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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Wer ein Ereigniß von solcher Größe und Erhabenheit mit erlebt, wird
es niemals völlig richtig beurtheilen können. Er gleicht einem Manne, wel¬
cher, unmittelbar am Fuße eines ungeheuren Thurmes stehend, hinaufstarrt
in eine Höhe, die er nicht zu schätzen vermag, die ihm aber leicht ein Gefühl
des Schwindels erweckt. -- Gott Lob! Bon einem solchen hat unser Volk
sich bisher frei zu erhalten gewußt! -- Wenn aber auch das zulängliche
Urtheil über den jetzigen Krieg einer in angemessener Sehweite stehenden Zu¬
kunft vorbehalten bleiben muß, so ^gewährt doch auch der Rückblick auf die
Vergangenheit ein Hilfsmittel zu wenigstens annähernder Schätzung, und
dies zu bieten, war der Zweck meines Vortrags. -- Mit voller Ueberzeugung
darf man es aussprechen: Alles, was die früheren Kämpfe mit Frankreich an
Anstrengungen und Opfern, an Großthaten und Erfolgen aufzuweisen haben
-- es wird erreicht, ja es wird zumeist weit übertroffen von unserer wunder¬
baren großen Gegenwart. -- Die mächtige patriotische Erregung der
Befreiungskriege ist emporgewachsen zu vollem tiefen Nationalbewußt¬
sein! Was seit grauer Vorzeit nicht geschehen war: ganz Deutschland
folgte Eines Königs Heerbannruf! -- Nicht im Bündnisse mit eifer¬
süchtigen Nachbarvölkern, nicht mehr gelähmt durch die Bundesgenossenschaft
von Oestreich, sondern allein und frei hat unser Volk seine Schlachten ge¬
schlagen und seine Fahnen ferner westwärts aufgepflanzt, als jemals, fer¬
ner selbst als in den Tagen der glorreichen Ottonen. -- Die mannigfaltigen
Goldzacken unserer vaterländischen Kronen, kleine und große, sie wurden im
Feuer zusammengeschmiedet und wölbten sich zur deutschen Kaiserkrone über
unsers Heldenkönigs Haupt. -- Wieder erstanden ist Deutschland, und in
seiner Hand liegt seine Grenze. -- Fünfmal sind im Laufe der Geschichte die
Deutschen siegreich vor Paris erschienen, nur einmal die Franzosen vor
Berlin; nicht hierin also findet ihr Dünkel seine Stütze. Dieser fußt viel¬
mehr auf dem geraubten Ländererbe Deutschlands und wird nicht eher wei¬
chen, als bis das Erbe wieder heimgefallen ist.

Morgen Nacht läuft der Waffenstillstand ab*); dann werden wir wissen,
was Frankreich will. Was wir selber wollen, wissen wir aber schon jetzt,
und wir sin.d Sieger! Darum erregt uns der dünne Schleier, welcher in
dieser Stunde noch Erfüllung und Entscheidung verdeckt, kein banges Grauen;
gleicht er doch einem solchen Vorhange, wie er ein schon vollendetes Meister¬
werk nur noch bis zum Augenblicke der feierlichen Enthüllung verbirgt.

Möge dies erhabene Denkmal unserer Tage von uns mit heiliger Ehr¬
furcht, mit heiligem Dank empfangen werden und mögen die drei französischen



") Diese Abhandlung wurde am 25. Februar d. I. im Wissenschaftlicher Vereine zu
Berlin vorgetragen.

Wer ein Ereigniß von solcher Größe und Erhabenheit mit erlebt, wird
es niemals völlig richtig beurtheilen können. Er gleicht einem Manne, wel¬
cher, unmittelbar am Fuße eines ungeheuren Thurmes stehend, hinaufstarrt
in eine Höhe, die er nicht zu schätzen vermag, die ihm aber leicht ein Gefühl
des Schwindels erweckt. — Gott Lob! Bon einem solchen hat unser Volk
sich bisher frei zu erhalten gewußt! — Wenn aber auch das zulängliche
Urtheil über den jetzigen Krieg einer in angemessener Sehweite stehenden Zu¬
kunft vorbehalten bleiben muß, so ^gewährt doch auch der Rückblick auf die
Vergangenheit ein Hilfsmittel zu wenigstens annähernder Schätzung, und
dies zu bieten, war der Zweck meines Vortrags. — Mit voller Ueberzeugung
darf man es aussprechen: Alles, was die früheren Kämpfe mit Frankreich an
Anstrengungen und Opfern, an Großthaten und Erfolgen aufzuweisen haben
— es wird erreicht, ja es wird zumeist weit übertroffen von unserer wunder¬
baren großen Gegenwart. — Die mächtige patriotische Erregung der
Befreiungskriege ist emporgewachsen zu vollem tiefen Nationalbewußt¬
sein! Was seit grauer Vorzeit nicht geschehen war: ganz Deutschland
folgte Eines Königs Heerbannruf! — Nicht im Bündnisse mit eifer¬
süchtigen Nachbarvölkern, nicht mehr gelähmt durch die Bundesgenossenschaft
von Oestreich, sondern allein und frei hat unser Volk seine Schlachten ge¬
schlagen und seine Fahnen ferner westwärts aufgepflanzt, als jemals, fer¬
ner selbst als in den Tagen der glorreichen Ottonen. — Die mannigfaltigen
Goldzacken unserer vaterländischen Kronen, kleine und große, sie wurden im
Feuer zusammengeschmiedet und wölbten sich zur deutschen Kaiserkrone über
unsers Heldenkönigs Haupt. — Wieder erstanden ist Deutschland, und in
seiner Hand liegt seine Grenze. — Fünfmal sind im Laufe der Geschichte die
Deutschen siegreich vor Paris erschienen, nur einmal die Franzosen vor
Berlin; nicht hierin also findet ihr Dünkel seine Stütze. Dieser fußt viel¬
mehr auf dem geraubten Ländererbe Deutschlands und wird nicht eher wei¬
chen, als bis das Erbe wieder heimgefallen ist.

Morgen Nacht läuft der Waffenstillstand ab*); dann werden wir wissen,
was Frankreich will. Was wir selber wollen, wissen wir aber schon jetzt,
und wir sin.d Sieger! Darum erregt uns der dünne Schleier, welcher in
dieser Stunde noch Erfüllung und Entscheidung verdeckt, kein banges Grauen;
gleicht er doch einem solchen Vorhange, wie er ein schon vollendetes Meister¬
werk nur noch bis zum Augenblicke der feierlichen Enthüllung verbirgt.

Möge dies erhabene Denkmal unserer Tage von uns mit heiliger Ehr¬
furcht, mit heiligem Dank empfangen werden und mögen die drei französischen



") Diese Abhandlung wurde am 25. Februar d. I. im Wissenschaftlicher Vereine zu
Berlin vorgetragen.
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[0505] Wer ein Ereigniß von solcher Größe und Erhabenheit mit erlebt, wird es niemals völlig richtig beurtheilen können. Er gleicht einem Manne, wel¬ cher, unmittelbar am Fuße eines ungeheuren Thurmes stehend, hinaufstarrt in eine Höhe, die er nicht zu schätzen vermag, die ihm aber leicht ein Gefühl des Schwindels erweckt. — Gott Lob! Bon einem solchen hat unser Volk sich bisher frei zu erhalten gewußt! — Wenn aber auch das zulängliche Urtheil über den jetzigen Krieg einer in angemessener Sehweite stehenden Zu¬ kunft vorbehalten bleiben muß, so ^gewährt doch auch der Rückblick auf die Vergangenheit ein Hilfsmittel zu wenigstens annähernder Schätzung, und dies zu bieten, war der Zweck meines Vortrags. — Mit voller Ueberzeugung darf man es aussprechen: Alles, was die früheren Kämpfe mit Frankreich an Anstrengungen und Opfern, an Großthaten und Erfolgen aufzuweisen haben — es wird erreicht, ja es wird zumeist weit übertroffen von unserer wunder¬ baren großen Gegenwart. — Die mächtige patriotische Erregung der Befreiungskriege ist emporgewachsen zu vollem tiefen Nationalbewußt¬ sein! Was seit grauer Vorzeit nicht geschehen war: ganz Deutschland folgte Eines Königs Heerbannruf! — Nicht im Bündnisse mit eifer¬ süchtigen Nachbarvölkern, nicht mehr gelähmt durch die Bundesgenossenschaft von Oestreich, sondern allein und frei hat unser Volk seine Schlachten ge¬ schlagen und seine Fahnen ferner westwärts aufgepflanzt, als jemals, fer¬ ner selbst als in den Tagen der glorreichen Ottonen. — Die mannigfaltigen Goldzacken unserer vaterländischen Kronen, kleine und große, sie wurden im Feuer zusammengeschmiedet und wölbten sich zur deutschen Kaiserkrone über unsers Heldenkönigs Haupt. — Wieder erstanden ist Deutschland, und in seiner Hand liegt seine Grenze. — Fünfmal sind im Laufe der Geschichte die Deutschen siegreich vor Paris erschienen, nur einmal die Franzosen vor Berlin; nicht hierin also findet ihr Dünkel seine Stütze. Dieser fußt viel¬ mehr auf dem geraubten Ländererbe Deutschlands und wird nicht eher wei¬ chen, als bis das Erbe wieder heimgefallen ist. Morgen Nacht läuft der Waffenstillstand ab*); dann werden wir wissen, was Frankreich will. Was wir selber wollen, wissen wir aber schon jetzt, und wir sin.d Sieger! Darum erregt uns der dünne Schleier, welcher in dieser Stunde noch Erfüllung und Entscheidung verdeckt, kein banges Grauen; gleicht er doch einem solchen Vorhange, wie er ein schon vollendetes Meister¬ werk nur noch bis zum Augenblicke der feierlichen Enthüllung verbirgt. Möge dies erhabene Denkmal unserer Tage von uns mit heiliger Ehr¬ furcht, mit heiligem Dank empfangen werden und mögen die drei französischen ") Diese Abhandlung wurde am 25. Februar d. I. im Wissenschaftlicher Vereine zu Berlin vorgetragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/505>, abgerufen am 26.06.2024.