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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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in den Kriegen mit der französischen Revolution und dem Bonapartismus
völlig vom deutschen Boden weggefegt worden sind. Für ein Neues wurde
dadurch die Bahn frei.

In der Begeisterung der Freiheitskriege ist dann aufs Neue der Ruf
nach Kaiser und Reich ertönt und in patriotischen Kreisen immer wieder ein
deutsches Reich verlangt worden. Wie viel Unklarheit und Phantasterei dabei
auch immer vorgebracht sein mag, wir sind nicht im Stande, die Unmög¬
lichkeit zu behaupten, daß ein wirklicher deutscher Staatsmann, der das Rufen
des Volkes zu verwerthen verstanden, ein Reich damals herzustellen vermocht.
Aber gerade an einsichtiger und verständiger Leitung hat es damals gefehlt.

Und so haben dann dem trostlosen Elend des deutschen Bundes die
patriotischen Wünsche, das Hoffen und Sehnen nach deutscher Einheit ent¬
gegengestanden. Bis in unsere Tage hinein übt in den weitesten Schichten
des Volkes das Wort "Kaiser und Reich" noch seinen Zauber aus.

Aber das, meine ich, darf ich als eine ganz zweifellose, von Niemandem
angefochtene Wahrheit aussprechen, daß auch jetzt das Verlangen nach Her¬
stellung des Kaisertums eigentlich das alte deutsche Königthum gemeint hat:
wir würden das mittelalterliche Kaiserthum, das die Selbständigkeit der
Nachbarreichejbedroht und in endlose Kriege das Volk verwickelt, das, kirchlicher
Gedanken voll, Einheit des Glaubens erzwungen und geistlichen Bestrebungen
gedient hat -- eine Wiederaufrichtung dieses mittelalterlichen Kaiserthums
würden wir geradezu mit dem größten Abscheu ansehen und fliehen!

Die Regierung unseres erlauchten Königs hat nun die Wünsche und
Hoffnungen der deutschen Patrioten erfüllt. Es ist ein deutsches Reich, mit
freier Zustimmung aller deutschen Fürsten und aller deutschen Einzelstaaten
ins Leben getreten: als Symbol der deutschen Einheit trägt Preußens Heiden¬
könig die Kaiserkrone des deutschen Reichs. Und mit frischer Zuversicht
knüpfen wir alle unsere Hoffnungen an dies neu emporsteigende Reich. In
die Erbschaft des nationalen deutschen Königthums trachten wir das neue
Reich einzuweihen, unbeirrt durch romantische Reminiscenzen, unverführt durch
den kaiserlichen Klang des Namens. Wir wissen es, gerade in der Zusam¬
menfassung der nationalen Kräfte, nicht in unbefriedigter Eroberungslust soll
der Bestand und die Dauer des neuen Kaiserthums gefestigt werden: in kühler,
objectiver Scheidung kirchlicher und staatlicher Fragen soll der Geist modernen
Lebens alle Verhältnisse durchdringen: mit vollem Bewußtsein, in ernster
Arbeit, in pflichtgetreuer Theilnahme aller Volksgenossen soll das neue deutsche
Kaiserreich die Abwege vermeiden des römischen Jmperatorenthums, des mittel¬
alterlichen Universalreichs, des gallischen Cäsarismus.

Auf den gelegten Grundlagen, im Anschluß an den festesten Kern Deutsch-


in den Kriegen mit der französischen Revolution und dem Bonapartismus
völlig vom deutschen Boden weggefegt worden sind. Für ein Neues wurde
dadurch die Bahn frei.

In der Begeisterung der Freiheitskriege ist dann aufs Neue der Ruf
nach Kaiser und Reich ertönt und in patriotischen Kreisen immer wieder ein
deutsches Reich verlangt worden. Wie viel Unklarheit und Phantasterei dabei
auch immer vorgebracht sein mag, wir sind nicht im Stande, die Unmög¬
lichkeit zu behaupten, daß ein wirklicher deutscher Staatsmann, der das Rufen
des Volkes zu verwerthen verstanden, ein Reich damals herzustellen vermocht.
Aber gerade an einsichtiger und verständiger Leitung hat es damals gefehlt.

Und so haben dann dem trostlosen Elend des deutschen Bundes die
patriotischen Wünsche, das Hoffen und Sehnen nach deutscher Einheit ent¬
gegengestanden. Bis in unsere Tage hinein übt in den weitesten Schichten
des Volkes das Wort „Kaiser und Reich" noch seinen Zauber aus.

Aber das, meine ich, darf ich als eine ganz zweifellose, von Niemandem
angefochtene Wahrheit aussprechen, daß auch jetzt das Verlangen nach Her¬
stellung des Kaisertums eigentlich das alte deutsche Königthum gemeint hat:
wir würden das mittelalterliche Kaiserthum, das die Selbständigkeit der
Nachbarreichejbedroht und in endlose Kriege das Volk verwickelt, das, kirchlicher
Gedanken voll, Einheit des Glaubens erzwungen und geistlichen Bestrebungen
gedient hat — eine Wiederaufrichtung dieses mittelalterlichen Kaiserthums
würden wir geradezu mit dem größten Abscheu ansehen und fliehen!

Die Regierung unseres erlauchten Königs hat nun die Wünsche und
Hoffnungen der deutschen Patrioten erfüllt. Es ist ein deutsches Reich, mit
freier Zustimmung aller deutschen Fürsten und aller deutschen Einzelstaaten
ins Leben getreten: als Symbol der deutschen Einheit trägt Preußens Heiden¬
könig die Kaiserkrone des deutschen Reichs. Und mit frischer Zuversicht
knüpfen wir alle unsere Hoffnungen an dies neu emporsteigende Reich. In
die Erbschaft des nationalen deutschen Königthums trachten wir das neue
Reich einzuweihen, unbeirrt durch romantische Reminiscenzen, unverführt durch
den kaiserlichen Klang des Namens. Wir wissen es, gerade in der Zusam¬
menfassung der nationalen Kräfte, nicht in unbefriedigter Eroberungslust soll
der Bestand und die Dauer des neuen Kaiserthums gefestigt werden: in kühler,
objectiver Scheidung kirchlicher und staatlicher Fragen soll der Geist modernen
Lebens alle Verhältnisse durchdringen: mit vollem Bewußtsein, in ernster
Arbeit, in pflichtgetreuer Theilnahme aller Volksgenossen soll das neue deutsche
Kaiserreich die Abwege vermeiden des römischen Jmperatorenthums, des mittel¬
alterlichen Universalreichs, des gallischen Cäsarismus.

Auf den gelegten Grundlagen, im Anschluß an den festesten Kern Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/104>, abgerufen am 28.09.2024.