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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Wünschen ihrer Völker entsprechend, das große Ziel der nationalen Einigung
erreicht. Deutschland hat der deutsch-französische Krieg schneller, als man
vordem hoffen durfte, zu einem großen, einigen, unüberwindlichen Reiche
gemacht. Italien hat nach langjährigen Kämpfen seine Provinzen wieder
zusammengebracht, die alte Hauptstadt wieder gewonnen, und damit die Bruch¬
theile des italienischen Volkes zu einem nationalen Reiche vereinigt.

Die Besitzergreifung Roms durch Victor Emanuel und die Italiener im
Jahre 1870 hat dem Werke der nationalen Einigung des italienischen Volks¬
stammes die Krone aufgesetzt, so viel Widersacher Italiens auch die That als
eine unberechtigte oder als unerlaubte zu bezeichnen versucht haben. Auch
dieses Ereigniß hat der deutsch-französische Krieg herbeigeführt, wie er Deutsch¬
land das langersehnte Ziel hat erreichen lassen. Vor wenigen Monaten war
noch nicht daran zu denken, obwohl das italienische Volk längst darüber mit
seiner Regierung grollte, und die Dynastie ihre Popularität theilweise einge¬
büßt hatte, weil sie dem Drängen des Volkes, das französische Joch abzu¬
schütteln, nicht nachgeben zu können vermeinte.

Die italienischen Zustände sind, wie dadurch schon einigermaßen ange¬
deutet ist, auch in vielen andern Beziehungen nicht besonders erfreulich und
hoffnungsvoll für die Zukunft, sowohl in Rom als im übrigen Italien.
Die italienische Regierung hat fortwährend mit der Unzufriedenheit eines
großen Theils der Bewohner, mit Aufständen, revolutionären Agitationen
und Räubereien, mit Finanznoth und Deficits zu kämpfen. Die Unzufrieden¬
heit brachte das Abhängigkeitsverhältniß zu Frankreich hervor, dem Italien
die Zunahme seiner Macht verdankte und wofür sich die Regierung, man
meint sogar Victor Emanuel selbst, durch einen geheimen Vertrag mit Napo¬
leon, zu gewissen Verpflichtungen schon durch die Convention vom September
1864 in Bezug auf Rom hat verstehen müssen. Man drängte zur vollen Verwirk¬
lichung der italienischen Einheit, zur Erklärung, daß Rom die Hauptstadt des
Reiches werden solle, und doch konnten ohne Gefahr keineSchritte zu diesem Zwecke
unternommen werden. An den verschiedensten Orten brachen Aufstände aus,
in der Provinz Calabrien, in der Lombardei, in der toskanischen Provinz
Siena. Die Insurgenten in Calabrien waren vollständig organisirt, und
ein italienisches Blatt theilte die Formel des von ihnen zu leistenden schnur¬
rigen Eides mit, einer Art von Duett zwischen dem Bandenführer und dem
Schwörenden, welches mit dem vergnügten Rufe schließt: "Es lebe die große
republikanische Welt-Allianz!" Die Herren Banditen haben also das Ideal
unsrer deutschen Internationalen, die sich vorläufig mit den "Vereinigten
Staaten von Europa" begnügen wollten, bei weitem überflügelt.

Andere Revolutionäre, darunter einige Deserteure und politisch compro-
mittirre Militärs, die sich nach verunglückten Aufstandsversuchen in Pavia


Wünschen ihrer Völker entsprechend, das große Ziel der nationalen Einigung
erreicht. Deutschland hat der deutsch-französische Krieg schneller, als man
vordem hoffen durfte, zu einem großen, einigen, unüberwindlichen Reiche
gemacht. Italien hat nach langjährigen Kämpfen seine Provinzen wieder
zusammengebracht, die alte Hauptstadt wieder gewonnen, und damit die Bruch¬
theile des italienischen Volkes zu einem nationalen Reiche vereinigt.

Die Besitzergreifung Roms durch Victor Emanuel und die Italiener im
Jahre 1870 hat dem Werke der nationalen Einigung des italienischen Volks¬
stammes die Krone aufgesetzt, so viel Widersacher Italiens auch die That als
eine unberechtigte oder als unerlaubte zu bezeichnen versucht haben. Auch
dieses Ereigniß hat der deutsch-französische Krieg herbeigeführt, wie er Deutsch¬
land das langersehnte Ziel hat erreichen lassen. Vor wenigen Monaten war
noch nicht daran zu denken, obwohl das italienische Volk längst darüber mit
seiner Regierung grollte, und die Dynastie ihre Popularität theilweise einge¬
büßt hatte, weil sie dem Drängen des Volkes, das französische Joch abzu¬
schütteln, nicht nachgeben zu können vermeinte.

Die italienischen Zustände sind, wie dadurch schon einigermaßen ange¬
deutet ist, auch in vielen andern Beziehungen nicht besonders erfreulich und
hoffnungsvoll für die Zukunft, sowohl in Rom als im übrigen Italien.
Die italienische Regierung hat fortwährend mit der Unzufriedenheit eines
großen Theils der Bewohner, mit Aufständen, revolutionären Agitationen
und Räubereien, mit Finanznoth und Deficits zu kämpfen. Die Unzufrieden¬
heit brachte das Abhängigkeitsverhältniß zu Frankreich hervor, dem Italien
die Zunahme seiner Macht verdankte und wofür sich die Regierung, man
meint sogar Victor Emanuel selbst, durch einen geheimen Vertrag mit Napo¬
leon, zu gewissen Verpflichtungen schon durch die Convention vom September
1864 in Bezug auf Rom hat verstehen müssen. Man drängte zur vollen Verwirk¬
lichung der italienischen Einheit, zur Erklärung, daß Rom die Hauptstadt des
Reiches werden solle, und doch konnten ohne Gefahr keineSchritte zu diesem Zwecke
unternommen werden. An den verschiedensten Orten brachen Aufstände aus,
in der Provinz Calabrien, in der Lombardei, in der toskanischen Provinz
Siena. Die Insurgenten in Calabrien waren vollständig organisirt, und
ein italienisches Blatt theilte die Formel des von ihnen zu leistenden schnur¬
rigen Eides mit, einer Art von Duett zwischen dem Bandenführer und dem
Schwörenden, welches mit dem vergnügten Rufe schließt: „Es lebe die große
republikanische Welt-Allianz!" Die Herren Banditen haben also das Ideal
unsrer deutschen Internationalen, die sich vorläufig mit den „Vereinigten
Staaten von Europa" begnügen wollten, bei weitem überflügelt.

Andere Revolutionäre, darunter einige Deserteure und politisch compro-
mittirre Militärs, die sich nach verunglückten Aufstandsversuchen in Pavia


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[0254] Wünschen ihrer Völker entsprechend, das große Ziel der nationalen Einigung erreicht. Deutschland hat der deutsch-französische Krieg schneller, als man vordem hoffen durfte, zu einem großen, einigen, unüberwindlichen Reiche gemacht. Italien hat nach langjährigen Kämpfen seine Provinzen wieder zusammengebracht, die alte Hauptstadt wieder gewonnen, und damit die Bruch¬ theile des italienischen Volkes zu einem nationalen Reiche vereinigt. Die Besitzergreifung Roms durch Victor Emanuel und die Italiener im Jahre 1870 hat dem Werke der nationalen Einigung des italienischen Volks¬ stammes die Krone aufgesetzt, so viel Widersacher Italiens auch die That als eine unberechtigte oder als unerlaubte zu bezeichnen versucht haben. Auch dieses Ereigniß hat der deutsch-französische Krieg herbeigeführt, wie er Deutsch¬ land das langersehnte Ziel hat erreichen lassen. Vor wenigen Monaten war noch nicht daran zu denken, obwohl das italienische Volk längst darüber mit seiner Regierung grollte, und die Dynastie ihre Popularität theilweise einge¬ büßt hatte, weil sie dem Drängen des Volkes, das französische Joch abzu¬ schütteln, nicht nachgeben zu können vermeinte. Die italienischen Zustände sind, wie dadurch schon einigermaßen ange¬ deutet ist, auch in vielen andern Beziehungen nicht besonders erfreulich und hoffnungsvoll für die Zukunft, sowohl in Rom als im übrigen Italien. Die italienische Regierung hat fortwährend mit der Unzufriedenheit eines großen Theils der Bewohner, mit Aufständen, revolutionären Agitationen und Räubereien, mit Finanznoth und Deficits zu kämpfen. Die Unzufrieden¬ heit brachte das Abhängigkeitsverhältniß zu Frankreich hervor, dem Italien die Zunahme seiner Macht verdankte und wofür sich die Regierung, man meint sogar Victor Emanuel selbst, durch einen geheimen Vertrag mit Napo¬ leon, zu gewissen Verpflichtungen schon durch die Convention vom September 1864 in Bezug auf Rom hat verstehen müssen. Man drängte zur vollen Verwirk¬ lichung der italienischen Einheit, zur Erklärung, daß Rom die Hauptstadt des Reiches werden solle, und doch konnten ohne Gefahr keineSchritte zu diesem Zwecke unternommen werden. An den verschiedensten Orten brachen Aufstände aus, in der Provinz Calabrien, in der Lombardei, in der toskanischen Provinz Siena. Die Insurgenten in Calabrien waren vollständig organisirt, und ein italienisches Blatt theilte die Formel des von ihnen zu leistenden schnur¬ rigen Eides mit, einer Art von Duett zwischen dem Bandenführer und dem Schwörenden, welches mit dem vergnügten Rufe schließt: „Es lebe die große republikanische Welt-Allianz!" Die Herren Banditen haben also das Ideal unsrer deutschen Internationalen, die sich vorläufig mit den „Vereinigten Staaten von Europa" begnügen wollten, bei weitem überflügelt. Andere Revolutionäre, darunter einige Deserteure und politisch compro- mittirre Militärs, die sich nach verunglückten Aufstandsversuchen in Pavia

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/254>, abgerufen am 22.07.2024.