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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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mehr Wiener Märzenbier getrunken hast, als einem Gentlemann zukommt,
so halte ich es doch für geradezu unmöglich, so schnell einzuschlafen. Ich
nehme an. Du wachst noch; und wenn ich das thue, so geschieht es vor
Allem aus zarter Schonung für Dich, indem ich trotz aller Deiner Fehler,
die mir längst nur allzuklar geworden sind, doch stets geneigt bin, das. Beste
von Dir zu glauben. Und das geschieht nicht aus Ueberzeugung, sondern
nur aus Pflichtgefühl, aus eisernem Pflichtgefühl, weil ich denn doch nun
einmal durch die Bande der Ehe an Dich geschmiedet bin und weil ich es
nicht bin, welche diese Ketten bricht, wenngleich man es dem Sclaven nicht
verübeln darf, wenn er sich wenigstens das Vergnügen nicht nehmen läßt,
mit seinen Ketten zu rasseln, und zu denken: "Jedes Ding auf der Welt hat
ein Ende, mit Ausnahme der Wurst, denn die hat deren zwei." --

-- Du siehst, ich kann trotz allem Unglücke, in das Du mich gestürzt
hast, noch scherzen. Aber es gibt auch Punkte, wo der Spaß aufhört. Und
wenn Du wirklich schon schliefest, so wäre das eine Beleidigung gegen mich,
welche den ganzen Ernst der sittlichen Entrüstung eines oft getäuschten, reinen
und großherzigen Frauengemüthes herausfordert. Bratenriecher, wann, um
Gottes willen, soll ich denn mit Dir.reden? Morgens kannst Du nicht her¬
aus. Vergeblich sitze ich an dem reinlich gedeckten und lecker bereiteten Thee¬
tisch, Deiner gewärtig, Du kommst nicht. Ich gehe in das Schlafzimmer, um
nach Dir zu sehen. Du liegst noch zu Bette, aber Dein Schlaf ist unruhig.
Du wälzest Dich von einer Seite zur anderen, wie ein Fieberkranker, was
man "Verfassungscrisen" nennt in dem so oft von Dir gepriesenen Oestreich.
Bon Zeit zu Zeit stößt Du ein Paar Worte aus, je nach dem Gegenstande,
der gerade auf der Tagesordnung ist. "Sittlich-ethische Bedeutung des Ge¬
nusses warmer, nicht alkoholhaltiger Getränke", wenn Zollparlament ist. "Das
letzte Mark des Volks aufsaugender Druck des Militarismus", wenn Reichs¬
tag ist. "Das schlaue System geistlicher Vorbehalte, welches die unverdorbene
Volksseele vergiftet", wenn Landtag ist. Oder Du spendest Beifall und Mi߬
fall mit "Sehr gut", "richtig", "Bravo", oder aber mit "Pfui", "Oho" und
"Warum nicht gar?" Diese Vibrationen eines irren Geistes, welcher nicht
einmal im Schlafe zur Ruhe gelangen kann, würden mir von Interesse sein,
wenn es nicht schon seit Jahren immer dieselben wären. Endlich kommst Du
zum Thee. Verschlafen, mißlaunig, mundfaul, kaum nothdürftig gewaschen
und gekämmt. Du greifst nach der Zeitung. Ich habe sie schon gelesen, ehe
Du kommst. Es stehen zwei sehr wichtige Telegramme drin: Ein Sieg über
die Loire-Armee, welcher jedoch beweist, daß dieselbe keineswegs, wie der Erb¬
prinz von Mecklenburg an seine allerdurchlauchtigste Mutter telegraphirte, am
3. d. M. bereits "von Papa total vernichtet" worden, sondern noch friedlich
beisammen ist, und zwar ganz wo anders, als da, wo man sie vermuthete.


mehr Wiener Märzenbier getrunken hast, als einem Gentlemann zukommt,
so halte ich es doch für geradezu unmöglich, so schnell einzuschlafen. Ich
nehme an. Du wachst noch; und wenn ich das thue, so geschieht es vor
Allem aus zarter Schonung für Dich, indem ich trotz aller Deiner Fehler,
die mir längst nur allzuklar geworden sind, doch stets geneigt bin, das. Beste
von Dir zu glauben. Und das geschieht nicht aus Ueberzeugung, sondern
nur aus Pflichtgefühl, aus eisernem Pflichtgefühl, weil ich denn doch nun
einmal durch die Bande der Ehe an Dich geschmiedet bin und weil ich es
nicht bin, welche diese Ketten bricht, wenngleich man es dem Sclaven nicht
verübeln darf, wenn er sich wenigstens das Vergnügen nicht nehmen läßt,
mit seinen Ketten zu rasseln, und zu denken: „Jedes Ding auf der Welt hat
ein Ende, mit Ausnahme der Wurst, denn die hat deren zwei." —

— Du siehst, ich kann trotz allem Unglücke, in das Du mich gestürzt
hast, noch scherzen. Aber es gibt auch Punkte, wo der Spaß aufhört. Und
wenn Du wirklich schon schliefest, so wäre das eine Beleidigung gegen mich,
welche den ganzen Ernst der sittlichen Entrüstung eines oft getäuschten, reinen
und großherzigen Frauengemüthes herausfordert. Bratenriecher, wann, um
Gottes willen, soll ich denn mit Dir.reden? Morgens kannst Du nicht her¬
aus. Vergeblich sitze ich an dem reinlich gedeckten und lecker bereiteten Thee¬
tisch, Deiner gewärtig, Du kommst nicht. Ich gehe in das Schlafzimmer, um
nach Dir zu sehen. Du liegst noch zu Bette, aber Dein Schlaf ist unruhig.
Du wälzest Dich von einer Seite zur anderen, wie ein Fieberkranker, was
man „Verfassungscrisen" nennt in dem so oft von Dir gepriesenen Oestreich.
Bon Zeit zu Zeit stößt Du ein Paar Worte aus, je nach dem Gegenstande,
der gerade auf der Tagesordnung ist. „Sittlich-ethische Bedeutung des Ge¬
nusses warmer, nicht alkoholhaltiger Getränke", wenn Zollparlament ist. „Das
letzte Mark des Volks aufsaugender Druck des Militarismus", wenn Reichs¬
tag ist. „Das schlaue System geistlicher Vorbehalte, welches die unverdorbene
Volksseele vergiftet", wenn Landtag ist. Oder Du spendest Beifall und Mi߬
fall mit „Sehr gut", „richtig", „Bravo", oder aber mit „Pfui", „Oho" und
„Warum nicht gar?" Diese Vibrationen eines irren Geistes, welcher nicht
einmal im Schlafe zur Ruhe gelangen kann, würden mir von Interesse sein,
wenn es nicht schon seit Jahren immer dieselben wären. Endlich kommst Du
zum Thee. Verschlafen, mißlaunig, mundfaul, kaum nothdürftig gewaschen
und gekämmt. Du greifst nach der Zeitung. Ich habe sie schon gelesen, ehe
Du kommst. Es stehen zwei sehr wichtige Telegramme drin: Ein Sieg über
die Loire-Armee, welcher jedoch beweist, daß dieselbe keineswegs, wie der Erb¬
prinz von Mecklenburg an seine allerdurchlauchtigste Mutter telegraphirte, am
3. d. M. bereits „von Papa total vernichtet" worden, sondern noch friedlich
beisammen ist, und zwar ganz wo anders, als da, wo man sie vermuthete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/29>, abgerufen am 26.06.2024.