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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Mit einem Male tragen Hunderte zugleich die frohe Gewißheit des Friedens
durch die Straßen. In wetteifernder Eile werden die Fahnen aufgezogen.
Dann erscheint in Maueranschlägen und zahllosen Extrablättern die Friedens¬
botschaft des Kaisers an seine Gemahlin: "Mit tiefbewegten Herzen, mit
Dankbarkeit gegen Gottes Gnade zeige ich Dir an, daß soeben die Friedens¬
präliminarien unterzeichnet worden sind. Nun ist noch die Einwilligung der
Nationalversammlung in Bordeaux abzuwarten." Gleichzeitig erfährt man
die bis zu dieser Stunde schwankenden Bedingungen des Friedens: Die Ab¬
tretung von Elsaß außer Belfort, von Deutsch-Lothringen einschließlich Metz;
eine Kriegsentschädigung von 3 Milliarden Francs oder I V3 Milliarde Thaler;
Besetzung des Feindeslandes bis zur Tilgung der Summe, wozu dem Feinde
drei Jahre Zeit vergönnt werden. -- Nun schwillt immer ansehnlicher die
fluthende Menge, die mit dem Fahnenwald zusammenwächst in eine dichte
wallende Masse. Das ist kein Werktag mehr, und kein gewöhnliches Festtags¬
gewühl. Nur hohe Gedenk- und Feiertage unserer Geschichte und etwa der Freuden¬
tag über die Capitulation von Sedan hatten Aehnliches aufzuweisen. Seitdem wir
in diesen Mauern die fünfzigjährige Feier der großen Völkerschlacht erlebten, wo die
Veteranen der Freiheitskriege in den verschollenen Uniformen der Lützow'schen
Jäger und der Schill'schen Husaren von den Octobertagen erzählten, da einst hier die
Weltmacht des corsischen Tyrannen gebrochen wurde, haben wir nichts Aehnliches
gesehen. Aber ein anderer Geist als damals beseelt die Tausende der heutigen Sieges¬
und Friedensfeier. Was dem Deutschen damals freimüthig beim Gläserklang als
höchstes Ziel der Zukunft seines Staates über die Lippen kam, das ist
heute in der Verfassung des Reichs das feste Staatsgrundgesetz aller deutschen
Stämme geworden. Was damals schüchtern der Kühnste begehrte, die Ein¬
treibung der alten vergessenen deutschen Forderungen auf die Berge des Wasgau,
die Niederungen der lothringischen Mosel, Straßburg und Metz, die alten
Reichsvesten wider den Erbfeind, ist uns im Frieden nach Jahrhunderten
wieder zurückgegeben. Und wieder wie damals weilen manche der Helden
unter uns, die mit ihrem Blute Deutschland diese stolzeste Stunde herauf¬
führten; es sind jugendliche Gestalten, die, wenn auch verstümmelt und mit
Narben bedeckt, doch berufen sind, manchem der Heranwachsenden noch mit
ihren ruhmvollen Wunden zu künden die Größe dieser Tage, und den Ernst
der Pflichten, welche sie uns und den Nachlebenden gebieten.

"Mit tiefbewegten Herzen, und mit Dankbarkeit für Gottes Gnade"
nur können wir, Kämpfer und Nichttampser, die Kunde dieses Friedens hin¬
nehmen, den unsre Waffen unter Gottes unwandelbaren Beistand uns be¬
reiteten. In diesem demüthigen innigen Aufblick zu dem höchsten Lenker der
Schlachten ist unser ganzes Volk, Fürst, Heer und Bürger einig gewesen von
dem ersten Tage an, da in unser friedliches Schaffen die freche Kriegsdrohung


Mit einem Male tragen Hunderte zugleich die frohe Gewißheit des Friedens
durch die Straßen. In wetteifernder Eile werden die Fahnen aufgezogen.
Dann erscheint in Maueranschlägen und zahllosen Extrablättern die Friedens¬
botschaft des Kaisers an seine Gemahlin: „Mit tiefbewegten Herzen, mit
Dankbarkeit gegen Gottes Gnade zeige ich Dir an, daß soeben die Friedens¬
präliminarien unterzeichnet worden sind. Nun ist noch die Einwilligung der
Nationalversammlung in Bordeaux abzuwarten." Gleichzeitig erfährt man
die bis zu dieser Stunde schwankenden Bedingungen des Friedens: Die Ab¬
tretung von Elsaß außer Belfort, von Deutsch-Lothringen einschließlich Metz;
eine Kriegsentschädigung von 3 Milliarden Francs oder I V3 Milliarde Thaler;
Besetzung des Feindeslandes bis zur Tilgung der Summe, wozu dem Feinde
drei Jahre Zeit vergönnt werden. — Nun schwillt immer ansehnlicher die
fluthende Menge, die mit dem Fahnenwald zusammenwächst in eine dichte
wallende Masse. Das ist kein Werktag mehr, und kein gewöhnliches Festtags¬
gewühl. Nur hohe Gedenk- und Feiertage unserer Geschichte und etwa der Freuden¬
tag über die Capitulation von Sedan hatten Aehnliches aufzuweisen. Seitdem wir
in diesen Mauern die fünfzigjährige Feier der großen Völkerschlacht erlebten, wo die
Veteranen der Freiheitskriege in den verschollenen Uniformen der Lützow'schen
Jäger und der Schill'schen Husaren von den Octobertagen erzählten, da einst hier die
Weltmacht des corsischen Tyrannen gebrochen wurde, haben wir nichts Aehnliches
gesehen. Aber ein anderer Geist als damals beseelt die Tausende der heutigen Sieges¬
und Friedensfeier. Was dem Deutschen damals freimüthig beim Gläserklang als
höchstes Ziel der Zukunft seines Staates über die Lippen kam, das ist
heute in der Verfassung des Reichs das feste Staatsgrundgesetz aller deutschen
Stämme geworden. Was damals schüchtern der Kühnste begehrte, die Ein¬
treibung der alten vergessenen deutschen Forderungen auf die Berge des Wasgau,
die Niederungen der lothringischen Mosel, Straßburg und Metz, die alten
Reichsvesten wider den Erbfeind, ist uns im Frieden nach Jahrhunderten
wieder zurückgegeben. Und wieder wie damals weilen manche der Helden
unter uns, die mit ihrem Blute Deutschland diese stolzeste Stunde herauf¬
führten; es sind jugendliche Gestalten, die, wenn auch verstümmelt und mit
Narben bedeckt, doch berufen sind, manchem der Heranwachsenden noch mit
ihren ruhmvollen Wunden zu künden die Größe dieser Tage, und den Ernst
der Pflichten, welche sie uns und den Nachlebenden gebieten.

„Mit tiefbewegten Herzen, und mit Dankbarkeit für Gottes Gnade"
nur können wir, Kämpfer und Nichttampser, die Kunde dieses Friedens hin¬
nehmen, den unsre Waffen unter Gottes unwandelbaren Beistand uns be¬
reiteten. In diesem demüthigen innigen Aufblick zu dem höchsten Lenker der
Schlachten ist unser ganzes Volk, Fürst, Heer und Bürger einig gewesen von
dem ersten Tage an, da in unser friedliches Schaffen die freche Kriegsdrohung


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[0374] Mit einem Male tragen Hunderte zugleich die frohe Gewißheit des Friedens durch die Straßen. In wetteifernder Eile werden die Fahnen aufgezogen. Dann erscheint in Maueranschlägen und zahllosen Extrablättern die Friedens¬ botschaft des Kaisers an seine Gemahlin: „Mit tiefbewegten Herzen, mit Dankbarkeit gegen Gottes Gnade zeige ich Dir an, daß soeben die Friedens¬ präliminarien unterzeichnet worden sind. Nun ist noch die Einwilligung der Nationalversammlung in Bordeaux abzuwarten." Gleichzeitig erfährt man die bis zu dieser Stunde schwankenden Bedingungen des Friedens: Die Ab¬ tretung von Elsaß außer Belfort, von Deutsch-Lothringen einschließlich Metz; eine Kriegsentschädigung von 3 Milliarden Francs oder I V3 Milliarde Thaler; Besetzung des Feindeslandes bis zur Tilgung der Summe, wozu dem Feinde drei Jahre Zeit vergönnt werden. — Nun schwillt immer ansehnlicher die fluthende Menge, die mit dem Fahnenwald zusammenwächst in eine dichte wallende Masse. Das ist kein Werktag mehr, und kein gewöhnliches Festtags¬ gewühl. Nur hohe Gedenk- und Feiertage unserer Geschichte und etwa der Freuden¬ tag über die Capitulation von Sedan hatten Aehnliches aufzuweisen. Seitdem wir in diesen Mauern die fünfzigjährige Feier der großen Völkerschlacht erlebten, wo die Veteranen der Freiheitskriege in den verschollenen Uniformen der Lützow'schen Jäger und der Schill'schen Husaren von den Octobertagen erzählten, da einst hier die Weltmacht des corsischen Tyrannen gebrochen wurde, haben wir nichts Aehnliches gesehen. Aber ein anderer Geist als damals beseelt die Tausende der heutigen Sieges¬ und Friedensfeier. Was dem Deutschen damals freimüthig beim Gläserklang als höchstes Ziel der Zukunft seines Staates über die Lippen kam, das ist heute in der Verfassung des Reichs das feste Staatsgrundgesetz aller deutschen Stämme geworden. Was damals schüchtern der Kühnste begehrte, die Ein¬ treibung der alten vergessenen deutschen Forderungen auf die Berge des Wasgau, die Niederungen der lothringischen Mosel, Straßburg und Metz, die alten Reichsvesten wider den Erbfeind, ist uns im Frieden nach Jahrhunderten wieder zurückgegeben. Und wieder wie damals weilen manche der Helden unter uns, die mit ihrem Blute Deutschland diese stolzeste Stunde herauf¬ führten; es sind jugendliche Gestalten, die, wenn auch verstümmelt und mit Narben bedeckt, doch berufen sind, manchem der Heranwachsenden noch mit ihren ruhmvollen Wunden zu künden die Größe dieser Tage, und den Ernst der Pflichten, welche sie uns und den Nachlebenden gebieten. „Mit tiefbewegten Herzen, und mit Dankbarkeit für Gottes Gnade" nur können wir, Kämpfer und Nichttampser, die Kunde dieses Friedens hin¬ nehmen, den unsre Waffen unter Gottes unwandelbaren Beistand uns be¬ reiteten. In diesem demüthigen innigen Aufblick zu dem höchsten Lenker der Schlachten ist unser ganzes Volk, Fürst, Heer und Bürger einig gewesen von dem ersten Tage an, da in unser friedliches Schaffen die freche Kriegsdrohung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/374>, abgerufen am 26.06.2024.