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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Demagogen? Im Wupperthale war es, wo inmitten einer geistig um-
"achteten Arbeiterbevölkerung Herr Schwerer das Wort gesprochen hat: "Bil¬
dung? Was thu' ich mit Bildung! Ein Beefsteak ist mir lieber." Es sind
die in die socialistische Sprache übersetzten Gedanken Falstaff's über die Ehre.
In den industriellen Bezirken wirkte diese Bewegung auf die Bildungsvereine
wahrhaft zersetzend. Ein Theil der Arbeiter trat aus; ein zurückbleibender
trug die Spaltung in den Verein selbst hinein und suchte jede Gelegenheit,
um in das socialistische Fahrwasser einzulenken; Unbefriedigung trat ein bei
denen, die nach wirklicher geistiger Nahrung anstatt nach unfruchtbaren Theo¬
rien verlangten, endlich wurden oft diejenigen besitzenden Mitglieder, welche
aus Liebe zar Sache die größten Opfer an Geld und Zeit gebracht hatten
mit Mißtrauen angesehen und ihnen ihr uneigennütziges Bemühen verleidet.*)

Die socialistische Agitation hat unserer Meinung nach dem freiwilligen
Bildungswesen eine tiefere Wunde beigebracht, als irgend etwas Anderes; sie
hat dem Volke die Wissenschaft selbst, die sich ihren Träumereien und ehr¬
geizigen Plänen gegenüber nicht zu Magddiensten verstehen wollte, verächtlich
gemacht, sie hat den Bildungsvereinen gerade die unterste Schicht ihrer Theil-
nehmer entzogen, die der Pflege und Förderung am bedürftigsten waren.
Denn von allen Einwürfen, die wir gegen die Thätigkeit dieser Vereine ge¬
hört haben und die nur allzu oft der Mattherzigkeit, geistiger Trägheit und
Furcht entsprangen, schien uns bis jetzt nur der eine wahrhaft gewichtig, daß
sie nicht bis in diejenigen Schichten der armen, gedrückten, unwissenden Be¬
völkerung hinabzubringen vermöchten, für deren Befreiung, Aufklärung und Er¬
hebung sie eigentlich bestimmt sind. Hier ist das Palladium, tief im Staube
und Schlamm, um das es den Kampf gilt mit Herrn Schweitzer und Ge¬
nossen, und wir glauben die deutsche Wissenschaft, die Menschen- und Bürger¬
liche darf getrost in diesen Kampf eintreten!

Welches sind denn nun die Ziele und Zwecke, welche sich das freiwillige
Bildungswesen in Deutschland, bei aller Verschiedenheit der einzelnen Vereine
im Allgemeinen gesteckt hat? Wenn man die Hunderte von Satzungen dersel¬
ben durchgeht, so treten fünf Punkte heraus, welche fast alle mit einander
gemein haben. 1) Die Verbreitung allgemeiner geistiger und sittlicher Bil¬
dung bei den Mitgliedern; 2) Gelegenheit zur Ausbildung in einzelnen wissen-



So sehr die banausische Polemik des Herrn Schweitzer gegen das freiwillige Bildungswesen
auch sein sociales System charakterisirt, dessen wirksamstes Ucbcrredungsmittel der Knüttel ist,
so wird doch Seiten der sogenannten "Volkspartei", die in den Namen ihrer "Führer" Bebel
und Liebknecht jene hcrostrotische Berühmtheit erlangt hat, noch frivoler mit dem ihrerseits
vorgefundenen Bildungswesen umgesprungen. Diese Partei benutzte die Firma der alten ehr¬
baren Bildungsvereine, um diese Kreise zur sclavischcn Bewunderung ihrer undeutschen Bnhl-
künste mit dem internationalen Jacobinismus abzurichten, und manche gute deutsche Stadt
gibt auch noch, aus alter Gewohnheit, Geld sür diese "Bildungsvcreine" der Volkspartei her.
D. Red.

Demagogen? Im Wupperthale war es, wo inmitten einer geistig um-
»achteten Arbeiterbevölkerung Herr Schwerer das Wort gesprochen hat: „Bil¬
dung? Was thu' ich mit Bildung! Ein Beefsteak ist mir lieber." Es sind
die in die socialistische Sprache übersetzten Gedanken Falstaff's über die Ehre.
In den industriellen Bezirken wirkte diese Bewegung auf die Bildungsvereine
wahrhaft zersetzend. Ein Theil der Arbeiter trat aus; ein zurückbleibender
trug die Spaltung in den Verein selbst hinein und suchte jede Gelegenheit,
um in das socialistische Fahrwasser einzulenken; Unbefriedigung trat ein bei
denen, die nach wirklicher geistiger Nahrung anstatt nach unfruchtbaren Theo¬
rien verlangten, endlich wurden oft diejenigen besitzenden Mitglieder, welche
aus Liebe zar Sache die größten Opfer an Geld und Zeit gebracht hatten
mit Mißtrauen angesehen und ihnen ihr uneigennütziges Bemühen verleidet.*)

Die socialistische Agitation hat unserer Meinung nach dem freiwilligen
Bildungswesen eine tiefere Wunde beigebracht, als irgend etwas Anderes; sie
hat dem Volke die Wissenschaft selbst, die sich ihren Träumereien und ehr¬
geizigen Plänen gegenüber nicht zu Magddiensten verstehen wollte, verächtlich
gemacht, sie hat den Bildungsvereinen gerade die unterste Schicht ihrer Theil-
nehmer entzogen, die der Pflege und Förderung am bedürftigsten waren.
Denn von allen Einwürfen, die wir gegen die Thätigkeit dieser Vereine ge¬
hört haben und die nur allzu oft der Mattherzigkeit, geistiger Trägheit und
Furcht entsprangen, schien uns bis jetzt nur der eine wahrhaft gewichtig, daß
sie nicht bis in diejenigen Schichten der armen, gedrückten, unwissenden Be¬
völkerung hinabzubringen vermöchten, für deren Befreiung, Aufklärung und Er¬
hebung sie eigentlich bestimmt sind. Hier ist das Palladium, tief im Staube
und Schlamm, um das es den Kampf gilt mit Herrn Schweitzer und Ge¬
nossen, und wir glauben die deutsche Wissenschaft, die Menschen- und Bürger¬
liche darf getrost in diesen Kampf eintreten!

Welches sind denn nun die Ziele und Zwecke, welche sich das freiwillige
Bildungswesen in Deutschland, bei aller Verschiedenheit der einzelnen Vereine
im Allgemeinen gesteckt hat? Wenn man die Hunderte von Satzungen dersel¬
ben durchgeht, so treten fünf Punkte heraus, welche fast alle mit einander
gemein haben. 1) Die Verbreitung allgemeiner geistiger und sittlicher Bil¬
dung bei den Mitgliedern; 2) Gelegenheit zur Ausbildung in einzelnen wissen-



So sehr die banausische Polemik des Herrn Schweitzer gegen das freiwillige Bildungswesen
auch sein sociales System charakterisirt, dessen wirksamstes Ucbcrredungsmittel der Knüttel ist,
so wird doch Seiten der sogenannten „Volkspartei", die in den Namen ihrer „Führer" Bebel
und Liebknecht jene hcrostrotische Berühmtheit erlangt hat, noch frivoler mit dem ihrerseits
vorgefundenen Bildungswesen umgesprungen. Diese Partei benutzte die Firma der alten ehr¬
baren Bildungsvereine, um diese Kreise zur sclavischcn Bewunderung ihrer undeutschen Bnhl-
künste mit dem internationalen Jacobinismus abzurichten, und manche gute deutsche Stadt
gibt auch noch, aus alter Gewohnheit, Geld sür diese „Bildungsvcreine" der Volkspartei her.
D. Red.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/37>, abgerufen am 22.07.2024.