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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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damit zu schaffen haben, da unsere Garantie der Neutralität nach englischem
Begriff ja schon verfallen ist. Hätte die Presse in England nicht mit so ma߬
loser Uebertreibung von der Sache geredet, dann wäre sie hier wohl, ohne
Eindruck zu machen, kaum bemerkt vorüber gegangen. Indessen hat sie, ob¬
gleich sich herausgestellt hat daß von einem Vertragsbruch nicht die Rede
sein kann, der hiesigen Prusfophobie neue Nahrung gegeben.

Merkwürdig ist, zu welchen Abgeschmacktheiten diese Furcht, ja dieser
Haß die Leute treibt. So hat man z. B. einen Defensivbund zwischen Eng¬
land, Belgien, Holland und Scandinavien vorgeschlagen, und unsere Zei¬
tungen redeten allen Ernstes davon. Die Ultramontanen behaupten, bei Ein¬
führung der allgemeinen Wehrpflicht bei uns, könnte Preußen sich derselben
zur Erreichung seiner eigenen Zwecke bedienen. Denn daß Preußen uns
annectiren will, kann man den Leuten nicht aus dem Sinn reden, das bildet
einen Glaubensartikel des richtigen Holländers. Aber eben diese Furcht ist
Frucht und Zeugniß der eigenen, innern Schwäche. Das Nationalitätsgefühl
äußert sich in der Abneigung und in der Mißgunst gegen den Mächtigern,
und nicht in dem ruhigen Bewußtsein des Willens, das Vaterland mit auf¬
opfernder Hingebung zu vertheidigen, welches die sittliche Kraft verleiht, auch
dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man verdächtigt lieber den
Gegner, und streut unwahre Berichte über ihn aus, oder stellt sein Beneh¬
men in ein falsches Licht. Trotzdem sich herausgestellt hat, daß die dem
Grafen Bismarck untergeschobene Absicht, Luxemburg sofort einzuverleiben,
sich nicht bewahrheitet bat, so läßt man dennoch die Beschuldigung nicht
fallen. Man weiß sich zu helfen; man nimmt einfach an, die Absicht habe
bestanden, aber die Ausführung sei verhindert worden. Zu bedauern ist,
daß durch solche unehrliche Mittel das Mißtrauen gegen Deutschland genährt
wird. Wir haben uns bisher nicht im Geringsten über irgend eine unfreund¬
liche That unseres mächtigen Nachbarn zu beklagen gehabt; bleibt aber un¬
sere Abneigung bestehen, dann ist ihm nicht übel zu nehmen, wenn künftig
seine guten Gesinnungen sich ändern. Man kann ein guter Niederländer sein,
und anderen Nationen dennoch Recht widerfahren lassen. Unsere ganze Hal¬
tung aber bei dem gegenwärtigen Krieg ist die der Charakterlosigkeit und
Schwäche, die bei uns überall herrschen. Man hat nicht den Muth, sich zu
Gunsten Frankreichs zu erklären, und doch verurtheilt man die Deutschen.
Zerfahrenheit, Halbheit ist unser Loos, deren Quell der Verfall der sittlichen
Würde ist.

Verleumdung ist eine verabscheuungswürdige Waffe, ein scheußliches Laster,
wie der Berliner sagen würde. Daß dieselbe von den Holländern so gern ge¬
braucht wird, zeigt, wie weit französische Civilisation auch bei uns durch¬
gedrungen ist. Germanische Treue und Ehrlichkeit hat welscher Lügenhaftig-


damit zu schaffen haben, da unsere Garantie der Neutralität nach englischem
Begriff ja schon verfallen ist. Hätte die Presse in England nicht mit so ma߬
loser Uebertreibung von der Sache geredet, dann wäre sie hier wohl, ohne
Eindruck zu machen, kaum bemerkt vorüber gegangen. Indessen hat sie, ob¬
gleich sich herausgestellt hat daß von einem Vertragsbruch nicht die Rede
sein kann, der hiesigen Prusfophobie neue Nahrung gegeben.

Merkwürdig ist, zu welchen Abgeschmacktheiten diese Furcht, ja dieser
Haß die Leute treibt. So hat man z. B. einen Defensivbund zwischen Eng¬
land, Belgien, Holland und Scandinavien vorgeschlagen, und unsere Zei¬
tungen redeten allen Ernstes davon. Die Ultramontanen behaupten, bei Ein¬
führung der allgemeinen Wehrpflicht bei uns, könnte Preußen sich derselben
zur Erreichung seiner eigenen Zwecke bedienen. Denn daß Preußen uns
annectiren will, kann man den Leuten nicht aus dem Sinn reden, das bildet
einen Glaubensartikel des richtigen Holländers. Aber eben diese Furcht ist
Frucht und Zeugniß der eigenen, innern Schwäche. Das Nationalitätsgefühl
äußert sich in der Abneigung und in der Mißgunst gegen den Mächtigern,
und nicht in dem ruhigen Bewußtsein des Willens, das Vaterland mit auf¬
opfernder Hingebung zu vertheidigen, welches die sittliche Kraft verleiht, auch
dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man verdächtigt lieber den
Gegner, und streut unwahre Berichte über ihn aus, oder stellt sein Beneh¬
men in ein falsches Licht. Trotzdem sich herausgestellt hat, daß die dem
Grafen Bismarck untergeschobene Absicht, Luxemburg sofort einzuverleiben,
sich nicht bewahrheitet bat, so läßt man dennoch die Beschuldigung nicht
fallen. Man weiß sich zu helfen; man nimmt einfach an, die Absicht habe
bestanden, aber die Ausführung sei verhindert worden. Zu bedauern ist,
daß durch solche unehrliche Mittel das Mißtrauen gegen Deutschland genährt
wird. Wir haben uns bisher nicht im Geringsten über irgend eine unfreund¬
liche That unseres mächtigen Nachbarn zu beklagen gehabt; bleibt aber un¬
sere Abneigung bestehen, dann ist ihm nicht übel zu nehmen, wenn künftig
seine guten Gesinnungen sich ändern. Man kann ein guter Niederländer sein,
und anderen Nationen dennoch Recht widerfahren lassen. Unsere ganze Hal¬
tung aber bei dem gegenwärtigen Krieg ist die der Charakterlosigkeit und
Schwäche, die bei uns überall herrschen. Man hat nicht den Muth, sich zu
Gunsten Frankreichs zu erklären, und doch verurtheilt man die Deutschen.
Zerfahrenheit, Halbheit ist unser Loos, deren Quell der Verfall der sittlichen
Würde ist.

Verleumdung ist eine verabscheuungswürdige Waffe, ein scheußliches Laster,
wie der Berliner sagen würde. Daß dieselbe von den Holländern so gern ge¬
braucht wird, zeigt, wie weit französische Civilisation auch bei uns durch¬
gedrungen ist. Germanische Treue und Ehrlichkeit hat welscher Lügenhaftig-


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[0327] damit zu schaffen haben, da unsere Garantie der Neutralität nach englischem Begriff ja schon verfallen ist. Hätte die Presse in England nicht mit so ma߬ loser Uebertreibung von der Sache geredet, dann wäre sie hier wohl, ohne Eindruck zu machen, kaum bemerkt vorüber gegangen. Indessen hat sie, ob¬ gleich sich herausgestellt hat daß von einem Vertragsbruch nicht die Rede sein kann, der hiesigen Prusfophobie neue Nahrung gegeben. Merkwürdig ist, zu welchen Abgeschmacktheiten diese Furcht, ja dieser Haß die Leute treibt. So hat man z. B. einen Defensivbund zwischen Eng¬ land, Belgien, Holland und Scandinavien vorgeschlagen, und unsere Zei¬ tungen redeten allen Ernstes davon. Die Ultramontanen behaupten, bei Ein¬ führung der allgemeinen Wehrpflicht bei uns, könnte Preußen sich derselben zur Erreichung seiner eigenen Zwecke bedienen. Denn daß Preußen uns annectiren will, kann man den Leuten nicht aus dem Sinn reden, das bildet einen Glaubensartikel des richtigen Holländers. Aber eben diese Furcht ist Frucht und Zeugniß der eigenen, innern Schwäche. Das Nationalitätsgefühl äußert sich in der Abneigung und in der Mißgunst gegen den Mächtigern, und nicht in dem ruhigen Bewußtsein des Willens, das Vaterland mit auf¬ opfernder Hingebung zu vertheidigen, welches die sittliche Kraft verleiht, auch dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man verdächtigt lieber den Gegner, und streut unwahre Berichte über ihn aus, oder stellt sein Beneh¬ men in ein falsches Licht. Trotzdem sich herausgestellt hat, daß die dem Grafen Bismarck untergeschobene Absicht, Luxemburg sofort einzuverleiben, sich nicht bewahrheitet bat, so läßt man dennoch die Beschuldigung nicht fallen. Man weiß sich zu helfen; man nimmt einfach an, die Absicht habe bestanden, aber die Ausführung sei verhindert worden. Zu bedauern ist, daß durch solche unehrliche Mittel das Mißtrauen gegen Deutschland genährt wird. Wir haben uns bisher nicht im Geringsten über irgend eine unfreund¬ liche That unseres mächtigen Nachbarn zu beklagen gehabt; bleibt aber un¬ sere Abneigung bestehen, dann ist ihm nicht übel zu nehmen, wenn künftig seine guten Gesinnungen sich ändern. Man kann ein guter Niederländer sein, und anderen Nationen dennoch Recht widerfahren lassen. Unsere ganze Hal¬ tung aber bei dem gegenwärtigen Krieg ist die der Charakterlosigkeit und Schwäche, die bei uns überall herrschen. Man hat nicht den Muth, sich zu Gunsten Frankreichs zu erklären, und doch verurtheilt man die Deutschen. Zerfahrenheit, Halbheit ist unser Loos, deren Quell der Verfall der sittlichen Würde ist. Verleumdung ist eine verabscheuungswürdige Waffe, ein scheußliches Laster, wie der Berliner sagen würde. Daß dieselbe von den Holländern so gern ge¬ braucht wird, zeigt, wie weit französische Civilisation auch bei uns durch¬ gedrungen ist. Germanische Treue und Ehrlichkeit hat welscher Lügenhaftig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/327>, abgerufen am 28.09.2024.