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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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genbilder mit geschwungenem Schwerte auf strahlendem Schimmel einher¬
sprengend zeigen, der war allerdings vortrefflich geeignet, als ein zweiter
Se. Georg an Wodans Stelle zu treten"). Als solcher ist er dem Volks-
gemüth auch alle Zeit nahe geblieben, sogar in Zeiten protestantischen Puri-
ficationseifers: wie denn noch 1551 die belagerten Magdeburger meinten, der
Feind sähe bei ihren Ausfällen "den Helden Michael" auf weißem Rosse vor
ihnen herreiten, und ergriffe deshalb jedesmal die Flucht vor den Städtern.

Die Einführung des alttestamentlichen Erzengels in Deutschland ist von
ziemlich altem Datum. 'Schon der heilige Bonifazius hat christliche Kirchen,
die dort errichtet wurden, wo früher Wodanstempel gestanden, dem Erzengel
geweiht, und dies ist in der Folgezeit noch häufiger geschehn. Um aber den
heidnischen Erntejubel zu christianisiren, wurde ebenfalls schon früh, jedenfalls
vor dem fünften Jahrhundert verordnet, das Kirchweihfeft gleich nach vollen¬
deter Ernte zu feiern, und zwar am '29. September, auf


"Sankt Michelstag
Da der Summer cndespflag,
Alle die Feld berobet sind
lind das Lob der kalte Wind
, ' Zerfüret und zcrströbüt!"^)

Dieses Zusammentreffens wegen wird Michaelis schon in frühester Zeit
ganz besonders festlich begangen worden sein, feierlicher gewiß als die Kirch¬
messen der Gegenwart. Die Fülle der betreffenden Festfvrmen hier zu schil¬
dern, würde zu weit führen; wesentlich ist jedoch für uns: erstlich das Er¬
scheinen des wohlbekannten "Schimmelreiters", welcher (diesmal höchst
passend aus Erntesymbolen, aus Rechen und Dreschtüchern, zusammengesetzt)
den " Schwingabend " belebte, und ferner der weitverbreitete Aberglaube,
daß am Michaelistage (29. September) kein Getreide gesäet werden
dürfe, sonst gäbe es mehr Stroh als Körner. Der Festtag des Herbstgottes
sollte durch Arbeit nicht entheiligt werden. Auch das deutet auf Wodan hin,
daß der Michaelistag ein wichtiger Welt erlös tag ist, endlich aber charac-
terisirt sich die ursprüngliche Bedeutung des Erzengels durch das unmittelbare
Auftreten von einem, ganz ausdrücklich Wodan geheiligten Symbol, nämlich
von Pferdeköpfen, vorzüglich bei'den rheinischen Erntesesten. Noch im
Jahre 1788 eiferte ein Pfarrer Magerus darüber, daß die Dorfburschen
zur Kirmes einen Pferdeschädel mit Katzendärmen überspannten, und neben
dem Hackebret darauf schnurrten "zu teuflischem Halloh und Hopsa". --




') Wie Se. Georg in Franke", so war der heilige Michael in Frankreich lange Zeit
Patron eines der edelsten Ritterorden.
") Großer Ausschweifungen wegen würd<?die Kirchweihe später wieder durch bischöfliche
und weltliche Gebote vom Erntefest abgetrennt.

genbilder mit geschwungenem Schwerte auf strahlendem Schimmel einher¬
sprengend zeigen, der war allerdings vortrefflich geeignet, als ein zweiter
Se. Georg an Wodans Stelle zu treten"). Als solcher ist er dem Volks-
gemüth auch alle Zeit nahe geblieben, sogar in Zeiten protestantischen Puri-
ficationseifers: wie denn noch 1551 die belagerten Magdeburger meinten, der
Feind sähe bei ihren Ausfällen „den Helden Michael" auf weißem Rosse vor
ihnen herreiten, und ergriffe deshalb jedesmal die Flucht vor den Städtern.

Die Einführung des alttestamentlichen Erzengels in Deutschland ist von
ziemlich altem Datum. 'Schon der heilige Bonifazius hat christliche Kirchen,
die dort errichtet wurden, wo früher Wodanstempel gestanden, dem Erzengel
geweiht, und dies ist in der Folgezeit noch häufiger geschehn. Um aber den
heidnischen Erntejubel zu christianisiren, wurde ebenfalls schon früh, jedenfalls
vor dem fünften Jahrhundert verordnet, das Kirchweihfeft gleich nach vollen¬
deter Ernte zu feiern, und zwar am '29. September, auf


„Sankt Michelstag
Da der Summer cndespflag,
Alle die Feld berobet sind
lind das Lob der kalte Wind
, ' Zerfüret und zcrströbüt!"^)

Dieses Zusammentreffens wegen wird Michaelis schon in frühester Zeit
ganz besonders festlich begangen worden sein, feierlicher gewiß als die Kirch¬
messen der Gegenwart. Die Fülle der betreffenden Festfvrmen hier zu schil¬
dern, würde zu weit führen; wesentlich ist jedoch für uns: erstlich das Er¬
scheinen des wohlbekannten „Schimmelreiters", welcher (diesmal höchst
passend aus Erntesymbolen, aus Rechen und Dreschtüchern, zusammengesetzt)
den „ Schwingabend " belebte, und ferner der weitverbreitete Aberglaube,
daß am Michaelistage (29. September) kein Getreide gesäet werden
dürfe, sonst gäbe es mehr Stroh als Körner. Der Festtag des Herbstgottes
sollte durch Arbeit nicht entheiligt werden. Auch das deutet auf Wodan hin,
daß der Michaelistag ein wichtiger Welt erlös tag ist, endlich aber charac-
terisirt sich die ursprüngliche Bedeutung des Erzengels durch das unmittelbare
Auftreten von einem, ganz ausdrücklich Wodan geheiligten Symbol, nämlich
von Pferdeköpfen, vorzüglich bei'den rheinischen Erntesesten. Noch im
Jahre 1788 eiferte ein Pfarrer Magerus darüber, daß die Dorfburschen
zur Kirmes einen Pferdeschädel mit Katzendärmen überspannten, und neben
dem Hackebret darauf schnurrten „zu teuflischem Halloh und Hopsa". —




') Wie Se. Georg in Franke», so war der heilige Michael in Frankreich lange Zeit
Patron eines der edelsten Ritterorden.
") Großer Ausschweifungen wegen würd<?die Kirchweihe später wieder durch bischöfliche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/303>, abgerufen am 28.09.2024.