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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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nabrea erkannte zwar die Solidarität der Interessen Italiens und Deutsch¬
lands in dieser Hinsicht an; es geschah indessen zur Verwirklichung der Varn-
bülerschen Projecte wenig, hauptsächlich deßhalb, weil die Enquete, mit wel¬
cher britischer Seits der Capitain Tyler beauftragt worden war, Resultate
geliefert hatte, die der Beibehaltung der französischen Transitlinie das Wort
redeten und der Route Se. Michel (Mont-Cenis)-Susa selbst vor Vollendung
des Tunnels unter Adoptirung des Fell-Systems (Uebersteigung des Mont-
Cenis mittelst besonders construirter Locomotiven) unbedingten Vorzug vor
der Brenner-Linie gaben.

Diejenigen Factoren, welche für die Leitung der Britisch-Indischen Post
von entscheidenden Einflüsse sein müssen, sind offenbar: Kürze des Trans¬
ports, Schnelligkeit und Sicherheit der Beförderung, billige Spesen und Be¬
seitigung aller lästigen Zoll- :c. Formalitäten. Das praktische England will
Zeit, d. h. Geld sparen oder beides zugleich; am allerwenigsten ist es geneigt,
mit einer Unzahl vielköpfiger Deutscher Verwaltungen Tractate abzuschließen
und moi-<z majorum in endlosen Schriftwechsel über unwesentliche Dinge sich
verwickeln zu lassen. Sollte daher England für die Brenner-Route gewonnen
werden, so mußte eine Autorität die Vertretung Deutschlands übernehmen;
es mußten schnellgehende internationale Eisenbahnzüge durch Belgien, Deutsch¬
land und Italien geführt, eine directe unaufgehaltene Verbindung Dover-
Ostende-Brindisi-Alexandrien hergestellt und durch billige Normirung der
Transitgebühren der kostspieligen französischen Route der Vorrang abgewonnen
werden. Von Wichtigkeit war auch der Moment, daß die Seefahrt nach
Alexandrien, welche von Marseille aus auf der östlichen stürmischeren Hälfte
des Mittelmeeres oft schwierig ist, erheblich erleichtert werden konnte, wenn
Brindisi als Ausgangspunkt für die Dampfer nach Alexandrien gewählt
wurde. Endlich muß betont werden, daß die Linie London-Ostende-München-
Brenner-Ala-Brindisi-Alexandrien mindestens um 12 Stunden kürzer ist, als
die Route London-Calais-Marseille-Alexandrien (130 Stunden). Die Ver¬
handlungen über diese Transitfrage mußten wesentlich von politischen Ge¬
sichtspunkten ausgehen und unter Fernhaltung particularistischer und fiscali-
scher Rücksichten vor Allem die nationale und wirthschaftliche Bedeutung des
Projects würdigen. Es zeigten sich indessen bei den zahlreichen Voreonferenzen/
welche namentlich auf Varnbülers Antrieb von den deutschen Eisenbahnver¬
waltungen abgehalten wurden, erhebliche technische und finanzielle Schwierig¬
keiten, wie schon aus dem Umstände erhellen wird, daß bei der Sache fol¬
gende PostVerwaltungen-, die Oestreichische, die Bayerische, die Württembergi¬
sche, Badische, norddeutsche und die Belgische Postverwaltung, außerdem aber
folgende Eisenbahn-Gesellschaften: die Ocstreichische Südbahn, die Bayerische
Staats-Eisenbahn, die Württembergische Staatsbahn, die Main-Neckarbahn,


nabrea erkannte zwar die Solidarität der Interessen Italiens und Deutsch¬
lands in dieser Hinsicht an; es geschah indessen zur Verwirklichung der Varn-
bülerschen Projecte wenig, hauptsächlich deßhalb, weil die Enquete, mit wel¬
cher britischer Seits der Capitain Tyler beauftragt worden war, Resultate
geliefert hatte, die der Beibehaltung der französischen Transitlinie das Wort
redeten und der Route Se. Michel (Mont-Cenis)-Susa selbst vor Vollendung
des Tunnels unter Adoptirung des Fell-Systems (Uebersteigung des Mont-
Cenis mittelst besonders construirter Locomotiven) unbedingten Vorzug vor
der Brenner-Linie gaben.

Diejenigen Factoren, welche für die Leitung der Britisch-Indischen Post
von entscheidenden Einflüsse sein müssen, sind offenbar: Kürze des Trans¬
ports, Schnelligkeit und Sicherheit der Beförderung, billige Spesen und Be¬
seitigung aller lästigen Zoll- :c. Formalitäten. Das praktische England will
Zeit, d. h. Geld sparen oder beides zugleich; am allerwenigsten ist es geneigt,
mit einer Unzahl vielköpfiger Deutscher Verwaltungen Tractate abzuschließen
und moi-<z majorum in endlosen Schriftwechsel über unwesentliche Dinge sich
verwickeln zu lassen. Sollte daher England für die Brenner-Route gewonnen
werden, so mußte eine Autorität die Vertretung Deutschlands übernehmen;
es mußten schnellgehende internationale Eisenbahnzüge durch Belgien, Deutsch¬
land und Italien geführt, eine directe unaufgehaltene Verbindung Dover-
Ostende-Brindisi-Alexandrien hergestellt und durch billige Normirung der
Transitgebühren der kostspieligen französischen Route der Vorrang abgewonnen
werden. Von Wichtigkeit war auch der Moment, daß die Seefahrt nach
Alexandrien, welche von Marseille aus auf der östlichen stürmischeren Hälfte
des Mittelmeeres oft schwierig ist, erheblich erleichtert werden konnte, wenn
Brindisi als Ausgangspunkt für die Dampfer nach Alexandrien gewählt
wurde. Endlich muß betont werden, daß die Linie London-Ostende-München-
Brenner-Ala-Brindisi-Alexandrien mindestens um 12 Stunden kürzer ist, als
die Route London-Calais-Marseille-Alexandrien (130 Stunden). Die Ver¬
handlungen über diese Transitfrage mußten wesentlich von politischen Ge¬
sichtspunkten ausgehen und unter Fernhaltung particularistischer und fiscali-
scher Rücksichten vor Allem die nationale und wirthschaftliche Bedeutung des
Projects würdigen. Es zeigten sich indessen bei den zahlreichen Voreonferenzen/
welche namentlich auf Varnbülers Antrieb von den deutschen Eisenbahnver¬
waltungen abgehalten wurden, erhebliche technische und finanzielle Schwierig¬
keiten, wie schon aus dem Umstände erhellen wird, daß bei der Sache fol¬
gende PostVerwaltungen-, die Oestreichische, die Bayerische, die Württembergi¬
sche, Badische, norddeutsche und die Belgische Postverwaltung, außerdem aber
folgende Eisenbahn-Gesellschaften: die Ocstreichische Südbahn, die Bayerische
Staats-Eisenbahn, die Württembergische Staatsbahn, die Main-Neckarbahn,


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[0426] nabrea erkannte zwar die Solidarität der Interessen Italiens und Deutsch¬ lands in dieser Hinsicht an; es geschah indessen zur Verwirklichung der Varn- bülerschen Projecte wenig, hauptsächlich deßhalb, weil die Enquete, mit wel¬ cher britischer Seits der Capitain Tyler beauftragt worden war, Resultate geliefert hatte, die der Beibehaltung der französischen Transitlinie das Wort redeten und der Route Se. Michel (Mont-Cenis)-Susa selbst vor Vollendung des Tunnels unter Adoptirung des Fell-Systems (Uebersteigung des Mont- Cenis mittelst besonders construirter Locomotiven) unbedingten Vorzug vor der Brenner-Linie gaben. Diejenigen Factoren, welche für die Leitung der Britisch-Indischen Post von entscheidenden Einflüsse sein müssen, sind offenbar: Kürze des Trans¬ ports, Schnelligkeit und Sicherheit der Beförderung, billige Spesen und Be¬ seitigung aller lästigen Zoll- :c. Formalitäten. Das praktische England will Zeit, d. h. Geld sparen oder beides zugleich; am allerwenigsten ist es geneigt, mit einer Unzahl vielköpfiger Deutscher Verwaltungen Tractate abzuschließen und moi-<z majorum in endlosen Schriftwechsel über unwesentliche Dinge sich verwickeln zu lassen. Sollte daher England für die Brenner-Route gewonnen werden, so mußte eine Autorität die Vertretung Deutschlands übernehmen; es mußten schnellgehende internationale Eisenbahnzüge durch Belgien, Deutsch¬ land und Italien geführt, eine directe unaufgehaltene Verbindung Dover- Ostende-Brindisi-Alexandrien hergestellt und durch billige Normirung der Transitgebühren der kostspieligen französischen Route der Vorrang abgewonnen werden. Von Wichtigkeit war auch der Moment, daß die Seefahrt nach Alexandrien, welche von Marseille aus auf der östlichen stürmischeren Hälfte des Mittelmeeres oft schwierig ist, erheblich erleichtert werden konnte, wenn Brindisi als Ausgangspunkt für die Dampfer nach Alexandrien gewählt wurde. Endlich muß betont werden, daß die Linie London-Ostende-München- Brenner-Ala-Brindisi-Alexandrien mindestens um 12 Stunden kürzer ist, als die Route London-Calais-Marseille-Alexandrien (130 Stunden). Die Ver¬ handlungen über diese Transitfrage mußten wesentlich von politischen Ge¬ sichtspunkten ausgehen und unter Fernhaltung particularistischer und fiscali- scher Rücksichten vor Allem die nationale und wirthschaftliche Bedeutung des Projects würdigen. Es zeigten sich indessen bei den zahlreichen Voreonferenzen/ welche namentlich auf Varnbülers Antrieb von den deutschen Eisenbahnver¬ waltungen abgehalten wurden, erhebliche technische und finanzielle Schwierig¬ keiten, wie schon aus dem Umstände erhellen wird, daß bei der Sache fol¬ gende PostVerwaltungen-, die Oestreichische, die Bayerische, die Württembergi¬ sche, Badische, norddeutsche und die Belgische Postverwaltung, außerdem aber folgende Eisenbahn-Gesellschaften: die Ocstreichische Südbahn, die Bayerische Staats-Eisenbahn, die Württembergische Staatsbahn, die Main-Neckarbahn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/426>, abgerufen am 23.07.2024.