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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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tefeuille des Ministerpräsidenten oder des Innern vorbehalten blieb. Im
Zusammenhang mit dieser Nachricht stand die Enthüllung der prager "Politik",
daß die Zusammensetzung des Cabinets Hohenwart ein wohlberechneter Schach¬
zug gegen die erstrebte Annäherung an Preußen gewesen sei, und der Mangel
eines polnischen Vertreters in dem Kreise des Ministeriums wurde von dem
pester Lloyd auf Slavisirung der auswärtigen Politik gedeutet.

Zwar verriethen die ultramontanen Blätter noch wenig Zuversicht auf
die Durchführung dieser Ziele -- das "Vaterland" drohte vielmehr dem
neuen Cabinet die Unterstützung der katholischen Rechtspartei zu entziehen,
wenn es nicht für Wiederherstellung der kirchlichen und politisch-historischen
Rechte in Oestreich gleichmäßig wirken wolle zwar ließ weder die Beru¬
fung des Ritters von Schmerling zum Präsidenten des Herrenhauses, noch
die energische Durchführung des Schulgesetzes in Böhmen eine Schmälerung
der freiheitlichen Institutionen erkennen und das neueste Rundschreiben des
Reichskanzlers an die östreichischen Gesandten soll den ungestörten Fortbestand
der auswärtigen Politik verbürgen: dennoch wuchs das Mißtrauen gegen die
Mitglieder einer Regierung, die dem Bündniß der Ultramontanen mit den
Czechen ihr Dasein verdankt und für den Vorläufer einer allgemeinen Reac¬
tion angesehen wird, von Tag zu Tag und fand in der ungarischen Presse
lauten Widerhall. Auch jenseit der Leitha, wo eine conservative Strömung
die Gemüther stark beunruhigt, erkennt man die Gemeinsamkeit der Interessen
mit der deutsch-östreichischen Verfassungspartei, erkennt die große Gefahr,
welche ein Sieg der Reaction und die Oberherrschaft des slavischen Elements
dem Ausgleich und dem constitutionellen Leben in den Ländern der Stephans¬
krone bereiten würde.

Wenn im Gegensatz zu diesen Anschauungen das officielle, der Feder
des Handelsministers entflossene Programm durch ein Rundschreiben des
Grafen Hohenwart an die Chefs der diesseitigen Königreiche und Länder
dahin erläutert wurde, daß die Befriedigung aller wahrhaft freisinnigen An¬
forderungen auf den Gebieten des öffentlichen Lebens die wichtigste Aufgabe
der Regierung bilde und wenn von den Verwaltungsbehörden sorgfältige
Beachtung der vorgezeichneten Grundzüge, strenge Handhabung des Gesetzes,
gewissenhafte Pflichterfüllung und rasche Erledigung der Geschäfte gefordert
wurde, so vermochte man doch die gleichzeitige Weisung an die Beamten,
jeder politischen Parteistellung fern zu bleiben, weder mit dem Geist der bis¬
herigen Gesetzgebung, noch mit dem Wortlaut der neuen Grundzüge, die ja
den Schutz freiheitlicher Institutionen nachdrücklich betonen, in Ueberein¬
stimmung zu bringen und befürchtete von der farblosen, stilistisch merkwürdi¬
gen Erläuterung des vieldeutigen Programms neue Verwirrung in den Reihen
der Negierungsvrgane.


tefeuille des Ministerpräsidenten oder des Innern vorbehalten blieb. Im
Zusammenhang mit dieser Nachricht stand die Enthüllung der prager „Politik",
daß die Zusammensetzung des Cabinets Hohenwart ein wohlberechneter Schach¬
zug gegen die erstrebte Annäherung an Preußen gewesen sei, und der Mangel
eines polnischen Vertreters in dem Kreise des Ministeriums wurde von dem
pester Lloyd auf Slavisirung der auswärtigen Politik gedeutet.

Zwar verriethen die ultramontanen Blätter noch wenig Zuversicht auf
die Durchführung dieser Ziele — das „Vaterland" drohte vielmehr dem
neuen Cabinet die Unterstützung der katholischen Rechtspartei zu entziehen,
wenn es nicht für Wiederherstellung der kirchlichen und politisch-historischen
Rechte in Oestreich gleichmäßig wirken wolle zwar ließ weder die Beru¬
fung des Ritters von Schmerling zum Präsidenten des Herrenhauses, noch
die energische Durchführung des Schulgesetzes in Böhmen eine Schmälerung
der freiheitlichen Institutionen erkennen und das neueste Rundschreiben des
Reichskanzlers an die östreichischen Gesandten soll den ungestörten Fortbestand
der auswärtigen Politik verbürgen: dennoch wuchs das Mißtrauen gegen die
Mitglieder einer Regierung, die dem Bündniß der Ultramontanen mit den
Czechen ihr Dasein verdankt und für den Vorläufer einer allgemeinen Reac¬
tion angesehen wird, von Tag zu Tag und fand in der ungarischen Presse
lauten Widerhall. Auch jenseit der Leitha, wo eine conservative Strömung
die Gemüther stark beunruhigt, erkennt man die Gemeinsamkeit der Interessen
mit der deutsch-östreichischen Verfassungspartei, erkennt die große Gefahr,
welche ein Sieg der Reaction und die Oberherrschaft des slavischen Elements
dem Ausgleich und dem constitutionellen Leben in den Ländern der Stephans¬
krone bereiten würde.

Wenn im Gegensatz zu diesen Anschauungen das officielle, der Feder
des Handelsministers entflossene Programm durch ein Rundschreiben des
Grafen Hohenwart an die Chefs der diesseitigen Königreiche und Länder
dahin erläutert wurde, daß die Befriedigung aller wahrhaft freisinnigen An¬
forderungen auf den Gebieten des öffentlichen Lebens die wichtigste Aufgabe
der Regierung bilde und wenn von den Verwaltungsbehörden sorgfältige
Beachtung der vorgezeichneten Grundzüge, strenge Handhabung des Gesetzes,
gewissenhafte Pflichterfüllung und rasche Erledigung der Geschäfte gefordert
wurde, so vermochte man doch die gleichzeitige Weisung an die Beamten,
jeder politischen Parteistellung fern zu bleiben, weder mit dem Geist der bis¬
herigen Gesetzgebung, noch mit dem Wortlaut der neuen Grundzüge, die ja
den Schutz freiheitlicher Institutionen nachdrücklich betonen, in Ueberein¬
stimmung zu bringen und befürchtete von der farblosen, stilistisch merkwürdi¬
gen Erläuterung des vieldeutigen Programms neue Verwirrung in den Reihen
der Negierungsvrgane.


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[0446] tefeuille des Ministerpräsidenten oder des Innern vorbehalten blieb. Im Zusammenhang mit dieser Nachricht stand die Enthüllung der prager „Politik", daß die Zusammensetzung des Cabinets Hohenwart ein wohlberechneter Schach¬ zug gegen die erstrebte Annäherung an Preußen gewesen sei, und der Mangel eines polnischen Vertreters in dem Kreise des Ministeriums wurde von dem pester Lloyd auf Slavisirung der auswärtigen Politik gedeutet. Zwar verriethen die ultramontanen Blätter noch wenig Zuversicht auf die Durchführung dieser Ziele — das „Vaterland" drohte vielmehr dem neuen Cabinet die Unterstützung der katholischen Rechtspartei zu entziehen, wenn es nicht für Wiederherstellung der kirchlichen und politisch-historischen Rechte in Oestreich gleichmäßig wirken wolle zwar ließ weder die Beru¬ fung des Ritters von Schmerling zum Präsidenten des Herrenhauses, noch die energische Durchführung des Schulgesetzes in Böhmen eine Schmälerung der freiheitlichen Institutionen erkennen und das neueste Rundschreiben des Reichskanzlers an die östreichischen Gesandten soll den ungestörten Fortbestand der auswärtigen Politik verbürgen: dennoch wuchs das Mißtrauen gegen die Mitglieder einer Regierung, die dem Bündniß der Ultramontanen mit den Czechen ihr Dasein verdankt und für den Vorläufer einer allgemeinen Reac¬ tion angesehen wird, von Tag zu Tag und fand in der ungarischen Presse lauten Widerhall. Auch jenseit der Leitha, wo eine conservative Strömung die Gemüther stark beunruhigt, erkennt man die Gemeinsamkeit der Interessen mit der deutsch-östreichischen Verfassungspartei, erkennt die große Gefahr, welche ein Sieg der Reaction und die Oberherrschaft des slavischen Elements dem Ausgleich und dem constitutionellen Leben in den Ländern der Stephans¬ krone bereiten würde. Wenn im Gegensatz zu diesen Anschauungen das officielle, der Feder des Handelsministers entflossene Programm durch ein Rundschreiben des Grafen Hohenwart an die Chefs der diesseitigen Königreiche und Länder dahin erläutert wurde, daß die Befriedigung aller wahrhaft freisinnigen An¬ forderungen auf den Gebieten des öffentlichen Lebens die wichtigste Aufgabe der Regierung bilde und wenn von den Verwaltungsbehörden sorgfältige Beachtung der vorgezeichneten Grundzüge, strenge Handhabung des Gesetzes, gewissenhafte Pflichterfüllung und rasche Erledigung der Geschäfte gefordert wurde, so vermochte man doch die gleichzeitige Weisung an die Beamten, jeder politischen Parteistellung fern zu bleiben, weder mit dem Geist der bis¬ herigen Gesetzgebung, noch mit dem Wortlaut der neuen Grundzüge, die ja den Schutz freiheitlicher Institutionen nachdrücklich betonen, in Ueberein¬ stimmung zu bringen und befürchtete von der farblosen, stilistisch merkwürdi¬ gen Erläuterung des vieldeutigen Programms neue Verwirrung in den Reihen der Negierungsvrgane.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/446>, abgerufen am 23.07.2024.