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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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zahl der Familien sich einschränken muß, was den Absatz vieler Producte be¬
einträchtigt. Aber auch in dem andern glücklichen Falle, daß das nationale
Heer schließlich entscheidend siege, kann doch die bloße Thatsache des Krieges
und mehr noch seine Verlängerung den Verkehr höchst fühlbar lähmen, der
industriellen Production und den landwirtschaftlichen Arbeiten die Arme ent¬
ziehen, die Consumtionsfähigkeit der Haushalte herabsetzen. Aber diese fatalen
Erwartungen stellt der Ausbruch des Krieges auf einmal den erschreckten
Blicken der Menschen vor. Die schlimmsten können eintreffen; schlimme
müssen fast unausbleiblich eintreffen, das Loos der Schlachten möge nun
noch so günstig fallen. Was Wunder, daß in der Angst und Aufregung des
Augenblicks nicht allein zu weisen, nothwendigen Vorsichtsmaßregeln, sondern
auch zu ganz verkehrten Auskunftsmitteln gegriffen wird, die das Gegentheil
von dem bewirken, was sie sollen! Da werden ertheilte Aufträge zurückge¬
zogen, eingeleitete Geschäfte abgebrochen, nicht immer mit der bei ruhigem
Ueberlegen gewohnten Achtung vor dem Rechte des andern Theils. Insbe¬
sondere sucht sich Jeder mit Baarmitteln möglichst zu versehen, die Einräu¬
mung von Credit auf das engste Maß zu beschränken. Man kann ja nicht
wissen, wie die so jäh abgeschnittene Hoffnung auf längeren Friedensbestand,
welche dem modernen Creditsystem zu Grunde liegt, den oder jenen in seinen
Geschäften und seinem Vermögensstand betreffen wird; und da jede Art von
Papiergeld oder Unterbringung der Casse Credit einschließt, d. h, das Ver¬
trauen, daß irgend ein Anderer allezeit zahlungsfähig bleiben werde, so ist
an sich nichts natürlicher, als der plötzliche und durchgängige Vorzug, dessen
sich beim Ausbruch eines unabsehbaren Krieges das baare Geld, das ge¬
münzte Metall erfreut. Bis auf einen gewissen Punkt hat beides, die Ein¬
schränkung des Credits und die Ansammlung baarer Casse, in solchen Zeiten
'seine volle Berechtigung. Aber auch nur so weit. Darüber hinaus steigert
es die Krisis, und gefährdet so mittelbar auch den, der in kurzsichtig rück¬
sichtsloser Selbstsucht nur den eigenen feuerfestem Schrank mit Gold und
Silber möglichst vollzupfropfen trachtet. Drängt eine zu weit getriebene Ver¬
weigerung eines unter gewöhnlichen Umständen selbstverständlichen, daher zur
Voraussetzung des Geschäftsbetriebs gewordenen Credit einen thatsächlich noch
vermögenden, nur augenblicklich nicht zahlungsfähigen Mann zum Bankerott,
w einer Zeit, wo alle Güter und Waaren außer einigen wenigen schwer in
Geld umzusetzen sind, so kann solcher Sturz, ja er muß vermöge der Ver¬
schlingung der Interessen fast nothwendig stärker oder schwächer auch den mit
Neffen. der das Mißtrauen zu weit trieb. Dasselbe ist es mit maßloser An¬
häufung gemünzten Metalls, die der Einzelne ja eben auch nur auf Kosten
des Verkehrs, der Gesammtheit, vieler andern Einzelnen vornehmen kann.
Wenn er einige von diesen damit direct oder indirect zur Zahlungseinstellung


zahl der Familien sich einschränken muß, was den Absatz vieler Producte be¬
einträchtigt. Aber auch in dem andern glücklichen Falle, daß das nationale
Heer schließlich entscheidend siege, kann doch die bloße Thatsache des Krieges
und mehr noch seine Verlängerung den Verkehr höchst fühlbar lähmen, der
industriellen Production und den landwirtschaftlichen Arbeiten die Arme ent¬
ziehen, die Consumtionsfähigkeit der Haushalte herabsetzen. Aber diese fatalen
Erwartungen stellt der Ausbruch des Krieges auf einmal den erschreckten
Blicken der Menschen vor. Die schlimmsten können eintreffen; schlimme
müssen fast unausbleiblich eintreffen, das Loos der Schlachten möge nun
noch so günstig fallen. Was Wunder, daß in der Angst und Aufregung des
Augenblicks nicht allein zu weisen, nothwendigen Vorsichtsmaßregeln, sondern
auch zu ganz verkehrten Auskunftsmitteln gegriffen wird, die das Gegentheil
von dem bewirken, was sie sollen! Da werden ertheilte Aufträge zurückge¬
zogen, eingeleitete Geschäfte abgebrochen, nicht immer mit der bei ruhigem
Ueberlegen gewohnten Achtung vor dem Rechte des andern Theils. Insbe¬
sondere sucht sich Jeder mit Baarmitteln möglichst zu versehen, die Einräu¬
mung von Credit auf das engste Maß zu beschränken. Man kann ja nicht
wissen, wie die so jäh abgeschnittene Hoffnung auf längeren Friedensbestand,
welche dem modernen Creditsystem zu Grunde liegt, den oder jenen in seinen
Geschäften und seinem Vermögensstand betreffen wird; und da jede Art von
Papiergeld oder Unterbringung der Casse Credit einschließt, d. h, das Ver¬
trauen, daß irgend ein Anderer allezeit zahlungsfähig bleiben werde, so ist
an sich nichts natürlicher, als der plötzliche und durchgängige Vorzug, dessen
sich beim Ausbruch eines unabsehbaren Krieges das baare Geld, das ge¬
münzte Metall erfreut. Bis auf einen gewissen Punkt hat beides, die Ein¬
schränkung des Credits und die Ansammlung baarer Casse, in solchen Zeiten
'seine volle Berechtigung. Aber auch nur so weit. Darüber hinaus steigert
es die Krisis, und gefährdet so mittelbar auch den, der in kurzsichtig rück¬
sichtsloser Selbstsucht nur den eigenen feuerfestem Schrank mit Gold und
Silber möglichst vollzupfropfen trachtet. Drängt eine zu weit getriebene Ver¬
weigerung eines unter gewöhnlichen Umständen selbstverständlichen, daher zur
Voraussetzung des Geschäftsbetriebs gewordenen Credit einen thatsächlich noch
vermögenden, nur augenblicklich nicht zahlungsfähigen Mann zum Bankerott,
w einer Zeit, wo alle Güter und Waaren außer einigen wenigen schwer in
Geld umzusetzen sind, so kann solcher Sturz, ja er muß vermöge der Ver¬
schlingung der Interessen fast nothwendig stärker oder schwächer auch den mit
Neffen. der das Mißtrauen zu weit trieb. Dasselbe ist es mit maßloser An¬
häufung gemünzten Metalls, die der Einzelne ja eben auch nur auf Kosten
des Verkehrs, der Gesammtheit, vieler andern Einzelnen vornehmen kann.
Wenn er einige von diesen damit direct oder indirect zur Zahlungseinstellung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/433>, abgerufen am 22.07.2024.