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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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demjenigen der Bank von Frankreich. Dort lief Gold um, in Deutschland
nur Silber. Nicht umsonst hatte die französische Industrie ein oder mehrere
Menschenalter früher als die deutsche voller innerer Zollfreiheit, Freizügigkeit
und Gewerbefreiheit sich erfreut. Der Landwirthschaft kam ein reicherer
Boden und ein milderes Klima, dem Verkehr eine unvergleichliche geographi¬
sche Lage zu Statten. Aber alle diese Vorzüge verhinderten nicht, daß
die Geschäftskrisis jenseits des Rheines gerade so früh ausbrach, wie
diesseits, daß sie fortfuhr zu steigen, als sie bei uns schon allmählich wieder
sank, und nach den ersten Erfolgen der deutschen Waffen dort genau dieselben
heftigen Merkmale zeigte, wie die politische Krankheit des unselig entnervten
Volks. Die Bank von Frankreich ging unmittelbar nach dem Ausbruch des
Krieges zu Silberzahlungen über; und sobald es nur irgend mit Anstand ge¬
schehen konnte, suspendirte sie das Baarzahlen ganz und ließ ihren Note"
gesetzlichen Zwangsumlauf beilegen. Gleichzeitig wurde ein Moratorium er¬
lassen, das fällige Wechselzahlungen unklagbar machte, und nach seinem Ab¬
lauf von Monat zu Monat unabsehbar verlängert worden ist. Dadurch sind
zu den unvermeidlichen Nachtheilen des Krieges für Handel und Gewerbe
noch sehr schwere willkürliche gefügt worden. Das baare Geld ist bis auf
geringe Reste aus dem Verkehr verschwunden, der von frisch fabricirten Papier¬
geld aller möglichen Größen und Emissionen wimmelt; man hat also beinahe
schon mit dem ersten Tage des Krieges den Grund zu einer Zerrüttung des
Geldwesens gelegt, welche Jahre gebrauchen wird, um wieder überwunden
zu werden, und ihre unheilvollen volkswirtschaftlichen Wirkungen natürlich
in Frankreich so gut nach sich ziehen muß, wie in Oestreich oder Rußland.
Und dies alles, obwohl man in Paris an den Sieg so fest glaubte, wie an
die eigene Größe und Unabhängigkeit! während in Deutschland die, welche
nicht viel mehr von dem Verhältniß der streitenden Kräfte wußten, als die
Pariser, bescheidentlich gefaßt sich auf anfängliche Schlappen einrichteten, und
doch den Muth nicht verloren, doch sogar in ihren Geschäftsangelegenheiten
nach kurzem Erschrecken Besonnenheit und Zuversicht walten ließen.

Inzwischen hat sich der Krieg trotz der niemals eigentlich abgebrochenen
Reihe unserer Siege in die Länge gezogen, nachdem von einer ihn begleitenden
volkswirtschaftlichen Krisis in Deutschland schon seit dem Herbste nicht mehr
die Rede sein kann, höchstens noch von einzelnen nebensächlichen Störungen
eines ganz normalen Befindens. Im Jahre 1866 war es umgekehrt: der
Krieg kurz und anne. die Krisis lang und chronisch. Die Wahrheit ist, daß
die Krisis damals geraume Zeit vor dem Ausbruch des Krieges völlig vor¬
bereitet in den Zuständen des Welthandels lag, und die elektrische Spannung
der politischen Atmosphäre sie nur steigerte, nur etwa zu früherem und zer-
störenderem Erguß brachte.


demjenigen der Bank von Frankreich. Dort lief Gold um, in Deutschland
nur Silber. Nicht umsonst hatte die französische Industrie ein oder mehrere
Menschenalter früher als die deutsche voller innerer Zollfreiheit, Freizügigkeit
und Gewerbefreiheit sich erfreut. Der Landwirthschaft kam ein reicherer
Boden und ein milderes Klima, dem Verkehr eine unvergleichliche geographi¬
sche Lage zu Statten. Aber alle diese Vorzüge verhinderten nicht, daß
die Geschäftskrisis jenseits des Rheines gerade so früh ausbrach, wie
diesseits, daß sie fortfuhr zu steigen, als sie bei uns schon allmählich wieder
sank, und nach den ersten Erfolgen der deutschen Waffen dort genau dieselben
heftigen Merkmale zeigte, wie die politische Krankheit des unselig entnervten
Volks. Die Bank von Frankreich ging unmittelbar nach dem Ausbruch des
Krieges zu Silberzahlungen über; und sobald es nur irgend mit Anstand ge¬
schehen konnte, suspendirte sie das Baarzahlen ganz und ließ ihren Note»
gesetzlichen Zwangsumlauf beilegen. Gleichzeitig wurde ein Moratorium er¬
lassen, das fällige Wechselzahlungen unklagbar machte, und nach seinem Ab¬
lauf von Monat zu Monat unabsehbar verlängert worden ist. Dadurch sind
zu den unvermeidlichen Nachtheilen des Krieges für Handel und Gewerbe
noch sehr schwere willkürliche gefügt worden. Das baare Geld ist bis auf
geringe Reste aus dem Verkehr verschwunden, der von frisch fabricirten Papier¬
geld aller möglichen Größen und Emissionen wimmelt; man hat also beinahe
schon mit dem ersten Tage des Krieges den Grund zu einer Zerrüttung des
Geldwesens gelegt, welche Jahre gebrauchen wird, um wieder überwunden
zu werden, und ihre unheilvollen volkswirtschaftlichen Wirkungen natürlich
in Frankreich so gut nach sich ziehen muß, wie in Oestreich oder Rußland.
Und dies alles, obwohl man in Paris an den Sieg so fest glaubte, wie an
die eigene Größe und Unabhängigkeit! während in Deutschland die, welche
nicht viel mehr von dem Verhältniß der streitenden Kräfte wußten, als die
Pariser, bescheidentlich gefaßt sich auf anfängliche Schlappen einrichteten, und
doch den Muth nicht verloren, doch sogar in ihren Geschäftsangelegenheiten
nach kurzem Erschrecken Besonnenheit und Zuversicht walten ließen.

Inzwischen hat sich der Krieg trotz der niemals eigentlich abgebrochenen
Reihe unserer Siege in die Länge gezogen, nachdem von einer ihn begleitenden
volkswirtschaftlichen Krisis in Deutschland schon seit dem Herbste nicht mehr
die Rede sein kann, höchstens noch von einzelnen nebensächlichen Störungen
eines ganz normalen Befindens. Im Jahre 1866 war es umgekehrt: der
Krieg kurz und anne. die Krisis lang und chronisch. Die Wahrheit ist, daß
die Krisis damals geraume Zeit vor dem Ausbruch des Krieges völlig vor¬
bereitet in den Zuständen des Welthandels lag, und die elektrische Spannung
der politischen Atmosphäre sie nur steigerte, nur etwa zu früherem und zer-
störenderem Erguß brachte.


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[0436] demjenigen der Bank von Frankreich. Dort lief Gold um, in Deutschland nur Silber. Nicht umsonst hatte die französische Industrie ein oder mehrere Menschenalter früher als die deutsche voller innerer Zollfreiheit, Freizügigkeit und Gewerbefreiheit sich erfreut. Der Landwirthschaft kam ein reicherer Boden und ein milderes Klima, dem Verkehr eine unvergleichliche geographi¬ sche Lage zu Statten. Aber alle diese Vorzüge verhinderten nicht, daß die Geschäftskrisis jenseits des Rheines gerade so früh ausbrach, wie diesseits, daß sie fortfuhr zu steigen, als sie bei uns schon allmählich wieder sank, und nach den ersten Erfolgen der deutschen Waffen dort genau dieselben heftigen Merkmale zeigte, wie die politische Krankheit des unselig entnervten Volks. Die Bank von Frankreich ging unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges zu Silberzahlungen über; und sobald es nur irgend mit Anstand ge¬ schehen konnte, suspendirte sie das Baarzahlen ganz und ließ ihren Note» gesetzlichen Zwangsumlauf beilegen. Gleichzeitig wurde ein Moratorium er¬ lassen, das fällige Wechselzahlungen unklagbar machte, und nach seinem Ab¬ lauf von Monat zu Monat unabsehbar verlängert worden ist. Dadurch sind zu den unvermeidlichen Nachtheilen des Krieges für Handel und Gewerbe noch sehr schwere willkürliche gefügt worden. Das baare Geld ist bis auf geringe Reste aus dem Verkehr verschwunden, der von frisch fabricirten Papier¬ geld aller möglichen Größen und Emissionen wimmelt; man hat also beinahe schon mit dem ersten Tage des Krieges den Grund zu einer Zerrüttung des Geldwesens gelegt, welche Jahre gebrauchen wird, um wieder überwunden zu werden, und ihre unheilvollen volkswirtschaftlichen Wirkungen natürlich in Frankreich so gut nach sich ziehen muß, wie in Oestreich oder Rußland. Und dies alles, obwohl man in Paris an den Sieg so fest glaubte, wie an die eigene Größe und Unabhängigkeit! während in Deutschland die, welche nicht viel mehr von dem Verhältniß der streitenden Kräfte wußten, als die Pariser, bescheidentlich gefaßt sich auf anfängliche Schlappen einrichteten, und doch den Muth nicht verloren, doch sogar in ihren Geschäftsangelegenheiten nach kurzem Erschrecken Besonnenheit und Zuversicht walten ließen. Inzwischen hat sich der Krieg trotz der niemals eigentlich abgebrochenen Reihe unserer Siege in die Länge gezogen, nachdem von einer ihn begleitenden volkswirtschaftlichen Krisis in Deutschland schon seit dem Herbste nicht mehr die Rede sein kann, höchstens noch von einzelnen nebensächlichen Störungen eines ganz normalen Befindens. Im Jahre 1866 war es umgekehrt: der Krieg kurz und anne. die Krisis lang und chronisch. Die Wahrheit ist, daß die Krisis damals geraume Zeit vor dem Ausbruch des Krieges völlig vor¬ bereitet in den Zuständen des Welthandels lag, und die elektrische Spannung der politischen Atmosphäre sie nur steigerte, nur etwa zu früherem und zer- störenderem Erguß brachte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/436>, abgerufen am 23.07.2024.