fallen; der Kaiser hat der Deputation des Reichstags, welche ihm die Adresse der Majorität überbrachte, erwidert, daß seine Intentionen, grade so wie es in diesem Aktenstücke geschehen, richtig aufgefaßt seien. Erwähnung verdient übrigens, daß, als die Namen der Deputationsmitglieder cmsgelvost wurden, die Weisen Ewald und Errleben hastig an die Urne eilten, um ihre Namen vorher zu reklamiren, damit nicht ein tückischer Zufall sie zwänge, „dem Zol- lern zu Hofiren." Doch die eigentlichen Welfen sind todt, schlimmer sind hier Guelfen, die seit dem 1. April versuchten, unter dem populären Titel „Grund¬ rechte", — darin zumal zeigt sich die bauernfängerische Routine der Ultra¬ montanen im ganzen Lichte — für die katholische Kirche in ganz Deutschland jene abnorme Stellung zu erringen, deren sich dieselbe seit 1880 in Preußen zum Nachtheil des Staates erfreut. Selbst die Fortschrittspartei, auf deren Unterstützung die Klerikalen ganz sicher gerechnet hatten, bekämpfte diese Mo¬ tive aufs entschiedenste, und nur dem Frankfurter Sonnemann nebst zwei Hannoveranern war vorbehalten, für diese, von ihnen noch mit einem „Ver- Grenzboten I. 1871. 85

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/153>, abgerufen am 28.09.2024.