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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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reichs zum Großherzogthum großentheils unbegreiflich sein. Daß die Holländer
für die Person ihres Königs so wenig Sympathien fühlen, daß ihnen die In¬
teressen ihres Fürsten so gleichgiltig sind, wird Manchem unverständlich sein.
Der altdeutsche Zug der persönlichen Hingebung des Dienstmanns an den
Herrn, des Unterthanen an den Fürsten, ist dem Holländer fremd. Sein stark
entwickelter Egoismus tritt überall hervor und zieht sich als rother Faden
durch seine ganze Geschichte. Immer kleinliche, selbstsüchtige Händel zwischen
Städten, Provinzen, Volk und Statthalter oder Fürst, die nur in den Zeiten
der äußersten Noth für kurze Zeit ruhen. Die Sympathie für das Haus
Oranien ist innig mit unsern Traditionen aus unserer glänzenden Zeit ver¬
bunden; und im Abglanz dieser Tage denkt sich der Fremde unser König¬
thum; aber dem jetzigen Nachkommen Wilhelm des Schweigers zollt man
nichts von der Anhänglichkeit, wie der Deutsche oder Engländer seinen
Fürsten.

Ein Beispiel so abstracter Personalunion ist anderwärts unbekannt.
Ueberall, wo zwei Länder durch einen Herrscher verbunden waren, hat man
auch die politische Vereinigung zu Stande zu bringen gesucht. Eigentlich ist
eine solche bloße Union, wo eine nähere Verbindung der betreffenden Gebiete
unmöglich, oder nicht wünschenswert!) ist, ein unnatürliches Verhältniß. Aber
einestheils wünschen die Niederlande nicht, ihr Landesgebiet zu erweitern,
andererseits ist eine politische Einigung mit Luxemburg ein Unding. Darum
wäre eine Trennung der beiden Kronen für uns das Ersprießlichste.

Was nun die Zustimmung der luxemburgischen Bevölkerung bei einer
Aenderung ihrer Lage betrifft, so hat man dieselbe Anfangs stark betont.
Man begreift wohl, daß dieselbe sich in ihrem gegenwärtigen Zustand sehr
wohl befindet, und sich deshalb in Lvyalitätsadressen an den Großherzog und
Prinzen-Statthalter ergeht. Dagegen finden die Wünsche der Luxemburger
nach Erhaltung ihrer begünstigten Sonderstellung hier sehr wenig Anklang.
Freilich wird man nach unsern Begriffen diesen, wenn auch ungerechten
Wünschen Rechnung tragen müssen, und darin liegt die Schwierigkeit bei
einer Annexion durch Deutschland.

Bei den ersten Gerüchten über die Bismarck'sche Note in Betreff der
Luxemburger Neutralität brach zwar wieder ein Sturm los gegen diesen treu¬
losen Vertragsbruch; da aber eine sofortige preußische Occupation ausblieb,
und der Wortlaut der Note ein wesentlich anderer war, als Anfangs ver¬
kündet wurde, so haben wir uns bald wieder beruhigt, und wir hoffen nun,
daß wir von dieser lästigen Angelegenheit baldigst erlöst werden. Im Uebri-
gen hat man sich aber die ganze Sache hier nicht sehr angelegen sein lassen,
und das große Publikum weiß schließlich von Luxemburg so wenig, daß es
sich auch kein Urtheil biloen kann. Es weiß nur, daß wir Niederländer nichts


reichs zum Großherzogthum großentheils unbegreiflich sein. Daß die Holländer
für die Person ihres Königs so wenig Sympathien fühlen, daß ihnen die In¬
teressen ihres Fürsten so gleichgiltig sind, wird Manchem unverständlich sein.
Der altdeutsche Zug der persönlichen Hingebung des Dienstmanns an den
Herrn, des Unterthanen an den Fürsten, ist dem Holländer fremd. Sein stark
entwickelter Egoismus tritt überall hervor und zieht sich als rother Faden
durch seine ganze Geschichte. Immer kleinliche, selbstsüchtige Händel zwischen
Städten, Provinzen, Volk und Statthalter oder Fürst, die nur in den Zeiten
der äußersten Noth für kurze Zeit ruhen. Die Sympathie für das Haus
Oranien ist innig mit unsern Traditionen aus unserer glänzenden Zeit ver¬
bunden; und im Abglanz dieser Tage denkt sich der Fremde unser König¬
thum; aber dem jetzigen Nachkommen Wilhelm des Schweigers zollt man
nichts von der Anhänglichkeit, wie der Deutsche oder Engländer seinen
Fürsten.

Ein Beispiel so abstracter Personalunion ist anderwärts unbekannt.
Ueberall, wo zwei Länder durch einen Herrscher verbunden waren, hat man
auch die politische Vereinigung zu Stande zu bringen gesucht. Eigentlich ist
eine solche bloße Union, wo eine nähere Verbindung der betreffenden Gebiete
unmöglich, oder nicht wünschenswert!) ist, ein unnatürliches Verhältniß. Aber
einestheils wünschen die Niederlande nicht, ihr Landesgebiet zu erweitern,
andererseits ist eine politische Einigung mit Luxemburg ein Unding. Darum
wäre eine Trennung der beiden Kronen für uns das Ersprießlichste.

Was nun die Zustimmung der luxemburgischen Bevölkerung bei einer
Aenderung ihrer Lage betrifft, so hat man dieselbe Anfangs stark betont.
Man begreift wohl, daß dieselbe sich in ihrem gegenwärtigen Zustand sehr
wohl befindet, und sich deshalb in Lvyalitätsadressen an den Großherzog und
Prinzen-Statthalter ergeht. Dagegen finden die Wünsche der Luxemburger
nach Erhaltung ihrer begünstigten Sonderstellung hier sehr wenig Anklang.
Freilich wird man nach unsern Begriffen diesen, wenn auch ungerechten
Wünschen Rechnung tragen müssen, und darin liegt die Schwierigkeit bei
einer Annexion durch Deutschland.

Bei den ersten Gerüchten über die Bismarck'sche Note in Betreff der
Luxemburger Neutralität brach zwar wieder ein Sturm los gegen diesen treu¬
losen Vertragsbruch; da aber eine sofortige preußische Occupation ausblieb,
und der Wortlaut der Note ein wesentlich anderer war, als Anfangs ver¬
kündet wurde, so haben wir uns bald wieder beruhigt, und wir hoffen nun,
daß wir von dieser lästigen Angelegenheit baldigst erlöst werden. Im Uebri-
gen hat man sich aber die ganze Sache hier nicht sehr angelegen sein lassen,
und das große Publikum weiß schließlich von Luxemburg so wenig, daß es
sich auch kein Urtheil biloen kann. Es weiß nur, daß wir Niederländer nichts


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[0326] reichs zum Großherzogthum großentheils unbegreiflich sein. Daß die Holländer für die Person ihres Königs so wenig Sympathien fühlen, daß ihnen die In¬ teressen ihres Fürsten so gleichgiltig sind, wird Manchem unverständlich sein. Der altdeutsche Zug der persönlichen Hingebung des Dienstmanns an den Herrn, des Unterthanen an den Fürsten, ist dem Holländer fremd. Sein stark entwickelter Egoismus tritt überall hervor und zieht sich als rother Faden durch seine ganze Geschichte. Immer kleinliche, selbstsüchtige Händel zwischen Städten, Provinzen, Volk und Statthalter oder Fürst, die nur in den Zeiten der äußersten Noth für kurze Zeit ruhen. Die Sympathie für das Haus Oranien ist innig mit unsern Traditionen aus unserer glänzenden Zeit ver¬ bunden; und im Abglanz dieser Tage denkt sich der Fremde unser König¬ thum; aber dem jetzigen Nachkommen Wilhelm des Schweigers zollt man nichts von der Anhänglichkeit, wie der Deutsche oder Engländer seinen Fürsten. Ein Beispiel so abstracter Personalunion ist anderwärts unbekannt. Ueberall, wo zwei Länder durch einen Herrscher verbunden waren, hat man auch die politische Vereinigung zu Stande zu bringen gesucht. Eigentlich ist eine solche bloße Union, wo eine nähere Verbindung der betreffenden Gebiete unmöglich, oder nicht wünschenswert!) ist, ein unnatürliches Verhältniß. Aber einestheils wünschen die Niederlande nicht, ihr Landesgebiet zu erweitern, andererseits ist eine politische Einigung mit Luxemburg ein Unding. Darum wäre eine Trennung der beiden Kronen für uns das Ersprießlichste. Was nun die Zustimmung der luxemburgischen Bevölkerung bei einer Aenderung ihrer Lage betrifft, so hat man dieselbe Anfangs stark betont. Man begreift wohl, daß dieselbe sich in ihrem gegenwärtigen Zustand sehr wohl befindet, und sich deshalb in Lvyalitätsadressen an den Großherzog und Prinzen-Statthalter ergeht. Dagegen finden die Wünsche der Luxemburger nach Erhaltung ihrer begünstigten Sonderstellung hier sehr wenig Anklang. Freilich wird man nach unsern Begriffen diesen, wenn auch ungerechten Wünschen Rechnung tragen müssen, und darin liegt die Schwierigkeit bei einer Annexion durch Deutschland. Bei den ersten Gerüchten über die Bismarck'sche Note in Betreff der Luxemburger Neutralität brach zwar wieder ein Sturm los gegen diesen treu¬ losen Vertragsbruch; da aber eine sofortige preußische Occupation ausblieb, und der Wortlaut der Note ein wesentlich anderer war, als Anfangs ver¬ kündet wurde, so haben wir uns bald wieder beruhigt, und wir hoffen nun, daß wir von dieser lästigen Angelegenheit baldigst erlöst werden. Im Uebri- gen hat man sich aber die ganze Sache hier nicht sehr angelegen sein lassen, und das große Publikum weiß schließlich von Luxemburg so wenig, daß es sich auch kein Urtheil biloen kann. Es weiß nur, daß wir Niederländer nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/326>, abgerufen am 28.09.2024.