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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Aerzten und Krankenpflegern, geleitet von Dr. Heine, Professor der Chirurgie
in Innsbruck. Ohne zu wissen wo zunächst ihre Hilfe erwünscht oder noth¬
wendig sein dürfte, hatten sie die Heimath verlassen, und kamen nach lang¬
samer, mühevoller, nicht gefahrloser Reise in die Hauptstadt von Lothringen.

Einige der jüngeren Aerzte reisten mit Heine's Erlaubniß weiter, in der
Richtung von Metz, um genaue Erkundigungen einzuziehen, -- denn soeben
waren die Schlachten von Vionville, Gravelotte u. s. w. geschlagen, -- wäh¬
rend Dr. Heine selbst zurückblieb und mit der ihm eigenen Geschicklichkeit den
Weg chüele, auf dem für Alle ein Feld der Thätigkeit sich finden sollte.

Die Franzosen hatten ein im Ausbau begriffenes, zur Tabaksfabrik be¬
stimmtes Gebäude bereits als Lazareth nothdürftig eingerichtet. In zwei
Sälen lagen Verwundete unter der Behandlung von Simonin, Professor der
Chirurgie an der Deolo als in6accus von Ranzig, ein Verwandter des Mar¬
schalls Le Boeuf>, wie'man uns pflichtschuldigst glaubte erklären zu müssen.
Die materielle Pflege besorgten französische Schwestern, die nicht im Hause
wohnten und die Nachtwachen den Jnfirmiers überließen. Als Oekonom
stand, ihnen der Hausmeister oder Director der künftigen Tabakfabrik zur
Seite, welcher in dem stattlichen Hause wohnt, das die Fronte des großen
Baues bildet. Zwei große Flügel schließen einen geräumigen'Hof ein, der
durch ein Maschinenhaus in der Mitte in zwei Abtheilungen getrennt
wird: in diesem Haus befand sich die nothdürftig eingerichtete Küche. Der
linke, noch unbewohnte Flügel enthielt 6 große Säle und eine Anzahl kleiner
Zimmer; das Erdgeschoß, unausgebaut, ließ uns keine andere Wahl, als im
rechten Flügel zu ebener Erde unsere Kisten auszupacken. Auf einen Wink
Heine's wurden dieselben unmittelbar nach Besichtigung des Gebäudes vom
Bahnhof herbeigeholt, und in einer weiten, großen, mit Asphalt ge¬
pflasterten Halle entwickelte sich ein Leben voll rastloser Thätigkeit. Wie
der Squatter im Urwald sich langsam ein Heimwesen gründet, so hier
in Mitte der Civilisation wir. Eine aufgehängte Thür auf einer leeren
Kiste liegend, diente als Speisetisch und diesem Luxus entsprach der Rest
der bescheidenen Einrichtung. Alle Bestrebungen liefen ohne Nebenrücksicht
nur auf den einen Hauptzweck hinaus: die Behandlung und Pflege der Ver¬
wundeten, welche die Schlachtfelder von Toul, Gravelotte und später Sedan
in reichlicher Zahl lieferten, und zwar immer die schwersten Fälle, da nur
halbwegs transportable weiter gebracht wurden.

Als ob eine unsichtbare Hand von vornherein jede Einrichtung geleitet
habe, sah sich Jeder ohne große Berathung in eine ihm vorgezeichnete Bahn
gelenkt, nahm seinen Posten als selbstverständlich an und arbeitete gewissen¬
haft fort. Der ruhige Beobachter konnte indessen sehen, wie ein scharfes Auge
das Thun des Einzelnen genau überwachte. Unbedingter Gehorsam unter


Aerzten und Krankenpflegern, geleitet von Dr. Heine, Professor der Chirurgie
in Innsbruck. Ohne zu wissen wo zunächst ihre Hilfe erwünscht oder noth¬
wendig sein dürfte, hatten sie die Heimath verlassen, und kamen nach lang¬
samer, mühevoller, nicht gefahrloser Reise in die Hauptstadt von Lothringen.

Einige der jüngeren Aerzte reisten mit Heine's Erlaubniß weiter, in der
Richtung von Metz, um genaue Erkundigungen einzuziehen, — denn soeben
waren die Schlachten von Vionville, Gravelotte u. s. w. geschlagen, — wäh¬
rend Dr. Heine selbst zurückblieb und mit der ihm eigenen Geschicklichkeit den
Weg chüele, auf dem für Alle ein Feld der Thätigkeit sich finden sollte.

Die Franzosen hatten ein im Ausbau begriffenes, zur Tabaksfabrik be¬
stimmtes Gebäude bereits als Lazareth nothdürftig eingerichtet. In zwei
Sälen lagen Verwundete unter der Behandlung von Simonin, Professor der
Chirurgie an der Deolo als in6accus von Ranzig, ein Verwandter des Mar¬
schalls Le Boeuf>, wie'man uns pflichtschuldigst glaubte erklären zu müssen.
Die materielle Pflege besorgten französische Schwestern, die nicht im Hause
wohnten und die Nachtwachen den Jnfirmiers überließen. Als Oekonom
stand, ihnen der Hausmeister oder Director der künftigen Tabakfabrik zur
Seite, welcher in dem stattlichen Hause wohnt, das die Fronte des großen
Baues bildet. Zwei große Flügel schließen einen geräumigen'Hof ein, der
durch ein Maschinenhaus in der Mitte in zwei Abtheilungen getrennt
wird: in diesem Haus befand sich die nothdürftig eingerichtete Küche. Der
linke, noch unbewohnte Flügel enthielt 6 große Säle und eine Anzahl kleiner
Zimmer; das Erdgeschoß, unausgebaut, ließ uns keine andere Wahl, als im
rechten Flügel zu ebener Erde unsere Kisten auszupacken. Auf einen Wink
Heine's wurden dieselben unmittelbar nach Besichtigung des Gebäudes vom
Bahnhof herbeigeholt, und in einer weiten, großen, mit Asphalt ge¬
pflasterten Halle entwickelte sich ein Leben voll rastloser Thätigkeit. Wie
der Squatter im Urwald sich langsam ein Heimwesen gründet, so hier
in Mitte der Civilisation wir. Eine aufgehängte Thür auf einer leeren
Kiste liegend, diente als Speisetisch und diesem Luxus entsprach der Rest
der bescheidenen Einrichtung. Alle Bestrebungen liefen ohne Nebenrücksicht
nur auf den einen Hauptzweck hinaus: die Behandlung und Pflege der Ver¬
wundeten, welche die Schlachtfelder von Toul, Gravelotte und später Sedan
in reichlicher Zahl lieferten, und zwar immer die schwersten Fälle, da nur
halbwegs transportable weiter gebracht wurden.

Als ob eine unsichtbare Hand von vornherein jede Einrichtung geleitet
habe, sah sich Jeder ohne große Berathung in eine ihm vorgezeichnete Bahn
gelenkt, nahm seinen Posten als selbstverständlich an und arbeitete gewissen¬
haft fort. Der ruhige Beobachter konnte indessen sehen, wie ein scharfes Auge
das Thun des Einzelnen genau überwachte. Unbedingter Gehorsam unter


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[0086] Aerzten und Krankenpflegern, geleitet von Dr. Heine, Professor der Chirurgie in Innsbruck. Ohne zu wissen wo zunächst ihre Hilfe erwünscht oder noth¬ wendig sein dürfte, hatten sie die Heimath verlassen, und kamen nach lang¬ samer, mühevoller, nicht gefahrloser Reise in die Hauptstadt von Lothringen. Einige der jüngeren Aerzte reisten mit Heine's Erlaubniß weiter, in der Richtung von Metz, um genaue Erkundigungen einzuziehen, — denn soeben waren die Schlachten von Vionville, Gravelotte u. s. w. geschlagen, — wäh¬ rend Dr. Heine selbst zurückblieb und mit der ihm eigenen Geschicklichkeit den Weg chüele, auf dem für Alle ein Feld der Thätigkeit sich finden sollte. Die Franzosen hatten ein im Ausbau begriffenes, zur Tabaksfabrik be¬ stimmtes Gebäude bereits als Lazareth nothdürftig eingerichtet. In zwei Sälen lagen Verwundete unter der Behandlung von Simonin, Professor der Chirurgie an der Deolo als in6accus von Ranzig, ein Verwandter des Mar¬ schalls Le Boeuf>, wie'man uns pflichtschuldigst glaubte erklären zu müssen. Die materielle Pflege besorgten französische Schwestern, die nicht im Hause wohnten und die Nachtwachen den Jnfirmiers überließen. Als Oekonom stand, ihnen der Hausmeister oder Director der künftigen Tabakfabrik zur Seite, welcher in dem stattlichen Hause wohnt, das die Fronte des großen Baues bildet. Zwei große Flügel schließen einen geräumigen'Hof ein, der durch ein Maschinenhaus in der Mitte in zwei Abtheilungen getrennt wird: in diesem Haus befand sich die nothdürftig eingerichtete Küche. Der linke, noch unbewohnte Flügel enthielt 6 große Säle und eine Anzahl kleiner Zimmer; das Erdgeschoß, unausgebaut, ließ uns keine andere Wahl, als im rechten Flügel zu ebener Erde unsere Kisten auszupacken. Auf einen Wink Heine's wurden dieselben unmittelbar nach Besichtigung des Gebäudes vom Bahnhof herbeigeholt, und in einer weiten, großen, mit Asphalt ge¬ pflasterten Halle entwickelte sich ein Leben voll rastloser Thätigkeit. Wie der Squatter im Urwald sich langsam ein Heimwesen gründet, so hier in Mitte der Civilisation wir. Eine aufgehängte Thür auf einer leeren Kiste liegend, diente als Speisetisch und diesem Luxus entsprach der Rest der bescheidenen Einrichtung. Alle Bestrebungen liefen ohne Nebenrücksicht nur auf den einen Hauptzweck hinaus: die Behandlung und Pflege der Ver¬ wundeten, welche die Schlachtfelder von Toul, Gravelotte und später Sedan in reichlicher Zahl lieferten, und zwar immer die schwersten Fälle, da nur halbwegs transportable weiter gebracht wurden. Als ob eine unsichtbare Hand von vornherein jede Einrichtung geleitet habe, sah sich Jeder ohne große Berathung in eine ihm vorgezeichnete Bahn gelenkt, nahm seinen Posten als selbstverständlich an und arbeitete gewissen¬ haft fort. Der ruhige Beobachter konnte indessen sehen, wie ein scharfes Auge das Thun des Einzelnen genau überwachte. Unbedingter Gehorsam unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/86>, abgerufen am 28.09.2024.