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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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schaftlichen oder technischen Lehrfächern; 3) Herstellung von Volksbibliotheken;
4) die Veranstaltung von geselligen Vergnügungen und Unterhaltungen;
6) die Vermittelung der persönlichen Berührung zwischen den verschiedenen
Klassen der Gesellschaft.

In großartigem Maße sind einzelne dieser Zwecke an manchem Orte
bereits erreicht worden. Außer den oben erwähnten Bibliotheken haben gewisse
Vereine aus eignen Mitteln ihrer Mitglieder ausgedehnte Gebäude für die
Zwecke der Lehre und der Unterhaltung eröffnet. Der Haushalt der verschie¬
denen Vereine, wie er in den jährlichen Rechenschaftsberichten erscheint, schwankt
zwischen dem Budget der Dorfschule und reicher Gymnasien. Dabei muß
rühmend anerkannt werden, daß alle diese Einrichtungen auf gesunderen wirth¬
schaftlichen Grundlagen ruhen, als jene glänzenden Arbeitercafinos gewisser
elsässischer Städte, welche durchweg allein durch Schenkungen der Fabrikanten
entstanden sind. Ehre freilich den Fabrikanten, die auf so edle und menschen¬
freundliche Weise ihre Mittel verwandten, aber noch mehr Ehre den deutschen
Arbeitern, die auch in diesem Stücke an der Selbsthilfe festhielten und wo sie
fremde Capitalien aufnahmen, für diese Sicherheit und Zinsen boten. Es ist
erfreulich zu sehen, daß auch die Einrichtungen dieser Art dem Bereiche des
unsicheren Wohlthätigkeitssinnes enthoben und immer mehr auf das wohl¬
verstandene und sichere Interesse aller Betheiligten begründet werden.

Zu einer Kritik der Leistungen des deutschen freiwilligen Bildungswesens
ist die Zeit noch nicht gekommen; wir betrachten es bis jetzt nur als einen
Keim, der, nachdem er die schlimmsten Zeiten seiner Entwickelung glücklich
überstanden hat, sich erst in den kommenden Friedenstagen zu einem frucht¬
tragenden Baume entfalten soll. In dieser guten Hoffnung wollen wir auf
einen Mangel aufmerksam machen, der in nächster Zeit nothwendig beseitigt
werden muß.

In früheren Jahren, wo die Wogen des politischen Lebens weniger hoch
gingen, schenkte die Localpresse dem freiwilligen Bildungswesen nicht geringe
Aufmerksamkeit. Ihre Berichte über die Thätigkeit einzelner Vereine spornten
in Nachbarorten zur Nacheiferung und streuten auf diese Weise den Samen
weiter aus. Dies hat in den letzten Jahren mehr und mehr nachgelassen,
auch war es für diejenigen, denen die Sache der freiwilligen Volksbildung am
Herzen lag. unmöglich, aus solchen einzelnen localen Berichten ein Bild von
der allgemeinen Lage der Sache und von dem Fortgange dieser Bewegung zu
gewinnen. Dazu fehlte es den Vereinen untereinander an jeglichem Zusam¬
menhang und Verkehr, sie hatten nur hin und wieder aus zufälligen Berüh¬
rungen Fühlung mit einander. An regelmäßiger Mittheilung ihrer Thätig¬
keit, an einem Austausch der gemachten Erfahrungen, an Sammlung statistischen
Materials fehlte es vollkommen. In der Rheinprovinz und Westfalen sind


schaftlichen oder technischen Lehrfächern; 3) Herstellung von Volksbibliotheken;
4) die Veranstaltung von geselligen Vergnügungen und Unterhaltungen;
6) die Vermittelung der persönlichen Berührung zwischen den verschiedenen
Klassen der Gesellschaft.

In großartigem Maße sind einzelne dieser Zwecke an manchem Orte
bereits erreicht worden. Außer den oben erwähnten Bibliotheken haben gewisse
Vereine aus eignen Mitteln ihrer Mitglieder ausgedehnte Gebäude für die
Zwecke der Lehre und der Unterhaltung eröffnet. Der Haushalt der verschie¬
denen Vereine, wie er in den jährlichen Rechenschaftsberichten erscheint, schwankt
zwischen dem Budget der Dorfschule und reicher Gymnasien. Dabei muß
rühmend anerkannt werden, daß alle diese Einrichtungen auf gesunderen wirth¬
schaftlichen Grundlagen ruhen, als jene glänzenden Arbeitercafinos gewisser
elsässischer Städte, welche durchweg allein durch Schenkungen der Fabrikanten
entstanden sind. Ehre freilich den Fabrikanten, die auf so edle und menschen¬
freundliche Weise ihre Mittel verwandten, aber noch mehr Ehre den deutschen
Arbeitern, die auch in diesem Stücke an der Selbsthilfe festhielten und wo sie
fremde Capitalien aufnahmen, für diese Sicherheit und Zinsen boten. Es ist
erfreulich zu sehen, daß auch die Einrichtungen dieser Art dem Bereiche des
unsicheren Wohlthätigkeitssinnes enthoben und immer mehr auf das wohl¬
verstandene und sichere Interesse aller Betheiligten begründet werden.

Zu einer Kritik der Leistungen des deutschen freiwilligen Bildungswesens
ist die Zeit noch nicht gekommen; wir betrachten es bis jetzt nur als einen
Keim, der, nachdem er die schlimmsten Zeiten seiner Entwickelung glücklich
überstanden hat, sich erst in den kommenden Friedenstagen zu einem frucht¬
tragenden Baume entfalten soll. In dieser guten Hoffnung wollen wir auf
einen Mangel aufmerksam machen, der in nächster Zeit nothwendig beseitigt
werden muß.

In früheren Jahren, wo die Wogen des politischen Lebens weniger hoch
gingen, schenkte die Localpresse dem freiwilligen Bildungswesen nicht geringe
Aufmerksamkeit. Ihre Berichte über die Thätigkeit einzelner Vereine spornten
in Nachbarorten zur Nacheiferung und streuten auf diese Weise den Samen
weiter aus. Dies hat in den letzten Jahren mehr und mehr nachgelassen,
auch war es für diejenigen, denen die Sache der freiwilligen Volksbildung am
Herzen lag. unmöglich, aus solchen einzelnen localen Berichten ein Bild von
der allgemeinen Lage der Sache und von dem Fortgange dieser Bewegung zu
gewinnen. Dazu fehlte es den Vereinen untereinander an jeglichem Zusam¬
menhang und Verkehr, sie hatten nur hin und wieder aus zufälligen Berüh¬
rungen Fühlung mit einander. An regelmäßiger Mittheilung ihrer Thätig¬
keit, an einem Austausch der gemachten Erfahrungen, an Sammlung statistischen
Materials fehlte es vollkommen. In der Rheinprovinz und Westfalen sind


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[0038] schaftlichen oder technischen Lehrfächern; 3) Herstellung von Volksbibliotheken; 4) die Veranstaltung von geselligen Vergnügungen und Unterhaltungen; 6) die Vermittelung der persönlichen Berührung zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft. In großartigem Maße sind einzelne dieser Zwecke an manchem Orte bereits erreicht worden. Außer den oben erwähnten Bibliotheken haben gewisse Vereine aus eignen Mitteln ihrer Mitglieder ausgedehnte Gebäude für die Zwecke der Lehre und der Unterhaltung eröffnet. Der Haushalt der verschie¬ denen Vereine, wie er in den jährlichen Rechenschaftsberichten erscheint, schwankt zwischen dem Budget der Dorfschule und reicher Gymnasien. Dabei muß rühmend anerkannt werden, daß alle diese Einrichtungen auf gesunderen wirth¬ schaftlichen Grundlagen ruhen, als jene glänzenden Arbeitercafinos gewisser elsässischer Städte, welche durchweg allein durch Schenkungen der Fabrikanten entstanden sind. Ehre freilich den Fabrikanten, die auf so edle und menschen¬ freundliche Weise ihre Mittel verwandten, aber noch mehr Ehre den deutschen Arbeitern, die auch in diesem Stücke an der Selbsthilfe festhielten und wo sie fremde Capitalien aufnahmen, für diese Sicherheit und Zinsen boten. Es ist erfreulich zu sehen, daß auch die Einrichtungen dieser Art dem Bereiche des unsicheren Wohlthätigkeitssinnes enthoben und immer mehr auf das wohl¬ verstandene und sichere Interesse aller Betheiligten begründet werden. Zu einer Kritik der Leistungen des deutschen freiwilligen Bildungswesens ist die Zeit noch nicht gekommen; wir betrachten es bis jetzt nur als einen Keim, der, nachdem er die schlimmsten Zeiten seiner Entwickelung glücklich überstanden hat, sich erst in den kommenden Friedenstagen zu einem frucht¬ tragenden Baume entfalten soll. In dieser guten Hoffnung wollen wir auf einen Mangel aufmerksam machen, der in nächster Zeit nothwendig beseitigt werden muß. In früheren Jahren, wo die Wogen des politischen Lebens weniger hoch gingen, schenkte die Localpresse dem freiwilligen Bildungswesen nicht geringe Aufmerksamkeit. Ihre Berichte über die Thätigkeit einzelner Vereine spornten in Nachbarorten zur Nacheiferung und streuten auf diese Weise den Samen weiter aus. Dies hat in den letzten Jahren mehr und mehr nachgelassen, auch war es für diejenigen, denen die Sache der freiwilligen Volksbildung am Herzen lag. unmöglich, aus solchen einzelnen localen Berichten ein Bild von der allgemeinen Lage der Sache und von dem Fortgange dieser Bewegung zu gewinnen. Dazu fehlte es den Vereinen untereinander an jeglichem Zusam¬ menhang und Verkehr, sie hatten nur hin und wieder aus zufälligen Berüh¬ rungen Fühlung mit einander. An regelmäßiger Mittheilung ihrer Thätig¬ keit, an einem Austausch der gemachten Erfahrungen, an Sammlung statistischen Materials fehlte es vollkommen. In der Rheinprovinz und Westfalen sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/38>, abgerufen am 26.06.2024.