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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Inzwischen hatte schon die revolutionäre Partei das Haupt erhoben und
eine in Anagni gedruckte Proclamation in Rom verbreitet. In derselben
heißt es u. A.: Römer! Es sind nun 21 Jahre, daß Ihr die Republik pro-
clamirt und so für die Zukunft Italiens und der Welt gewirkt habt. Die
brutale Gewalt hat uns besiegt und wir ertrugen 10 Jahre hindurch ihre
Verfolgungen. Man sprach von der Wiedergeburt Italiens, aber seine Haupt¬
stadt blieb die Sklavin der Priester. Wir setzten unsere Hoffnung auf einen
König, der wenigstens in seinem eigenen Interesse, wenn nicht in unserm,
alle Italiener gleichstellen sollte. Wir haben uns bitter getäuscht. Monar¬
chischen Traditionen treu, bedürfte er der Priester, und unterzeichnete einen
Vertrag der Theilung mit Zuaven und Antiboinern, welche Euch mit Plün¬
derung bedrohten. . . Die Proclamation spricht nun von Garibaldi, von
Frankreichs und Spaniens Umwälzungen und fordert die Römer auf, sich zu
erheben, da man überall in Italien auf das Signal von Rom warte, auch
die Soldaten, welche sich verurtheilt sähen, auf die Mitbürger zu schießen.
Am Schlüsse heißt es: "Wir haben Geld und Waffen, und werden sie jedem
geben, der sein Leben für das Vaterland einsetzen will." Man sieht, auch in
dieser großen Stunde die alten leeren Prahlereien der Mazzinisten, den un¬
belehrbarer Haß gegen die nationale Monarchie, die allein helfen konnte!

Es kam auch in einzelnen Orten zu Erhebungen, wie in Bomarzo, Gal-
leno, Farnese, wo provisorische Junten eingesetzt wurden. In Rom fanden
Volksversammlungen statt, gegen welche die Polizei nicht einschritt, obwohl
bereits die Absicht derselben bekannt geworden war, die staatsrechtliche Auf¬
hebung der päpstlichen Regierung auszusprechen. Die Einwohner wurden
von den Zuaven terrorisirt, die sich wie Herren der Stadt benahmen und
gegen den Befehl das Feuer gegen die heranrückenden Vorposten der italie¬
nischen Truppen zu eröffnen wagten, welches von diesen jedoch nicht erwidert
ward. Sobald die italienische Armee sich vor der Hauptstadt aufgestellt
hatte, suchte der norddeutsche Gesandte von Arnim eine Vermittelung her¬
beizuführen, wodurch eine Pause von mehreren Tagen eintrat, während welcher
der General Kanzler die mehrmalige Aufforderung Cadornas, Rom zu über¬
geben, zurückwies. Im Vatikan war das diplomatische Corps versammelt, in
dessen Gegenwart gegen den Einmarsch der italienischen Truppen protestirt
wurde.

Man hat in Italien und anderwärts Angesichts der großartigen Schlach¬
ten und Siege, welche eben auf französischem Boden geschlagen wurden, für
höchst komisch gehalten, mit welchem Pathos die italienischen Blätter die
Operationen ihrer Truppen im Kirchenstaate verfolgten und Siegesbulletins
brachten. Jede Gendarmerie-Patrouille, welche ,die Waffen streckt, jeder päpst¬
liche Zuave, welcher auf der Flucht sein Gewehr auf die nachrückenden Co-


Grmzlwten l. 187l. 46

Inzwischen hatte schon die revolutionäre Partei das Haupt erhoben und
eine in Anagni gedruckte Proclamation in Rom verbreitet. In derselben
heißt es u. A.: Römer! Es sind nun 21 Jahre, daß Ihr die Republik pro-
clamirt und so für die Zukunft Italiens und der Welt gewirkt habt. Die
brutale Gewalt hat uns besiegt und wir ertrugen 10 Jahre hindurch ihre
Verfolgungen. Man sprach von der Wiedergeburt Italiens, aber seine Haupt¬
stadt blieb die Sklavin der Priester. Wir setzten unsere Hoffnung auf einen
König, der wenigstens in seinem eigenen Interesse, wenn nicht in unserm,
alle Italiener gleichstellen sollte. Wir haben uns bitter getäuscht. Monar¬
chischen Traditionen treu, bedürfte er der Priester, und unterzeichnete einen
Vertrag der Theilung mit Zuaven und Antiboinern, welche Euch mit Plün¬
derung bedrohten. . . Die Proclamation spricht nun von Garibaldi, von
Frankreichs und Spaniens Umwälzungen und fordert die Römer auf, sich zu
erheben, da man überall in Italien auf das Signal von Rom warte, auch
die Soldaten, welche sich verurtheilt sähen, auf die Mitbürger zu schießen.
Am Schlüsse heißt es: „Wir haben Geld und Waffen, und werden sie jedem
geben, der sein Leben für das Vaterland einsetzen will." Man sieht, auch in
dieser großen Stunde die alten leeren Prahlereien der Mazzinisten, den un¬
belehrbarer Haß gegen die nationale Monarchie, die allein helfen konnte!

Es kam auch in einzelnen Orten zu Erhebungen, wie in Bomarzo, Gal-
leno, Farnese, wo provisorische Junten eingesetzt wurden. In Rom fanden
Volksversammlungen statt, gegen welche die Polizei nicht einschritt, obwohl
bereits die Absicht derselben bekannt geworden war, die staatsrechtliche Auf¬
hebung der päpstlichen Regierung auszusprechen. Die Einwohner wurden
von den Zuaven terrorisirt, die sich wie Herren der Stadt benahmen und
gegen den Befehl das Feuer gegen die heranrückenden Vorposten der italie¬
nischen Truppen zu eröffnen wagten, welches von diesen jedoch nicht erwidert
ward. Sobald die italienische Armee sich vor der Hauptstadt aufgestellt
hatte, suchte der norddeutsche Gesandte von Arnim eine Vermittelung her¬
beizuführen, wodurch eine Pause von mehreren Tagen eintrat, während welcher
der General Kanzler die mehrmalige Aufforderung Cadornas, Rom zu über¬
geben, zurückwies. Im Vatikan war das diplomatische Corps versammelt, in
dessen Gegenwart gegen den Einmarsch der italienischen Truppen protestirt
wurde.

Man hat in Italien und anderwärts Angesichts der großartigen Schlach¬
ten und Siege, welche eben auf französischem Boden geschlagen wurden, für
höchst komisch gehalten, mit welchem Pathos die italienischen Blätter die
Operationen ihrer Truppen im Kirchenstaate verfolgten und Siegesbulletins
brachten. Jede Gendarmerie-Patrouille, welche ,die Waffen streckt, jeder päpst¬
liche Zuave, welcher auf der Flucht sein Gewehr auf die nachrückenden Co-


Grmzlwten l. 187l. 46
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[0365] Inzwischen hatte schon die revolutionäre Partei das Haupt erhoben und eine in Anagni gedruckte Proclamation in Rom verbreitet. In derselben heißt es u. A.: Römer! Es sind nun 21 Jahre, daß Ihr die Republik pro- clamirt und so für die Zukunft Italiens und der Welt gewirkt habt. Die brutale Gewalt hat uns besiegt und wir ertrugen 10 Jahre hindurch ihre Verfolgungen. Man sprach von der Wiedergeburt Italiens, aber seine Haupt¬ stadt blieb die Sklavin der Priester. Wir setzten unsere Hoffnung auf einen König, der wenigstens in seinem eigenen Interesse, wenn nicht in unserm, alle Italiener gleichstellen sollte. Wir haben uns bitter getäuscht. Monar¬ chischen Traditionen treu, bedürfte er der Priester, und unterzeichnete einen Vertrag der Theilung mit Zuaven und Antiboinern, welche Euch mit Plün¬ derung bedrohten. . . Die Proclamation spricht nun von Garibaldi, von Frankreichs und Spaniens Umwälzungen und fordert die Römer auf, sich zu erheben, da man überall in Italien auf das Signal von Rom warte, auch die Soldaten, welche sich verurtheilt sähen, auf die Mitbürger zu schießen. Am Schlüsse heißt es: „Wir haben Geld und Waffen, und werden sie jedem geben, der sein Leben für das Vaterland einsetzen will." Man sieht, auch in dieser großen Stunde die alten leeren Prahlereien der Mazzinisten, den un¬ belehrbarer Haß gegen die nationale Monarchie, die allein helfen konnte! Es kam auch in einzelnen Orten zu Erhebungen, wie in Bomarzo, Gal- leno, Farnese, wo provisorische Junten eingesetzt wurden. In Rom fanden Volksversammlungen statt, gegen welche die Polizei nicht einschritt, obwohl bereits die Absicht derselben bekannt geworden war, die staatsrechtliche Auf¬ hebung der päpstlichen Regierung auszusprechen. Die Einwohner wurden von den Zuaven terrorisirt, die sich wie Herren der Stadt benahmen und gegen den Befehl das Feuer gegen die heranrückenden Vorposten der italie¬ nischen Truppen zu eröffnen wagten, welches von diesen jedoch nicht erwidert ward. Sobald die italienische Armee sich vor der Hauptstadt aufgestellt hatte, suchte der norddeutsche Gesandte von Arnim eine Vermittelung her¬ beizuführen, wodurch eine Pause von mehreren Tagen eintrat, während welcher der General Kanzler die mehrmalige Aufforderung Cadornas, Rom zu über¬ geben, zurückwies. Im Vatikan war das diplomatische Corps versammelt, in dessen Gegenwart gegen den Einmarsch der italienischen Truppen protestirt wurde. Man hat in Italien und anderwärts Angesichts der großartigen Schlach¬ ten und Siege, welche eben auf französischem Boden geschlagen wurden, für höchst komisch gehalten, mit welchem Pathos die italienischen Blätter die Operationen ihrer Truppen im Kirchenstaate verfolgten und Siegesbulletins brachten. Jede Gendarmerie-Patrouille, welche ,die Waffen streckt, jeder päpst¬ liche Zuave, welcher auf der Flucht sein Gewehr auf die nachrückenden Co- Grmzlwten l. 187l. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/365>, abgerufen am 26.06.2024.